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Johanna Metz
Ein notwendiger Kompromiss
Damals ...vor 10 Jahren am 13. Oktober: Der
Bundesrat berät über das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Der europäische Binnenmarkt: Seit 1. Januar 1993
ermöglicht er innerhalb der Europäischen Union den freien
Fluss von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeit. Als
große Errungenschaft gefeiert, zeigten sich jedoch bald auch
seine Schattenseiten: Lohndumping und Scheinselbstständigkeit
nahmen zu, immer mehr Beschäftigte arbeiteten illegal. In den
Anfangsjahren des gemeinsamen Marktes lag das vor allem daran, dass
für Mitarbeiter ausländischer Firmen in einem anderen
EU-Land die Arbeitsbedingungen ihres Heimatlandes galten - und
nicht etwa die des tatsächlichen Beschäftigungsortes.
Billige Arbeitskräfte konnten so in Hochlohnländern wie
Deutschland oder Frankreich für einen Bruchteil des Lohns
arbeiten und die sozialen Standards um ein Vielfaches unterbieten.
Die teureren einheimischen Arbeiter wurden verdrängt oder
mussten ihrerseits niedrigere Löhne in Kauf nehmen.
Erst 1996 brachte die EU ein Gesetz auf den Weg, das dem ein
Ende bereiten sollte: Die so genannte Entsenderichtlinie. Sie
besagt, dass die Mitgliedsländer die Bedingungen festlegen,
unter denen Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedsland der EU bei
ihnen arbeiten dürfen - insbesondere in Bezug auf Löhne.
18 von 25 EU-Staaten haben daraufhin einen gesetzlichen Mindestlohn
eingeführt, viele zumindest Teile der Richtlinie umgesetzt.
Auch in Deutschland erkannte man die Notwendigkeit einer
entsprechenden Regelung. Während 1995 in Brüssel noch
über die Entsenderichtlinie beraten wurde, legte
Bundesarbeitsminister Norbert Blüm einen eigenen Gesetzentwurf
vor, der für den Bereich des Baugewerbes eine Ausweitung der
Lohn- und Urlaubstarifverträge auch auf Arbeitnehmer aus
anderen EU-Ländern vorsah. Ein Vorhaben, das die Berliner
Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) in der Bundesratsdebatte
am 13. Oktober grundsätzlich begrüßte, in der
Ausführung aber scharf kritisierte: Die Bundesregierung habe
"einen Gesetzentwurf vorgelegt, der weder den Vorstellungen des
Bundesrates entspricht noch geeignet ist, dem akuten
Handlungsbedarf zur wirksamen Bekämpfung gemeinschaftsweiten
Sozialdumpings im Baubereich gerecht zu werden", warf sie Blüm
vor. Es sei vielmehr "zwingend notwendig", dass neben dem
Bauhauptgewerbe auch andere baunahe Berufe in das Gesetz
miteinbezogen würden. Als "unbegreiflich" bezeichnete sie
außerdem die Befristung der Regelung. "Wenn es keine
vernünftige Entsenderegelung - ob europäisch oder
national - gibt", sagte Bergmann, "wird nicht nur die
Arbeitslosigkeit im Baubereich noch weiter drastisch zunehmen,
sondern dann wird auch der Ausländer- und Europafeindlichkeit
Vorschub geleistet und damit das gesamte Gemeinschaftsprojekt in
Frage gestellt."
Arbeitsminister Blüm stimmte seiner Berliner Kollegin in
den meisten Punkten durchaus zu. Auch er halte ein Entsendegesetz
für "unerlässlich" und zwar "erstens wegen elementarer
Sozialstaatserfordernisse und zweitens Europas wegen". Seinen
Gesetzentwurf verteidigte er als "einen Kompromiss", eine
"Übergangslösung" für ein krankendes Gewerbe: "Wir
machen ein relativ einfaches Entsendegesetz", so Blüm, weil im
Baugewerbe auch "die größte Bedrängnis" herrsche. Es
gehöre eben nicht zu unserer sozialstaatlichen Tradition, mit
Mindestlöhnen zu arbeiten. Denn: "In dem Moment, in dem wir
einen Mindestlohn festsetzen, ist der Staat Tarifpartner und nach
jeder Tarifverhandlung werden wir Gegenstand von Forderungen.
Unsere Tarifautonomie hat uns diese Last abgenommen."
Das Festhalten an der Tarifautonomie bewirkte schließlich,
dass 1996 lediglich das von Blüm vorgelegte
Arbeitnehmer-Entsendegesetz verabschiedet wurde. Es sah vor, einige
wenige Branchen im Baugewerbe vor billigen Arbeitskräften zu
schützen. 1999, inzwischen war die EU-Richtlinie in Kraft
getreten, wurde das Gesetz nochmals überarbeitet. Künftig
galt ein gesetzlicher Mindestlohn von Brutto 8,95 Euro pro Stunde
für ungelernte und 10,01 Euro für gelernte Kräfte
(im Osten) und 10,36 Euro beziehungsweise 12,47 Euro (im Westen).
Bis heute ist diese Mindestlohnvereinbarung in Deutschland
einzigartig.
Zehn Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes ist die
Problematik wieder brandaktuell. Jetzt kommen auch aus Osteuropa
verstärkt Billiglohnkräfte in die EU: Fliesen- und
Parkettleger, Schlachter und Spediteure - längst hat sich das
Problem des Lohndumpings auch auf andere Branchen ausgedehnt. Die
Bundesregierung hat deshalb im Mai 2005 eine Ausweitung des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen beschlossen - gegen
den Widerstand von Arbeitgebern, Union und FDP. Eine Entscheidung
darüber steht noch aus.
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