Ariane von Großmann
Eine Provinz ohne Status
Kosovo: Die Zukunft bleibt weiterhin
ungeklärt
Das Dilemma des Kosovos ist mit einem Satz zu
verdeutlichen: Solange der Status der serbischen Provinz nicht
geklärt ist, geht nichts voran. Wie soll man auch Nation
Building in einem Gebiet verfolgen, das keine Nation ist und von
dem auch keiner so recht weiß, was es einmal werden soll und
wohin es gehören wird? Bleibt es serbische Provinz? Wird es
ein eigenständiger Staat? Dazwischen liegt eine Reihe weiterer
Möglichkeiten. Doch die internationale Gemeinschaft konnte
sich bisher nicht durchringen, diese längst
überfällige Entscheidung zu treffen.
Der multiethnische Balkan war schon immer
schwer zusammen zu halten. Der Tod Titos und dann später der
Zerfall der Sowjetunion und damit der kommunistischen
Planwirtschaft brachten das sorgfältig gehaltene Gleichgewicht
zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen langsam ins
Wanken. Nachdem in Kroatien sowie in Bosnien und Herzegowina der
grausame Bürgerkrieg überstanden schien, spitzte sich
1998/99 die Lage im Kosovo zu.
Im Februar 1998 massakrieren serbische
Soldaten die Jashari-Familie, deren Oberhaupt Gründer der
kosovo-albanischen Untergrundorganisation UCK war. Die Folge:
landesweit beginnen erbitterte Kämpfe zwischen den serbischen
Streitkräften und UCK-Kämpfern.
Nachdem sich abzeichnet, dass die Vertreibung
der albanischen Bevölkerung organisierte Gestalt annimmt,
greift am 23. März 1999 die NATO ein. Zweieinhalb Monate
später akzeptiert Milosevic die Rückzugsforderungen. Das
Ziel der NATO-Operation ist erreicht: Die Vertreibung von rund
850.000 Kosovo-Albanern ist gestoppt.
Um nach Beendigung des militärischen
Einsatzes eine Deeskalation des Konflikts zu vermeiden, entscheiden
sich die externen Staaten für die damals wohl einzig
mögliche Lösung. Keine der beiden Parteien erhält
das umstrittene Gebiet, die Fragen nach dem Status wird erst einmal
vertagt und das Kosovo komplett unter internationale Verwaltung
gestellt. Der Abzug der Serben hinterlässt im Kosovo ein
Macht- und Kompetenzvakuum, das es zu füllen gilt. Es gibt
keine eigenständigen Strukturen, keine Sicherheit, kaum noch
funktionierende Infrastruktur. Mit der Resolution 1244 startet die
UNO ihre bis dato größte Mission. Die
UN-Übergangsregierung UNMIK und die Kosovo-NATO-Truppe KFOR
werden geschaffen und stehen einem heillosen Chaos
gegenüber.
UNMIK und KFOR arbeiteten in diesen Monaten
besonders eng zusammen. Der ehemalige General Klaus Reinhardt, 1999
Kommandeur der KFOR-Truppe, und Bernhard Kouchner, Leiter der
UNMIK, trafen sich täglich, um sich abzustimmen und gemeinsam
zu planen. "Uns war schnell klar: Wir können nur mit einer
Stimme sprechen!", erinnert sich der pensionierte General
Reinhardt. Auch die Zusammenarbeit mit der OSZE, dem
UN-Flüchtlingskommissar (UNHCR) und den Hilfsorganisationen
klappte. In der Praxis im Einsatz meist besser als in der Theorie
in Deutschland. Alle vor Ort sahen den Bedarf. Es galt damals eine
völlig traumatisierte Bevölkerung zu stabilisieren.
Wichtige Stellen mussten besetzt werden, um das Nötigste
wieder in Betrieb nehmen zu können. Dabei zeigte sich bald ein
kosovarisches Problem: die Führungspositionen - egal in
welchem Bereich - waren zuvor mit Serben besetzt. Unter den
Kosovo-Albanern gab es daher kaum ausgebildetes Fachpersonal
für die Managementfunktionen. Diese mussten also erst einmal
von den Internationalen übernommen werden. Gab es unter den
UN-Mitarbeitern keinen passenden Spezialisten, konnte die NATO
einen stellen. So übernahmen beispielsweise italienische
Einsenbahnpioniere die Organisation der Bahn und bildeten nebenher
den kosovarischen Nachwuchs aus.
Politisch fand nach und nach ein Transfer der
Zuständigkeiten auf die provisorischen Institutionen statt. Es
gab erste Wahlen und Gespräche mit Belgrad. Langsam begann
alles zu funktionieren.
Auf diese Weise entstand Schritt für
Schritt das neue Kosovo, bis die internationale Gemeinschaft an
ihre 1999 mit der Resolution 1244 selbst geschaffene Grenze
stößt: die offen gelassene Statusfrage.
Die Nachkriegszeit ist vorbei. Es geht jetzt
um die Zukunft und nicht mehr ums nackte Überleben. Der
ungeklärte Status zieht dabei eine Reihe von Problemen nach
sich. Am gravierendsten ist wohl das der Arbeitslosigkeit. Lag
diese 1999 bei etwa 40 Prozent, ist sie inzwischen auf rund 75
Prozent gestiegen. Aus den Universitäten kommen die ersten
Studenten mit abgeschlossenem Studium und finden sich auf einem
nahezu aussichtslosen Arbeitsmarkt wieder. Wohlstand scheint nur
auf kriminellen Wegen möglich - die Schattenwirtschaft
blüht.
Das Kosovo verfügt über ein
wertvolles Kapital, das es zu nutzen gilt: junge, leistungswillige,
gut ausgebildete Männer und Frauen, die etwas bewegen wollen.
Gleichzeitig ist es jedoch genau dieses Kapital, das Unruhe in das
Kosovo bringt. Man fühlt sich allein gelassen. Afghanistan,
Irak und andere Einsatzgebiete stehen nun im Mittelpunkt. Das
Kosovo ist vergessen, denken viele, und die Internationale
Gemeinschaft ist nicht in der Lage, zu helfen und ihre Versprechen
zu halten. Immer wieder wechselndes Personal entbindet den
einzelnen von seiner Verantwortung, sich nachhaltig zu
bemühen. Hinzu kommen die unterschiedlichen nationalen
Standards. Viel Energie fließt in die Suche nach dem kleinsten
gemeinsamen Nenner der einzelnen Nationen. Die Kosovaren
fühlen sich daher - vielleicht zu Recht - als
Versuchskaninchen. Die Folge: Sie nehmen ihr Schick-sal selbst in
die Hand. Auch mit Gewalt. Die Unruhen im letzten Jahr machten dies
deutlich. Man schlug gegen die Serben und meinte eigentlich auch
UNMIK.
In Windeseile wurde damals das
KFOR-Kontingent von allen Seite aufgestockt. Doch damit behandelte
man nur die Symptome. "Die Probleme im Kosovo sind nicht mit
Militär zu lösen", erklärt Reinhardt. Es herrsche
eine ökonomische Unzufriedenheit, die wirtschaftliche Lage
müsse verbessert werden. "Den Menschen fehlt die Perspektive
wie es weitergehen soll", kritisiert Reinhardt. Die dafür
dringend benötigten ausländischen Investoren bleiben
allerdings aus. Sie sind von der ungeklärten Lage
verunsichert. Industrieanlagen stehen seit einem halben Jahrzehnt
still und verrotten. Werden sie nicht bald wieder in Betrieb
genommen, können sie nur noch abgerissen werden. Doch wer
investiert in eine Fabrik, deren Besitzer nicht sicher
feststeht?
Nach rund fünf Jahren der
internationalen Präsenz hat sich viel verändert. Es gibt
ein gutes Schul- und Universitätssystem. Unzählige
Häuser, Kindergärten und öffentliche Einrichtungen
wurden aufgebaut. Es fanden bereits mehrfach demokratische Wahlen
statt. Die Ämter sind multiethnisch besetzt. Das
Gesundheitssystem funktioniert. Der Kosovo Police Service (KPS)
konnte bereits fünf der sechs regionalen Hauptquartiere der
UNMIK-Polizei übernehmen. Die ehemaligen UCK-Kämpfer
haben in einer Art Technischem Hilfswerk, dem so genannten Kosovo
Protection Corp (KPC), eine neue Aufgabe gefunden und sich
inzwischen schon mehrfach im Rahmen von Katastropheneinsätzen
bewährt.
Und doch wächst stetig die
Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Denn das inzwischen
Wichtigste fehlt: eine klare Entscheidung, was aus der Provinz
werden soll. Status quo ist: Das Kosovo ist statuslos. Es
hängt in der Luft und mit ihm seine Einwohner.
Es ist nun an der Zeit eine Lösung zu
finden. Nicholas Burns, Staatssekretär im
US-Außenministerium, zeigte in einer Anhörung vor dem
US-Kongress am 19. Mai, dass auch Georg W. Bush eine Klärung
der Situation im Kosovo will. Das Ziel der USA ist klar, sie wollen
ihre Truppen abziehen.
Doch ganz so schnell geht das nicht. Im April
2002 nannte der damalige UNMIK-Leiter Michael Steiner acht zu
erfüllende Standards als Voraussetzung für die Aufnahme
von Statusverhandlungen. Gefordert werden funktionierende
staatliche Institutionen, Rechtsstaatlichkeit, Bewegungsfreiheit,
Rückkehr von Vertriebenen, Marktwirtschaft, Klärung der
Eigentumsverhältnisse, Dialog zwischen der autonomen Regierung
in Pristina und der Regierung in Belgrad sowie die Reduzierung des
KPC.
Der norwegische UN-Sonderbeauftragte für
die Evaluierung des Implementierungsprozesses der Standards im
Kosovo, Kai Eide, prüft momentan die Umsetzung der geforderten
Standards und wird seinen Bericht voraussichtlich in diesem Monat
Kofi Annan vorlegen.
Es ist zu erwarten, dass die Standards
großzügig betrachtet werden und die Statusfrage endlich
auf den Tisch kommt. Einig sind sich die Internationalen schon
jetzt, dass das Kosovo weder an Serbien zurück-fallen noch in
einer geteilten Form mit Albanien oder anderen
albanisch-dominierten Gebieten vereint werden soll. Es wird darum
gehen einen Weg zu finden, zwischen der von den Kosovo-Albanern
geforderten völligen Unabhängigkeit und der serbischen
Position eines Kosovo mit mehr Autonomie, aber weiterhin zu Serbien
gehörend.
Serbien hat noch immer völkerrechtlichen
Anspruch auf das Kosovo. In den letzten Wochen lassen serbische
Politiker vermehrt verlauten, dass sie nicht dazu bereit seien, die
Provinz aufzugeben. Allerdings ist man sich in Belgrad durchaus des
wirtschaftlichen und politischen Ballastes der unbeständigen
Region bewusst. Und Serbien drängt politisch wie
militärisch in die Europäische Union. Die Frage ist also:
Wie kann das Kosovo selbstständig werden, ohne dass Serbien
sein Gesicht verliert?
Am Ende wartet man vielleicht auch noch. Denn
sind erst einmal alle in der EU, werden Grenzfragen
zweitrangig.
Ariane von Großmann arbeitet als freie Journalistin,
Bonn.
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