Andreas Klein
Pulverfässer auf dem Balkan
Mazedonien und Albanien
Fehlende Staatstradition, Fremdherrschaft über Jahrhunderte
sowie konkurrierende Interessen der Großmächte haben den
Prozess der Staatsbildung in Mazedonien und Albanien immer wieder
verzögert. Nach 50 Jahren Kommunismus und Einparteiendiktatur
kämpfen die Staatsinstitutionen in beiden Ländern nach
wie vor um politische Legitimität und Akzeptanz bei ihren
Bürgern. Dabei behindern vor allem kleine politische Cliquen,
die in fragwürdigen Wahlprozessen um den
größtmöglichen Einfluss in den Institutionen ringen,
die Entwicklung tragfähiger Strukturen, die auf die Zustimmung
der Bevölkerung stoßen.
Beim politischen Kräftemessen bleibt der Verlierer in der
Regel auf der Strecke. Permanente personelle Veränderungen in
den Institutionen durch die Siegerpartei gehen zu Lasten der
Kontinuität und Stabilität des Staatsapparats.
Geprägt von Nepotismus und politisch motivierten Absprachen
ist dieser in der Regel nicht in der Lage, elementare Grundrechte
zu verteidigen und Sicherheit für die Bürger zu
gewährleisten sowie öffentliche Dienstleistungen
anzubieten.
Trotz seiner 90-jährigen Existenz als souveräne
Einheit blieb Albanien über die Zeit ein schwacher Staat.
Während der Regierungszeit Enver Hoxhas (1944-85), der mit
seinem "Steinzeit-Kommunismus" die Verelendung der Massen zu
verantworten hatte, hat der Staat seine politische Legitimation in
den Augen des Volkes eingebüßt. Trotz der erlangten
politischen Freiheit zu Beginn der 90er-Jahre haben das Misstrauen
gegenüber aller staatlichen Gewalt sowie die anhaltende
wirtschaftliche Krise zum endgültigen Versagen der
Staatsinstitutionen geführt, bis das System 1997
vollständig implodierte und bürgerkriegsähnliche
Zustände ausbrachen.
Im ganzen Land lehnten sich die Menschen gegen die Regierung
auf, bis schließlich der Staatsapparat unter dem
öffentlichen Druck kollabierte. Beim Sturm auf die Kasernen
der albanischen Armee verschwanden schätzungsweise rund
800.000 Handfeuerwaffen, die teilweise in verschiedenen Konflikten
in der Region in den Folgejahren wieder auftauchten.
Korruption als Lebenseinstellung
Obwohl die albanische Regierung in der Folgezeit im ganzen Land
wieder relative Sicherheit herstellen konnte, blieben die
Institutionen schwach. Die Rivalität der beiden
größten politischen Parteien, der Sozialistischen Partei
(SP) und der Demokratischen Partei (DP), sowie deren politischen
Führer Fatos Nano (SP) und Sali Berisha (DP) spaltet das Land
in zwei verfeindete Lager, die vor allem vor Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen Albanien jedes Mal in neues Ungemach zu
stürzen drohen. Es hat sich ein System etabliert, in dem der
politische Sieger alles und der Verlierer nichts bekommt. Dieses
System hat eine nahezu rechtsfreie Umgebung geschaffen, in der
Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung für Stabilität und
Sicherheit nicht mehr durchsetzbar ist. In einem Staat jedoch, der
nur noch die Interessen der regierenden Klasse durchsetzt,
fühlen sich auch die Bürger nicht mehr zur
Solidarität - beispielsweise durch die Abgabe von Steuern -
verpflichtet. Korruption wird zu einer Lebenseinstellung.
Vergleichbar stellt sich die Situation in der benachbarten
Republik Mazedonien dar, die sich im Jahr 1991 als einzige
gewaltfrei aus dem jugoslawischen Bundesstaat lösen konnte und
ihre Unabhängigkeit erlangte. Zu den parteipolitischen
Grabenkämpfen zwischen den ehemaligen Sozialisten, den
heutigen Sozialdemokraten (SDSM) und den antikommunistisch
geprägten, nationalen Parteien (VMRO-DPMNE, VMRO-narodna)
bedrohen die anhaltenden Spannungen zwischen der mazedonischen
Bevölkerungsmehrheit (circa 66 Prozent) und der albanischen
Bevölkerungsminderheit (circa 24 Prozent) die Stabilität
des Landes.
Mit der Gründung der Republik Mazedonien erhielten die
slawischstämmigen Mazedonier erstmals ihren unabhängigen
Nationalstaat, der allerdings von Beginn an Heimat für seine
multiethnische Bevölkerung aus Albanern, Roma, Türken,
Valachen, Serben und anderen bieten musste. Während die
mazedonische Verfassung von 1991 deutlich liberale Züge
aufwies und auch die Rechte aller im mazedonischen Staate lebenden
Minderheiten anerkannte, war es auch die spürbare
Unterrepräsentierung der albanischen Volksgruppe in den
Staatsinstitutionen sowie die Dominanz des Mazedonischen, die bei
den Albanern nie eine Identifikation mit dem Staat, in dem sie
lebten, aufkommen ließ.
Angespornt vom erfolgreichen Befreiungskampf der Albaner gegen
das serbische Joch im Kosovo kam es sodann im Jahr 2001 zum
bewaffneten Konflikt in Mazedonien, wenngleich die Umstände in
der völkerrechtlich zu Serbien gehörenden Nachbarprovinz
nicht mit der Lebenssituation der Albaner in Mazedonien
vergleichbar waren. Der anschließende Friedensprozess mit den
in der südmazedonischen Stadt Ohrid festgelegten
Verfassungsänderungen zugunsten der Albaner konnte zwar die
Kampfhandlungen beenden, zu einer wirklichen Aussöhnung
zwischen den Volksgruppen hat er allerdings bislang nicht
geführt.
Großes Konfliktpotenzial
Die Ende des vergangenen Jahres beschlossene territoriale
Neuordnung des Landes hat nicht nur zu mehr Partizipation der
albanischen Bevölkerung an den politischen Prozessen auf
lokaler Ebene geführt, sondern auch teilweise zu
Bezirksgrenzen entlang ethnischer Linien. Innerhalb dieser
Gebietsgrenzen findet die Begegnung der Albaner mit ihren
mazedonischen Landsleuten kaum mehr statt. Vielmehr führt die
von der internationalen Gemeinschaft protegierte Emanzipation der
albanischen Bevölkerung und der als Gegenreaktion
geschürte Nationalismus der Mazedonier zu einer schleichenden
Segregation des Landes.
Jüngst ist ein Gesetz verabschiedet worden, das das Hissen
der albanischen Flagge mit dem doppelköpfigen Adler vor den
Gemeinden mit überwiegend albanischer Bevölkerung
gestattet. Da dies nicht nur das Staatswappen der souveränen
Republik Albanien, sondern gleichermaßen das einende Banner
des albanischen Volkes in der Welt ist, werden dadurch die
Ängste der Mazedonier vor einer Spaltung ihres Landes
angefacht. Unter diesen Vorzeichen ist die langfristige
Stabilität der Republik Mazedonien, die all ihren Bürgern
Sicherheit und Wohlstand bietet, nach wie vor nicht
gewährleistet.
Es ist eine der zentralen Fragen des Balkans, ob und wieweit es
den beiden benachbarten Staaten Mazedonien und Albanien gelingt,
sich in ihrer Staatlichkeit zu konsolidieren, um dadurch ein
erhebliches Konfliktpotenzial in Europa zu bändigen. Die hohe
Zahl und politische Relevanz privater Gewaltakteure, die
nachhaltige wirtschaftliche Krise mit einer hohen Arbeitslosigkeit
von durchschnittlich 35 Prozent und geringen Steuereinnahmen,
systematische Wahlfälschungen und fragile rechtsstaatliche
Strukturen kennzeichnen Mazedonien und Albanien als schwache
Staaten. Neben der anhaltenden Schwäche der Institutionen in
beiden Ländern kommt erschwerend hinzu, dass die historische
mazedonische und die albanische Frage aufs engste miteinander
verbunden sind. Weder die eine noch die andere kann gänzlich
zur Zufriedenheit aller Beteiligten beantwortet werden.
Es liegt jedoch im Interesse aller, nicht zuletzt auch der
Europäischen Union, die Staatsstrukturen in der Region soweit
zu stärken, dass sich von hier aus keine destabilisierenden
Zentrifugalkräfte auf ganz Europa entfalten.
Es stellt sich daher die Frage, ob die zügige
Annäherung beider Länder an die europäischen
Strukturen Abhilfe schaffen könnte, in der Hoffnung, dass die
Europäisierung der Region ethnische Fragen in den Hintergrund
treten lässt. Die wesentliche Voraussetzung wären
allerdings rechtsstaatliche Strukturen, die ausländische
Investoren anlocken und dadurch eine positive wirtschaftliche
Entwicklung ermöglichen.
Hilfestellungen seitens der Europäischen Union sowie der
USA sind ausreichend vorhanden. Diese müssen allerdings
zunächst einmal von den örtlichen
Entscheidungsträgern genutzt werden, um die schwachen Staaten
der Balkanregion jemals zum Beitritt in die EU zu befähigen.
Es muss der politischen Elite in Albanien und Mazedonien deutlich
aufgezeigt werden, dass der Weg in die EU nur über
tiefgreifende politische und wirtschaftliche Reformen in ihren
Ländern führen kann. Erst dadurch kann dauerhaft das
"Pulverfass Balkan" entschärft und den Menschen in der Region
eine sichere europäische Perspektive aufgezeigt werden.
Andreas Klein war von 2000 bis 2004 Leiter des Büros der
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Skopje.
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