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Rainer Falk
Eine unfreundliche Beziehung
Die Rolle von IWF und Weltbank beim
Nation-Building
In der Tätigkeit von Internationalem Währungsfonds
(IWF) und Weltbank unterscheidet man gemeinhin zwischen drei Formen
der Kreditvergabe: Während die Vergabe kurzfristiger
Beistandskredite zur Überbrückung externer
Zahlungsprobleme die traditionelle Domäne des IWF ist, sind es
bei der Weltbank im Wesentlichen die so genannten
Investitionsdarlehen und Strukturanpassungskredite. Zu den
Investitionsdarlehen zählt alles, was die Bank an
Infrastrukturprojekten wie Straßen, Häfen, Schulen oder
Krankenhäusern finanziert, aber auch Sektorkredite, etwa zur
Entwicklung des Energiesektors eines Landes. Die
Strukturanpassungskredite waren seit jeher an ein Set
makro-ökonomischer Politikauflagen geknüpft, wobei hier
im Wesentlichen die Verwirklichung strukturpolitischer
Kernforderungen verlangt wurde, etwa die Privatisierung bestimmter
Staatsunternehmen, die Liberalisierung des Außenhandels und
der Investitionsbestimmungen für ausländische Unternehmen
und die Deregulierung des inneren Marktes.
Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass die
Weltbank in jüngster Zeit ihre Strukturanpassungsdarlehen in
"Development Policy Lending" umbenannt hat, was etwa so viel wie
"entwicklungspolitisch orientierte Darlehensvergabe" bedeutet.
Während also bei den Investitionsdarlehen Projekte und
Infrastrukturprogramme im Mittelpunkt stehen, geht es bei der
zweiten Kategorie um die Gesamtpolitik eines Landes.
Alle drei Formen der Kreditvergabe durch die beiden
Bretton-Woods-Institutionen stehen zu den Bestrebungen der
Entwicklungsländer nach Nation-Building in einem
überwiegend negativen Spannungsverhältnis. Zwar mag es
vom Prinzip her für ein gerade unabhängig gewordenes Land
mit schwachen wirtschaftlichen Strukturen von Vorteil sein, im
Falle externer Schocks - zum Beispiel eines plötzlichen
Einbruchs der Exporteinnahmen - auf einen Stand-by-Kredit des IWF
zurückgreifen zu können. In der Praxis erklärt sich
das betreffende Land jedoch im Gegenzug zum Verzicht auf
Selbstbestimmung in Kernbereichen seiner Wirtschaftspolitik bereit.
Auch ein solcher Souveränitätsverzicht mag noch
vertretbar sein, wenn er sich auf einzelne Fälle der
Mißwirtschaft beschränkt und vorübergehender Natur
bleibt.
Faktisch jedoch hatte das massive Eingreifen des IWF seit Beginn
der 80er-Jahre einen wesentlichen Anteil daran, dass
Nation-Building und wirtschaftliche Souveränität, die auf
die Eroberung der politischen Unabhängigkeit von den
ehemaligen Kolonialmächten in den 60er- und 70er-Jahren folgen
sollten, zur Makulatur wurden. Zwar ging das Kuratel des IWF nicht
überall so weit wie im ehemaligen Zaire, wo die Beamten des
Fonds zeitweise direkt und unmittelbar die Staatsgeschäfte
übernahmen, so dass der Diktator gewissermaßen in Ruhe
seinen Luxusbedürfnissen nachgehen konnte. Doch das nahezu
flächendeckend angelegte Engagement des Fonds richtete vor
allem in Afrika jene Abhängigkeiten wirtschaftlicher und
politischer Art wieder auf, die man gerade für überwunden
hielt.
Dabei hatte es für den IWF in den 60er- und 70er-Jahren
sowohl von seinem Mandat der Überwachung der Wechselkurse aus
betrachtet, als auch in den Verhältnissen vor Ort in den
heutigen Schuldnerländern kaum Ansatzpunkte für ein
Eingreifen in großem Stil gegeben. Paradoxerweise wurde
dafür erst durch eine bestimmte Politik der Modernisierung der
Boden bereitet. In diesem Zusammenhang galten vielerorts
kreditfinanzierte Großprojekte wie Staudämme,
Flughäfen und Autobahnen als die "Kathedralen des
Fortschritts", an deren Realisierung man meinte, den Grad der
modernen "Nationwerdung" und "Staatsbildung" ablesen zu
können. Natürlich trug die Weltbank durch ihre
Kreditvergabe kräftig zur "Verwirklichung" solcher Träume
bei, und wo das Portfolio der Weltbank nicht ausreichte, sprangen
in den 70er-Jahren bereitwillig die privaten Banken in die Bresche
- ein einträgliches Anlagefeld für reichlich vorhandenes
Kreditgeld witternd.
Erst als dieses Modernisierungsmodell platzte, deren integraler
Bestandteil auch Nation-Building war, und die Schuldenfalle
zuschnappte, war die Stunde des IWF gekommen. Es war zugleich der
Auftakt einer neuen historischen Phase der Marginalisierung
großer Teile der Dritten Welt, die in vielen Fällen immer
auch mit Entstaatlichung und Entsouveränisierung
verknüpft war. Das Streben nach Nation-Building erschien jetzt
nur noch als blasser Abglanz einer heroischen Vergangenheit. Die
heute so oft zitierte Globalisierung ist aus dem Blickwinkel des
Südens nichts anderes als die unter dem Druck der
Schuldenkrise durchgesetzte, groß angelegte Abtretung von
Souveränitätsrechten an internationale Institutionen, in
denen die Industrienationen Europas, die USA und Japan den Ton
angeben.
Seither kämpfen die Vertreter des Südens unter den
schwierigeren Bedingungen eines veränderten
Entwicklungsparadigmas namens Strukturanpassung um neue
Spielräume, in deren Rahmen sich die Ambitionen von
Entwicklung verwirklichen lassen. Doch das Grundprinzip des neuen
Paradigmas lautet jetzt nicht mehr, wie die Strukturen der
Weltwirtschaft an die Interessen des Südens anzupassen seien
(wie es noch in der Forderung der 70er-Jahre nach einer neuen
Weltwirtschaftsordnung anklang), sondern vielmehr, wie die
Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer an die Erfordernisse
des vom Norden beherrschten Weltmarkts angepasst werden muss. Dabei
bleibt so mancher Traum auf der Strecke. Die Weltbank, die Ende der
60er-Jahre schon einmal die Befriedigung der Grundbedürfnisse
als zentrales Ziel auf die Tagesordnung gesetzt hatte, hat seit
Beginn der 90er-Jahre verstärkt versucht, das Ziel der
Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt zu rücken. Dabei
wurde versucht, die negativen sozialen Auswirkungen der
Strukturanpassungsprogramme (SAPs) abzufedern. Da diese Programme
jedoch - auch gemessen an ihren wirtschaftlichen Zielsetzungen wie
Wiederherstellung nachhaltigen Wachstums - nicht erfolgreich waren,
kam man nicht umhin, auf jede Generation von SAPs eine neue folgen
zu lassen, mit der Konsequenz, dass die Wirtschaftspolitik vieler
Länder inzwischen durch eine ununterbrochene Kette
fremdbestimmter Programme geprägt wird, an deren
"Internalisierung" es jedoch mangelt.
Die Antwort der Weltbank (und auch anderer Akteure der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit) auf dieses Problem
lautet: Stärkung der "Owner-ship". Damit ist gemeint, dass
sich die Klienten im Süden, welche die Programme umsetzen
müssen, diese besser als bislang zu eigen machen sollen und
dann in größerer Eigenverantwortlichkeit handeln
können. Eine zentrale Rolle dabei spielt, inwieweit bei der
Erarbeitung dieser Programme Partizipation und Mitwirkung der
Bevölkerung vor Ort gegeben ist. Das betrifft nicht nur die
Rolle der lokalen Zivilgesellschaft und die Rechte von
Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Dazu gehört erstrangig
auch die Frage, wieviel nationale Parlamente und Regierungen in
diesem Zusammenhang zu sagen haben. Die Frage nach mehr "Ownership"
könnte also zurückführen zu der Frage, welche
Bedeutung einer gestärkten nationalen Souveränität
im Rahmen einer effektiven Entwicklungspolitik heute zukommt, und
damit auch zu einer Reaktualisierung von Konzepten des
Nation-Building.
Solange allerdings die Bretton-Woods-Institutionen bzw. ihre
wichtigsten "Shareholder" nicht bereit sind, den ärmeren
Nationen des Globus adäquate Mitspracherechte in den eigenen
institutionellen Strukturen einzuräumen, ist die Ausrufung von
mehr "Owner-ship" wenig glaubwürdig. Bis heute muss sich die
Gruppe der 77 (der inzwischen 132 Entwicklungsländer
angehören) mit gut 28 Prozent der Stimmen im IWF
begnügen, während die USA mit fast 18 Prozent allein
über eine Sperrminorität bei Grundsatzentscheidungen
verfügen. Auch Europa ist mit über 30 Prozent der
Stimmrechte überrepräsentiert. Ein erster Schritt, dies
zu ändern, wäre eine Reform im Bereich der
Basisstimmrechte im IWF. Dort sind die Stimmen nicht nach dem
Kapitaleinlageprinzip, also nach wirtschaftlicher Stärke,
sondern gleichmäßig auf alle Mitgliedsländer
verteilt. Nur: Der Anteil der Basisstimmen ist seit Gründung
des IWF von elf auf heute nur noch zwei Prozent
zurückgegangen. Doch ist auch das Prinzip des "One dollar -
one vote" überholungsbedürftig, wenn ein
Interessenausgleich zwischen Geber- und Nehmerländern erreicht
werden soll. Wer den schwächeren Nationen mehr
Eigenverantwortung bei der Verwirklichung von Programmen
übertragen will, muss ihnen auch mehr Rechte beim
Zustandekommen der damit verbundenen Konditionalität
einräumen.
Rainer Falk, freier Publizist in Luxemburg, gibt den monatlich
erscheinenden Informationsbrief "Weltwirtschaft & Entwicklung"
heraus.
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