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Simone Wisotzki
Auf dem Altar der Kompromisse
Die Rolle der Frau in patriarchalischen
Gesellschaften
Frauen sind verlässliche Partnerinnen, auf die
Entwicklungshilfeorganisationen beim Nation-Building gerne
zurückgreifen. Doch stößt die Einflussnahme von
außen in den betroffenen Staaten häufig auf
männlichen Widerstand. Die weibliche Teil- habe an der Macht
beinhaltet auch, überkommene Geschlechtervorstellungen zu
überdenken. Bevor innerstaatliche Konflikte gewaltsam
eskalieren, bedienen sich die Kriegsparteien
Geschlechterstereotype, die Frauen auf das Private reduzieren und
vom politischen Leben ausschließen. Die amerikanische
Wissenschaftlerin Jean Bethke Elshtain hat gezeigt, dass in Kriegen
Männer häufig als "gerechte Krieger" und Frauen als die
"schöne Seele" stereotypisiert werden. Wenn Friedensarbeit und
Nation-Building erfolgreich sein sollen, muss es gelingen, eine
Bandbreite an Geschlechterrollen herzustellen, die es Frauen
ermöglicht, ihre Vorstellungen vom Wiederaufbau von Staat und
Nation gleichberechtigt zu verwirklichen.
Von diesem anspruchsvollen Konzept geschlechtersensibler
Konfliktbearbeitung sind die beiden jüngsten Beispiele -
Afghanistan und Irak - weit entfernt. Obwohl beide Fälle in
ihrer Vorgeschichte und dem Konfliktgeschehen deutliche
Unterschiede aufweisen, lassen sich aus der Genderperspektive eine
Reihe von Gemeinsamkeiten identifizieren, die symptomatisch sind
für die Versäumnisse, die in der Realisierung
geschlechtersensibler Friedenspolitik zu beklagen sind. Dabei sind
die Grundlagen und Konzepte einer solchen Politik bis hin auf die
Ebene des UN-Sicherheitsrats ausbuchstabiert worden. Mit der
UN-Resolution 1325 "Frauen, Frieden, Sicherheit" ist es der
internationalen Frauenfriedensbewegung gelungen, konkrete
Maßnahmen einer geschlechtersensiblen Konfliktnachsorge im
Bewusstsein der Weltgemeinschaft zu verankern. Darin heißt es
unter anderem, dass Frauen im Implementierungsprozess der
Friedensabkommen beteiligt werden sollen und Frauenrechte auch im
Neuentwurf von Verfassung, bei Rechtsreformen, im Wahlsystem sowie
dem Aufbau von Polizei und Armee berück-sichtigt werden.
Gendersensiblem Nation-Building fehlt es nicht an normierten
Grundlagen und guten Programmen, es mangelt jedoch auf
internationaler wie nationaler Ebene an politischem Willen,
Entschlusskraft und Nachhaltigkeit, diese Vorgaben umzusetzen. Die
Genderperspektive stößt immer dann auf Widerstand, wenn
es um die Teilhabe an der politischen Macht oder um die Revision
tradierter Geschlechtervorstellungen geht. Besonders kritisch wird
der Umgang mit den Frauenrechten, wenn ihre Realisierung auf
religiöse Vorbehalte trifft. Die rechtliche Situation
muslimischer Frauen in Konfliktgebieten hängt entscheidend von
der gewählten Rechtsgrundlage ab - die Scharia gilt dabei
allgemein als besonders problematisch.
Für Männer wie Frauen in Afghanistan war das Leben
unter der Herrschaft der Taliban kaum zu ertragen. Frauen waren
jedoch in besonderer Weise betroffen, weil sie unter anderem vom
Erwerbsleben, von der Schulbildung und auch sonst vom
öffentlichen Leben systematisch ausgeschlossen wurden. Doch
auch nach ihrer Befreiung von der Schreckensherrschaft bleibt ihre
Situation problematisch. Zwar waren einige wenige Frauen an den
Friedensverhandlungen in Bonn und an der Ausarbeitung der
Verfassung beteiligt, doch blieb ihr Anteil und ihr Einfluss
deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die neue Verfassung,
die die verfassungsgebende Versammlung im Dezember 2003 beschlossen
hat, knüpft immerhin an die alte Verfassung von 1964 an: Schon
damals war den Frauen Gleichberechtigung zugesagt worden und ihnen
das Recht zugestanden, sich politisch zu engagieren und Funktionen
in Regierung und Parlament zu übernehmen. Die
verfassungsmäßig garantierte Gleichheit erhält
allerdings einen Interpretationspielraum durch Artikel 3, der die
Bedeutung des Islams als Grundlage der Rechtssprechung betont.
Menschenrechtsexperten befürchten, dass das noch zu
entwickelnde Rechtssystem und die Rechtsetzung zu Ungunsten von
Frauen ausfallen und das diskriminierende Sharia-Recht doch noch
Anwendung findet.
Die Sicherheitslage der Frauen in einer äußerst
fragilen Nachkriegssituation bleibt beklagenswert. In Afghanistan
kommt die prekäre Lage zudem in einem starken
Stadt-Land-Gefälle zum Ausdruck. Während sich die
rechtliche Situation und das Alltagsleben von Frauen in der
Hauptstadt Kabul verbessert hat, herrscht im Hinterland weiterhin
Anarchie. Vor allem dort sind Frauen und Mädchen weiterhin von
der Willkürherrschaft ihrer Männer und Väter
abhängig, leiden unter häuslicher Gewalt und sehen
oftmals den einzigen Ausweg, sich aus ihrer Zwangsehe zu befreien,
in ihrem Tod. Definiert man Sicherheit aus der Perspektive der
"menschlichen Sicherheit" so fehlt es Frauen und ihren Familien an
grundlegender medizinischer Versorgung, Möglichkeiten der
Existenssicherung und Schulbildung. Natürlich sind Männer
ebenfalls von den defizitären Verhältnissen betroffen,
doch trifft es Frauen, die sich traditionell um Familie und Kinder
sorgen, umso härter.
Zwar ist den Frauen Afghanistans in der Verfassung eine Quote
von 25 Prozent der Parlamentssitze zugesichert worden, doch folgten
bislang nur zwei bis sieben Prozent der Frauen in den
ländlichen Bezirken den Wahlaufrufen. Hier fehlt es an
Informationen und Aufklärung, denn die Mehrheit glaubt, sich
nur von ihren Männern politisch vertreten lassen zu
dürfen. Frauenrechte bleiben in Afghanistan von
männlicher Willkür abhängig. Mit dem Ministerium
für Frauenangelegenheiten ist in der Tat eine wichtige
Anlaufstelle für die Stärkung von Frauenrechten
geschaffen worden, die auch Einfluss auf die Entwicklung
geschlechtersensibler Programme in den Ministerien haben soll. In
der Praxis wurde jedoch die erlassene Schulpflicht für
Mädchen vom neuen Erziehungsminister sofort wieder
eingeschränkt. Sie gilt fortan nicht mehr für die
Verheirateten unter ihnen - die meisten Mädchen sind bei ihrer
Eheschließung nicht einmal 14 Jahre alt.
Im Irak war die Ausgangslage für Frauen eine andere. Der
irakische Diktator Saddam Hussein schuf einen säkulären
Staat, in dem die Integration von Frauen ins öffentliche Leben
zum Reformprogramm seiner Baath-Partei gehörte. Nach dem
Golfkrieg von 1991 und der Verhängung von
Wirtschaftssanktionen nutzte Hussein verstärkt den Islam, um
seine Legitimität sicherzustellen und nahm hin, dass Frauen
Einschränkungen im öffentlichen Leben erfuhren. Dennoch
war es ihnen möglich, Schulen und Universitäten zu
besuchen und ihrer Arbeit nachzugehen.
Auch wenn vor allem die soziale Sicherheit in den Jahren der
Wirtschaftssanktionen prekär war, hat sich die
Sicherheitssituation insbesondere für Frauen und Mädchen
mit dem Sturz des Diktators drastisch verschlimmert. Allein aus
Bagdad berichten Menschenrechtsorganisationen von Verschleppung und
systematischer Vergewaltigung junger Mädchen und Frauen. Die
politische Lage des Landes bleibt durch den Terror und den
stärker werdenden Konflikt zwischen den Schiiten, Sunniten und
Kurden angespannt. Der Streit dreht sich vor allem um die Frage der
Vormachtstellung der Religion im Rechtssystem und die föderale
politische Organisation des Landes - die Frage der
Gleichberechtigung der Frauen tritt dabei in den Hintergrund und
wird auch von der amerikanischen Übergangsregierung auf dem
Altar der Kompromisse zwischen den Konfliktparteien allzu
bereitwillig geopfert. Dies zeigte sich sehr deutlich im
kürzlich abgeschlossenen Verfassungsprozess: Zwar waren Frauen
durch Quotierung daran beteiligt, doch dem Druck von außen,
die Verfassung schnell abzuschließen, fielen die Frauenrechte
zum Opfer. Immerhin ist es der wiedererstarkten irakischen
Frauenbewegung gelungen, zu verhindern, dass die Scharia zur
Grundlage des neuen Familienrechts wird - in der Verfassung finden
sich zwar Hinweise auf die Bedeutung des Islams als Quelle der
Rechtssprechung, aber immerhin keine Referenz zur Scharia.
Der Wiederaufbau von Staat und Gesellschaft kann nicht gelingen,
wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung vom Erwerbsleben
und politischer Mitarbeit ausgeschlossen wird. Untersuchungen heben
die sozioökonomische Bedeutung berufstätiger Frauen
hervor, aber auch ihre Aufgabe in der Mitgestaltung des
gesellschaftlichen Zusammenlebens. In der praktischen
Friedensarbeit gelingt es Frauengruppen häufiger, ethnische
Differenzen zu überwinden. Ihr Engagement trifft immer dann
auf kulturelle und religiöse Vorbehalte, wenn es um die
Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse oder gar um die
Teilhabe an der politischen Macht geht. Frauen muss deshalb die
Chance auf Mitsprache eingeräumt werden, die Quotierung beim
Wiederaufbau politischer Institutionen ist hierfür ein erster
Schritt.
Dr. Simone Wisotzki arbeitet bei der Hessischen Stiftung
Friedens- und Konflikforschung in Frankfurt am Main.
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