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Martin Wagner
Plausibilität des Pragmatismus
Nation-Building im Sicherheitsinteresse der
USA
"I don't think our troops ought to be used for
what's called nation-building. I think our troops ought to be used
to fight and win war." (George W. Bush, 11. Oktober 2000)
Natürlich ist dieser Satz, gesprochen im Wahlkampf gegen den
damals amtierenden Vizepräsidenten Al Gore im Jahr 2000, dem
späteren Päsidenten George W. Bush um die Ohren gehauen
worden. Hier will sich einer vor der Verantwortung um die Welt
drücken, musste er sich sagen lassen. Zumal gleichzeitig zu
beobachten war, mit welchem Zeitaufwand und persönlichem
Einsatz sich der amtierende Präsident Bill Clinton um Frieden
im Nahen Osten bemühte - mit dem erkennbaren Ziel, einen
Palästinenserstaat entstehen zu lassen.
Nation-Building, damit war und ist kein
Wahlkampf in den USA zu gewinnen. Und dass die Armee dafür da
ist, Kriege zu führen, leuchtet den Wählern in Kansas
oder Mississippi eher ein als der Hinweis darauf, dass es für
die USA wichtig ist, in Somalia, Haiti, Bosnien oder im Kosovo mit
eigenen Soldaten vertreten zu sein. In diesen Ländern hat die
Regierung Clinton in den 90er-Jahren mit unterschiedlichem Erfolg
interveniert und sich im Nation-Building versucht. Wobei nicht
vergessen werden darf, dass Clinton im Jahr 1991 die Wahlen gegen
einen außenpolitisch erfolgreichen Präsidenten mit einem
fast ausschließlich auf Wirtschafts- und Innenpolitik
konzentrierten Wahlkampf gewonnen hatte. Bush senior hatte für
den Krieg gegen den Irak Anfang 1991 eine internationale Koalition
zu Stande gebracht und sich erst gar nicht darauf eingelassen, das
Regime von Saddam Hussein aus Badgad zu verjagen, was
anschließendes Nation-Building unumgänglich gemacht
hätte.
Von Bush senior sollte Bill Clinton zweierlei
"erben", was seine spätere Politik des Nation-Building erst
möglich machte. Zum einen war es Bush gelungen, die Implosion
des Sowjetimperiums ohne größeren Schaden für den
Rest der Welt friedlich abzufedern. Plötzlich war der Kalte
Krieg zu Ende und die USA waren die einzige verbliebene Supermacht.
Das eröffnete neue Möglichkeiten und Chancen, brachte
aber auch Verpflichtungen mit sich. Das zweite Erbe, das Clinton
von Bush senior übernehmen musste, war weniger erfreulich.
Amerikanische Soldaten waren in Somalia stationiert. Was als
Intervention aus humanitären Gründen begonnen hatte,
entwickelte sich zum - unter dem Titel "Black Hawk Down" verfilmten
- Beispiel dafür, wie gute Absichten nichts bewirken und
Nation-Building schiefgehen kann. Das in Wash-ington beheimatete
Forschungsinstitut Rand-Corporation hat in seiner Studie über
Nation-Building Somalia wörtlich als "Tiefstpunkt" beschrieben
und - damit dies nicht missverstanden werden kann -
hinzugefügt: "Alles, was schiefgehen kann, ging
schief."
Der Rückzug der amerikanischen Truppen
im Jahr 1994 war nicht mehr und nicht weniger als das
Eingeständnis des Scheiterns. Jedenfalls war nicht erreicht,
was die Rand-Corporation als Ziel von Nation-Building definiert,
nämlich den "dauerhaften Übergang zur Demokratie" zu
schaffen. Doch das hielt die Regierung Clinton nicht davon ab,
immer wieder - im Schnitt alle zwei Jahre, wie Statistiker
ausgerechnet haben - den Versuch zu unternehmen, einer Nation auf
die Beine zu helfen: Von Haiti über Bosnien bis zum Kosovo.
Dass die USA im eigenen Hinterhof Haiti eingegriffen haben,
lässt sich mit regionalpolitischen Interessen erklären,
das Eingreifen im Herzen Europas nur mit europäischem
Versagen. Die USA konnten sich diese Einsätze leisten, weil
mit dem Ende des Kalten Krieges die automatische Konfrontation mit
der Sowjetunion ebenfalls ein Ende hatte. Bis dahin war der Fall
klar: Wo das weltpolitische Gleichgewicht ins Wanken geriet, war
Intervention angesagt - unabhängig von der humanitären
Bilanz des Regimes, das es zu stützen oder stürzen galt.
In dieser Hinsicht boten die Clinton-Jahre den USA die Chance, sich
als Supermacht des guten Willens zu präsentieren, die nicht
nur dann eingreift, wenn ihre eigenen nationalen Interessen
tangiert sind. Die "Clinton-Doktrin" brachte der Journalist Michael
Kinsley im Jahr 2000 im Online-Magazin "slate" auf einen kurzen
Nenner: "Die USA werden manchmal versuchen, humanitäre
Katastrophen zu stoppen und Freiheit und Demokratie weltweit zu
schützen." Die Betonung liegt auf den Worten "manchmal" und
"versuchen", weil sie der US-Regierung die Freiheit geben,
einzugreifen (Kosovo) oder auch nicht (Ruanda). Denn egal, wie sie
handeln, müssen sich die USA gelegentlich schelten lassen:
Für das Eingreifen oder das Nicht-Eingreifen. Aber mangels
weltpolitischer Konkurrenz sind sie in ihrer Entscheidung
weitgehend frei.
Immerhin hat die Regierung Clinton es nicht
versäumt, das Nation-Building mit einer "Presidential Decision
Directive" (Nummer 56 vom Mai 1997) wenigstens in groben Zügen
zu regeln. Sie stellte den Rahmen auf, der zum Beispiel zwei Jahre
später im Kosovo einigermaßen erfolgreich Anwendung fand.
Unter dem Strich ist es der Regierung Clinton gelungen, sich als
wohlmeinende und warmherzige Supermacht darzustellen, die
Nation-Building auch dann betreibt, wenn es nicht im
vordergründigen eigenen Interesse liegt. Dass sie dies gerne
in Koalitionen mit anderen zusammen betreibt, spart Geld und dient
dem Ansehen der USA.
Daran wollte die Regierung von George W. Bush
ganz bewusst nicht anknüpfen. Was der Gouverneur von Texas im
Jahr 2000 im Wahkampf formulierte, klang zum einen plausibel und
zum anderen vage genug, um an die Realität angepasst zu
werden. Wobei es George W. Bush durchaus abgenommen werden kann,
dass er es ernst meinte, als er von außenpolitischer
Bescheidenheit sprach, die den USA gut anstehe. Dass diese
Bescheidenheit nicht unbedingt die Sache der Cheneys und Rumsfelds
war, sei zugestanden, doch Bush traf mit seinem Isolationismus
einen Nerv. Die Bürger der USA sind nicht
übermäßig an der Welt interessiert. Das erklärt
das Entsetzen und Erstaunen, als den USA am 11. September 2001 von
einem Teil der Welt gewissermaßen die Tür eingetreten
wurde. Diese Anschläge haben den USA in grausamer
Brutalität klargemacht, dass sie es sich nicht leisten
können, in friedlich-fröhlicher Isolation zu leben. Nach
den Anschlägen des 11. September 2001 realisierte die
Regierung Bush, dass es für die USA eine ganz konkrete
Bedeutung hat, in welchem Zustand sich andere Staaten befinden. Der
Angriff auf Afghanistan im Oktober 2001 war nicht nur logisch, weil
sich Osama bin Laden, der Al-Qaida-Chef und Hintermann der
Anschläge, dort aufgehalten hatte, sondern auch, weil das
Taliban-Regime das für Terroristen geradezu geschaffene Umfeld
war. Und damit war die Regierung Bush nolens-volens beim
Nation-Building angelangt. Nicht aus ideologischer
Überzeugung, sondern aus der realpolitischen Einsicht in die
Notwendigkeit, nach dem militärischen Vorgehen gegen
Afghanistan etwas zu tun, was den "dauerhaften Übergang zur
Demokratie" sichert.
Damit befindet sich die Regierung Bush auf
ähnlich unsicherem Gelände wie die Regierung Clinton,
denn natürlich muss sie sich fragen lassen, warum sie im einen
Fall eingreift und warum im anderen nicht. Wobei Bush offensiver
als Clinton das Vorgehen seiner Regierung erklärt: Nicht erst
in seiner Rede, als er im Januar 2005 auf den Stufen des Capitols
zum zweiten Mal den Amtseid ablegte und das Verbreiten von Freiheit
und Demokratie zum Programm machte. Bereits im Jahr 2003 sagte Bush
wörtlich: "Nachdem wir Feinde besiegt haben, haben wir nicht
Besatzungsarmeen zurückgelassen, sondern Verfassungen und
Parlamente. Wir haben eine Atmosphäre der Sicherheit
hergestellt, in der verantwortungsbewusste, reform-orientierte
örtliche Führungspersönlichkeiten dauerhafte
Institutionen der Freiheit aufbauen konnten. In Gesellschaften, in
denen einst Faschismus und Militarismus gediehen, hat die Freiheit
eine dauerhafte Heimat gefunden."
Ein schöneres Bekenntnis zum
Nation-Building lässt sich kaum formulieren. Natürlich
ist das kein Zufall, denn dem wenig umstrittenen Afghanistan-Krieg
folgte der überaus umstrittene Irak-Krieg. Nicht zufällig
knüpft Bush deshalb an den Zweiten Weltkrieg und an die
erfolgreichen Beispiele Japan und Deutschland an, die von
Kriegsgegnern zu demokratischen Partnern wurden. Die Frage lautet
indes: Hat sich die einzige Supermacht damit übernommen? Die
Rand-Corporation hat in ihrer Studie sieben Fälle von
Nation-Building untersucht: Deutschland und Japan, Somalia, Haiti,
Bosnien, Kosovo und Afghanistan. Auf einen kurzen Nenner gebracht
lauten die Erkenntnisse:
Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg
der Mission ist der Einsatz von Truppen, Geld und Zeit, und zwar
nach dem Motto: Je mehr, desto besser. Ein multilateraler Einsatz
ist komplizierter, aber preiswerter für alle Beteiligten. Die
Unterstützung der Nachbarstaaten ist unverzichtbar, soll
Nation-Building erfolgreich sein. Schnelle Erfolge gibt es nicht.
Erfolge in der Vergangenheit gab es nicht unter sieben Jahren
Engagement.
So gesehen läßt sich momentan noch
gar nicht sagen, ob den Bemühungen der Regierung Bush in
Afghanistan und im Irak Erfolg beschieden sein wird. Gemessen an
den Maßstäben der Rand-Coporation ist das finanzielle,
personelle und zeitliche Engagement der USA in beiden Ländern
auf alle Fälle zu gering. Doch diese Erkenntnisse werden die
Realpolitik der Regierung Bush vermutlich nicht beeinflussen. Sie
ist nicht aus freien Stücken beim Nation-Building gelandet,
sondern wurde durch die Ereignisse zunächst in Afghanistan
dazu gezwungen und hat dann im Irak Nation-Building zum Programm
erklärt, nachdem Massenvernichtungswaffen nicht gefunden
wurden und als Kriegsgrund wegfielen. Das ist der bemerkenswerte
Wandel, den die Regierung Bush in ihrer Haltung zum Nation-Building
durchgemacht hat. Von kühler Ablehnung über
realpolitische Akzeptanz bis hin zu moralisch begründeter
Befürwortung.
Robert Rotberg, Direktor des Programms
für innerstaatliche Konflikte an der Kennedy-School in
Harvard, geht sicher zu weit, wenn er meint: "Wenn es irgendwo auf
der Welt eine ernsthafte Verletzung der Menschenrechte gibt, ist
das eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten." Diesem Ansatz
wird die Regierung Bush nicht folgen. Nicht die Menschenrechte
motivieren sie zum Eingreifen, sondern die Sicherheitsinteressen
der USA. Die Regierung Bush setzt auf einen positiven
Domino-Effekt, wonach eine Demokratisierung des Irak positive
Folgen für den gesamten Nahen Osten haben wird. Diese
Einschätzung ist von einem hohem Maß an Pragmatismus
geprägt. Die USA engagieren sich dort, wo das Engagement in
amerikanischem Interesse liegt - und das ist nur
plausibel.
Martin Wagner ist Korrespondent des Bayerischen Rundfunks in
Washington.
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