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Ursula Homann
Im dunklen Schatten der Väter
Kinder von NS-Tätern melden sich zu
Wort
Schon in den 80er-Jahren tauchte in Büchern
und in den Medien die Frage auf, wie die Kinder von Nazitätern
die Schuld ihrer Eltern verkraftet haben. Die Antworten fielen
unterschiedlich aus. In diesem Jahr haben sich drei der
jüngsten Kinder von Nazitätern zu Wort gemeldet: Richard
von Schirach, Margret Nissen geborene Speer und Niklas Frank.
Der Vater von Richard von Schirach, Baldur
von Schirach, war Jugendführer und seit 1940 als Wiener
Gauleiter mitverantwortlich für die Deportation der Wiener
Juden. Als er in Nürnberg als "Hauptkriegsverbrecher" vom
Internationalen Militärtribunal 1946 wegen Verbrechen gegen
die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, war sein
Sohn Richard gerade vier Jahre alt. Fortan begleitete ihn "der
Schatten seines Vaters", von dem er sich endgültig erst nach
einem halben Jahrhundert durch die Niederschrift seines jetztigen
Buches befreit hat.
Richard von Schirach erzählt
flüssig und fesselnd von der Verhaftung seiner Mutter kurz vor
Weihnachten 1945, von seinen Ängsten, seiner Einsamkeit,
seiner Odyssee durch Waisenhäuser und Internate sowie von der
Scheidung seiner Eltern. Wenn er den Erwachsenen zuhörte, die
mit ihren Kriegserlebnissen prahlten, fragt er sich: Warum haben
wir eigentlich den Krieg verloren, wenn der deutsche Soldat allen
anderen an Tapferkeit und Kampfesmut haushoch überlegen war?
Auch lernte er Menschen kennen, die im "Dritten Reich" dubiose
Rollen gespielt haben, wie etwa eine nach dem Krieg angesehene
Ärztin, die während des Nazi-Regimes Leiterin der
Ansbacher Heil- und Pflegeanstalt war.
Von einem bestimmten Zeitpunkt an lässt
Richard von Schirach die Frage nach der Schuld des Vaters nicht
mehr los, und so vertieft er sich in Bücher und Akten, die ihn
über die Rolle und das Auftreten seines Vaters in der NS-Zeit
und im Nürnberger Prozess aufklären. Als Richard zum
ersten Mal die große Aula der Universität München
betritt, sieht er dort die Gedenktafel für die Geschwister
Scholl und spürt, wie bedrückend nah die Vergangenheit
ist.
Nach der Entlassung des Vaters aus dem
Gefängnis im Herbst 1966 drängen sich ihm Fragen auf: Was
für ein Mensch war der Vater? Welche Träume hat er noch?
Ist er ein Demütiger? Ein Ungebrochener? Ein Gestriger?
Zunächst hält sich Richard mit Fragen zurück und
hilft dem Vater, sich im neuen Leben zurecht zufinden.
Glückwünsche treffen ein, die oft auf erschreckende Weise
klarmachen, dass es noch immer zahlreiche heimliche
Nazianhänger gibt. Durch die offenbart sich eine Welt, die den
erwachsenen Kindern Schirachs fern und fremd ist. Manche
rühmen Baldur von Schirachs Idealismus und "großartige
Leistung" für die deutsche Jugend in Krieg und
Frieden.
Da der jüngste Sohn vor allem verstehen
will, was den Menschen zum Wolf des Menschen werden lässt,
konfrontiert er den Vater schließlich doch mit unbequemen
Fragen: "Warum habt ihr nichts getan?" Die Antwort: "Vergiss nicht,
ich habe einen Eid geleistet!", und weiter fragt er: "Hast Du
gewusst, dass Juden keine Berge mehr besteigen durften und dass
Viktor Fraenkel heimlich, mit dem gelben Stern unter seiner
Kletterweste, eine Bergtour gemacht hat?" Dabei stand Richard nach
eigenem Bekunden zeitweilig in Gefahr, selbst ein Opfer von
Schuldgefühlen zu werden, die ihn angesichts der NS-Verbrechen
packten.
Vieles erklärt der Vater mit griffigen
Formeln. "Wir waren alle Antisemiten", gibt er zur Antwort, als die
Rede auf Himmlers "Endlösung der Judenfrage" kommt. Vergebens
wartet der Sohn auf ein persönliches Bekenntnis, auf Worte des
Mitgefühls. Die Erwartungen und Wünsche, die er
unausgesprochen an den Vater richtet, den der Vorsitzende in
Nürnberg einmal einen "Mann von Kultur" genannt hat, löst
dieser nicht ein, und wieder einmal wird deutlich, dass die
deutsche Kultur keinen Schutzwall vor Massenmord und
Unmenschlichkeit bietet.
Margret Nissen geborene Speer, Jahrgang 1938,
hat sich in Gesprächen mit zwei Publizistinnen über ihr
zwiespältiges Verhältnis zum Vater geäußert,
der viele Jahre Hitlers favorisierter Architekt und dann Minister
für Rüstung und Kriegswirtschaft war. Während ihrer
ersten Lebensjahre, die sie mit fünf Geschwistern auf dem
Obersalzberg verbrachte, hat sie den Vater nur selten gesehen und
ihn daher während seiner Haftzeit auch nicht wirklich
vermisst. Aber gemocht und bewundert hat sie ihn immer
sehr.
Später indes, lange nachdem der Vater in
Nürnberg als Kriegsverbrecher zu 20 Jahren Gefängnis
verurteilt worden war, verdross es sie, ständig in seinem
Schatten zu stehen und für ihn bestraft und verachtet zu
werden. Nichts war ihr so zuwider wie die Frage: "Sind Sie die
Tochter Speer?" In der Grundschule gab es keine Probleme für
die Speer-Kinder, wohl aber mit den Gymnasien. Keine dieser Schulen
wollte sie aufnehmen - wegen des Vaters. In Privatschulen kamen
schließlich die Söhne und in der
Elisabeth-von-Thadden-Schule die Töchter unter.
Als sich dort herausstellte, dass eine
Mitschülerin von Margret Speer die Tochter des hingerichteten
Widerstandskämpfers Hans-Bernd von Haeften war, fühlte
sie sich zum ersten Mal schuldig und sah ihr Leben plötzlich
in einem direkten Zusammenhang mit dem Leben und den Handlungen
ihres Vaters. In Frankreich war sie einmal sogar Anfeindungen
ausgesetzt, auf die sie nicht vorbereitet war. "Warum musste ich so
einen Vater haben?", haderte sie oft. "Musste er uns das
antun?"
Da Albert Speer vor dem Gericht sofort ein
Schuldgeständnis abgelegt hatte, gab es für die Familie
weder etwas aufzudecken wie in anderen deutschen Täterfamilien
noch bestand für sie die Chance, die Vergangenheit zu
ignorieren. Nach Speers Entlassung 1966 schien ohnehin mit der
Veröffentlichung seiner "Erinnerungen" und seinen "Spandauer
Tagebüchern" alles öffentlich beantwortet zu
sein.
Der Vater selbst kannte nach der
Haftentlassung nur noch ein Thema: sein Leben im
Nationalsozialismus, über das er mit allen redete, nur nicht
mit seiner Familie. Trotzdem beschäftigte auch Speers
Angehörige die bange Frage: Wie viel und was hat ihr Oberhaupt
tatsächlich gewusst? Sein einziges Zugeständnis lautete
stets: "Ich hätte es wissen können." So kam es, dass
Albert Speer - er starb 1981 in einem Londoner Hotel - sein
großes Geheimnis, warum er mitgemacht und was er von den
NS-Verbrechen gewusst hatte, mit ins Grab nahm.
Heute hat die Tochter, die lange Zeit von der
Schuld des Vaters nichts wissen wollte, keinen Zweifel an der
Echtheit seiner Schuldgefühle. Dennoch bleibt für sie die
Frage unbeantwortet, wie sich aus einem unkonventionellen,
humorvollen, sympathischen, sentimentalen jungen Mann dieser
ehrgeizige Machtmensch entwickeln konnte und warum der Vater 1942
den Posten als Rüstungsminister überhaupt übernommen
hat, der ihn zum Herrn über Arbeitskraft und Leben von
Millionen Zwangsarbeitern in der NS-Kriegswirtschaft machte.
Gleichwohl werde sie wohl, glaubt sie, "weiter zwischen einem
historischen und einem privaten Vater trennen müssen". Denn
nur so könne sie mit ihrer Erinnerung an ihn leben.
Beträchtliches Aufsehen erregte vor
einigen Jahren die gnadenlose Abrechnung des einstigen
"Stern"-Redakteurs Niklas Frank mit seinem Vater Hans Frank, der
als Generalgouverneur von Polen die Massenvernichtung von Juden und
Polen zugelassen hatte und 1946 in Nürnberg hingerichtet
worden war. Jetzt veröffentlicht Frank mit "Meine deutsche
Mutter" ein ebenfalls unbarmherziges Porträt seiner Mutter,
der sogenannten "Königin von Polen".
Bei dieser Familiengeschichte liegt die
Schuld der Eltern so offen zu Tage, dass der Sohn keine Skrupel
hat, seine Erzeuger erbarmungslos anzuklagen, da er sie als
liebevolle, ihm zärtlich zugetane Menschen allem Anschein nach
nie erlebt oder jede Erinnerung daran rigoros verdrängt hat.
Ihnen gegenüber fühlt er nur eine maßlose Wut, so
dass er nach etwaigen Entschuldigungsgründen oder
Beweggründen für ihr Handeln und Verhalten gar nicht erst
sucht.
Seine Mutter charakterisiert Niklas Frank als
dominant, als rücksichtslos in ihrem Besitzstreben, als
Kämpferin ohne Gewissen. Er unterstellt ihr, dass sie die
materielle Verbesserung ihres Lebens durch die Karriere ihres
Mannes bei den Nazis sehr genossen habe. Noch auf ihrem Sterbebett
1959 rät sie ihrem 20-jährigen Sohn: "Du musst jetzt wie
Vati Jura studieren. Damit auch aus Dir was Großes
wird."
Vor der NS-Zeit hatte Brigitte Frank in
München als selbständige Pelzhändlerin die besten
Geschäfte mit Juden gemacht, bis es ihr, wegen des Aufstiegs
der NSDAP und ihres Mannes opportun erschien, diese
Geschäftsbeziehungen abzubrechen. Im Krieg hatte sie sich in
Krakau von den Verzweifelten im Ghetto, wie andere Frauen der
deutschen Besatzer auch, per Befehl und ohne Bezahlung alles
heranschaffen lassen, was sie für lebensnotwendig hielt.
"Kinder, niemand schneidert hübschere Korseletts als die Juden
im Ghetto!" rühmte Frau Reichsminister Brigitte Frank. Das
Schicksal der Polen und Juden um sie herum war ihr allerdings
gleichgültig.
Mit geradezu masochistischer und
schonungsloser Besessenheit rechnet Niklas Frank fast
holzschnittartig wie kein anderer Abkömmling von
Nazi-Größen mit seinen Eltern ab, die er zu den
"schmutzigsten Familien des Dritten Reiches" zählt.
Richard von Schirach
Der Schatten meines Vaters.
Carl Hanser-Verlag, München 2005; 379
S., 23,50 Euro
Margret Nissen (Unter Mitarbeit von Margit
Knapp und Sabine Seifert)
Sind Sie die Tochter Speer?
Deutsche Verlags-Anstalt, München
2005; 228 S., 19,90 Euro
Niklas Frank
Meine deutsche Mutter.
C.Bertelsmann, München 2005; 480 S.,
22,90 Euro
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