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Mona Naggar
Vielfältiger als die Vorstellungen der
Eiferer
Eine Geschichte des Islams - die Weltreligion
lässt sich nicht auf Wunschbilder der Islamisten
reduzieren
Ein ehrgeiziges Unterfangen: Die Geschichte des
Islams von seinen Anfängen bis heute auf 300 Seiten, von
seiner äußersten Grenze im Osten (China) bis zur
äußersten Grenze im Westen (Andalusien), dazu in einer
einfachen, allgemein verständlichen Sprache geschrieben und
mit zahlreichen Abbildungen und Karten verdeutlicht. Mit Islam ist
nicht die Religion im engeren Sinn gemeint, sondern alles, was zur
Herausbildung einer Religion im Laufe der Jahrhunderte
beiträgt: soziale und politische Gegebenheiten, kulturelle
Einflüsse, Einwirkungen anderer Religionen und
Weltanschauungen.
Gudrun Krämer, Professorin für
Islamwissenschaft an der FU Berlin, beabsichtigt, die
Beziehungsgeschichte des Islam in den Mittelpunkt zu setzen: "Das
kann zugleich die Vielfalt und Wandelbarkeit islamischer Ideen und
Lebenswelten beleuchten, die eben nicht geradlinig aus Koran und
Sunna oder gar der beduinischen Kultur der Arabischen Halbinsel
erwachsen sind."
Ganz in diesem Sinne setzt die Autorin mit
einer Zustandsbeschreibung der Arabischen Halbinsel um das Jahr 600
ein, 30 Jahre nach der Geburt Mohammeds und ungefähr zehn
Jahre vor seinem Offenbarungserlebnis. Mekka und Medina (damals
noch Yathrib) lagen zwar am Rand der kulturellen Zentren der
damaligen Zeit, aber sie waren doch nicht ganz abgeschnitten. Die
Bevölkerung bestand aus Händlern, Bauern, Handwerkern und
Nomaden. Das religiöse Spektrum auf der Arabischen Halbinsel
war breit gefächert: verschiedene christliche Gruppierungen,
Juden und heidnische Glaubensvorstellungen, aber auch
Überlappungen von monotheistischen und heidnischen
Vorstellungen. In Mekka wurden drei weibliche Gottheiten verehrt,
die als "Allahs Töchter" betrachtet wurden. Ob Allah der
Hochgott in diesem Götterpantheon war, ist nicht
klar.
In dieser Umgebung tritt Mohammed mit der
koranischen Offenbarung auf. Er wirbt für den einen Gott,
spricht vom Jüngsten Gericht und vom Paradies. Die Frage, die
die Autorin stellt, inwieweit der Islam Ergebnis autochthoner
Enwicklungen ist oder vielmehr grundlegend auf äußere
Einflüsse gründet, ist sicherlich schwer zu beantworten,
da Gudrun Krämer auch darauf hinweist, dass sie für diese
Phase nur auf muslimische Quellen zurückgreifen
kann.
Trotzdem hätte man sich in Bezug auf den
Inhalt des Korans eine tiefere Analyse gewünscht. Gleiches
gilt für die Herausbildung des Ritus. Man liest zwar, dass der
Islam in den ersten Jahrzehnten in Lehre und Praxis noch nicht
ausgearbeitet oder dass alles im Entstehen begriffen war. Aber
leider werden diese Bemerkungen nicht weiter ausgeführt.
Ähnliches gilt für die Hadithe (die Aussprüche und
Taten Mohammeds), deren Zahl im achten und neunten Jahrhundert
stark zunimmt. Man erfährt zwar, dass die Hadithe oft zur
Legitimation verschiedenster Auffassungen benutzt wurden und es
sich bei vielen um Fälschungen handelte, aber auch hier
wäre mehr "Beziehungsgeschichte" von Vorteil
gewesen.
Geradezu spannend liest sich die Geschichte
der ersten Jahrzehnte nach dem Tod Mohammeds (632), in der sich die
junge islamische Gemeinde erbitterte Auseinandersetzungen um die
Nachfolge des Propheten lieferte. Besonders deutlich wird in dieser
Epoche das Gewicht sozialer Motive, wie etwa die
Stammeszugehörigkeit und wirtschaftliche Faktoren wie die
Aufteilung der reichen Beute der erfolgreichen Eroberungszüge
gegen die Sassaniden und Byzantiner. Diese Auseinandersetzungen
stellen den Ausgangspunkt für die Entstehung der Schiiten,
Charidschiten und Sunniten dar. Die internen Streitigkeiten
vermochten die islamische Expansion nicht zu bremsen. Zur Zeit des
Kalifen Hischam ibn Abd al-Malik (724 - 743) war das
Umayyaden-Reich das größte Reich, das die Welt bis dahin
erlebt hatte. Ein idealer Nährboden für Vermischungen,
Überlagerungen und verschiedene Formen der Koexistenz, aus
der, so Krämer, eine neue, erkennbare arabisch-islamische
Kultur entstand. Der Prozess der Vermischung und des Austausches
setzte sich auch unter der Nachfolge-Dynastie der Abbasiden (750 -
1258) fort, in der die Blütezeit der islamischen Kultur
liegt.
Die vielschichtige islamische Geschichte und
eigenständige Entwicklung im Islam zeigen sich auch in den
folgenden Jahrhunderten: die Autorin nennt die Nachfahren der
Mongolen, die Safawiden im Iran, die Osmanen oder die
Mogul-Herrscher in Indien. Das soziale Gefüge, die
wirtschaftliche Lage oder die Position der Nichtmuslime haben dabei
stets einen Platz neben der politischen Entwicklung der
Dynastien.
Das Schwergewicht des Buches liegt auf der
Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhundert. Die europäische
Expansion in das Gebiet des Islams, verschiedene Reforminitiativen,
die Entstehung der Nationalstaaten bis hin zu den islamistischen
Strömungen der Gegenwart werden nur in groben Zügen
beschrieben. Zum Schluss zeigt Krämer die zunehmend
konservative Tendenz, die viele islamische Staaten seit den
80er-Jahren des 20. Jahrhunderts erfasst hat, und die Dis kussion,
die von islamistischen Themen dominiert wird, etwa die Einheit von
Staat und Religion - eine islamistische Utopie, die geschichtlich
nie existierte. Der Islam ist im Laufe seiner Geschichte viel zu
facettenreich und anpassungsfähig gewesen, um sich auf die
Wunschvorstellungen islamistischer Eiferer reduzieren zu lassen.
Das wird in diesem Buch deutlich.
Gudrun Krämer
Geschichte des Islam.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 334
S., 24,90 Euro
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