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Gülcin Wilhelm
Politik von politischer Propaganda
unterscheiden
Orhan Pamuk ist Friedenspreisträger des
deutschen Buchhandels 2005
Sütcüler ist eine Gemeinde in der
mittelanatolischen Provinz Isparta, deren Landrat vor einigen
Monaten Orhan Pamuks Bücher in den Bibliotheken
öffentlich verbrennen wollte. Man kann von Glück sagen,
dass sich kein Exemplar in der Bibliothek von Sütcüler
befand. Eine 21-jährige Studentin war die einzige Person in
dem Kaff, die überhaupt wusste, wer Orhan Pamuk ist und die
von dem Schriftsteller ein Buch besaß.
Von glücklichen Umständen kann man
allerdings nicht sprechen, wenn man bedenkt, dass es sich dabei
lediglich um eine makabre Form der seit Monaten währenden
Kampagne gegen den Schriftsteller in seinem Land handelt. Pamuk
hatte Anfang des Jahres in einem Interview mit einer
schweizerischen Zeitung den Mord an Armeniern und Kurden
verurteilt; bis heute haben sich die Wogen nicht
geglättet.
Enttäuschte Fans, Intellektuelle und
Journalisten vermuten hinter dieser Äußerung Pamuks eine
Gier nach Preisen im Ausland; gleichzeitig legen sie ihm nahe,
über sein Land "positiv zu reden", weil er eben aufgrund
seiner internationalen Preise eine der wenigen prominenten Stimmen
aus der Türkei ist, die in ausländischen Medien
wahrgenommen werden.
Die allgemeine Empörung gipfelte in den
wüsten Beschimpfungen sowie Drohungen der nationalistischen
Kreise und nicht zuletzt in juristischen Maßregelungen, die
den weltbekannten Schriftsteller, dessen Werke bislang in 34
Sprachen übersetzt wurden, drei Jahre hinter Gitter bringen
könnten. Die Staatsanwaltschaft begründet ihre Anklage
mit "öffentlicher Herabsetzung des Türkentums". Der erste
Prozesstag ist auf den 16. November anberaumt.
Aber zunächst einmal nimmt Orhan Pamuk
am 23. Oktober in der Paulskirche in Frankfurt den Friedenspreis
des Deutschen Buchhandels entgegen. Der Stiftungsrat legt seiner
Entscheidung die Tatsache zugrunde, dass Pamuk "für Menschen-
und Minderheitenrechte eintritt und immer wieder Stellung zu den
politischen Problemen seines Landes bezieht". Dass man nicht nur
wegen des literarischen Könnens, sondern auch wegen seiner
ethischen Haltung belohnt wird, sei ihm bewusst, sagt Orhan Pamuk
in Interviews hinsichtlich des Frankfurter
Friedenspreises.
Der Schriftsteller, dessen erstes Buch 1982
in der Türkei veröffentlicht wurde, mischt sich in die
politischen Geschehnisse in seinem Land erst seit den 90er- Jahren
ein. Damals begann er, Aufrufe und Petitionen zu unterzeichnen,
weil "die Verletzung der Menschenrechte, das Verlangen, den
richtigen, ,den guten' Leuten zu helfen, die das Land
demokratisieren wollten - all das ihn der Politik in die Arme
trieb".
Sein jüngstes Werk "Schnee", das auf
Deutsch im Hanser Verlag erschienen ist, ist das erste Buch, das
von ihm selbst als "politisch" definiert wird. In seinen
früheren Romanen galten seine Leidenschaft und
unerschöpfliche Recherchen dem Osmanischen Reich und dessen
Hauptstadt Istanbul. Dabei interessiere ihn die osmanische
Literatur und Kultur viel mehr als die osmanische Geschichte,
bemerkt er. Die aus diesem Hang resultierende Fertigkeit des
Schriftstellers bildet die Grundlage der Ehrung des Stiftungsrats,
der Pamuk einen Dichter nennt, "der wie kein anderer unserer Zeit
den historischen Spuren des Westens im Osten und des Ostens im
Westen nachgeht".
"Schnee" - von "New York Times" als das beste
ausländische Buch im Jahr 2004 bezeichnet - erschien 2002 in
der Türkei. Es handelt von Konflikten zwischen den
türkischen und kurdischen Nationalis-ten,
Fanatisch-Religiösen mit Laizisten in der ostanatolischen
Provinz Kars. Pamuk legt auf den Gesichtspunkt Wert, dass er beim
Schreiben des Romans eine besondere Vorsicht walten ließ, um
Politik und politisches Statement, gar politische Propaganda
auseinander zu halten. Dass daraus ein neuer Typus des politischen
Romans entstand, beruht teilweise auf der spezifischen Position des
Autors, aus der er das Leiden derer betrachtet, deren Auffassung
des politischen Handelns mit Plattitüden eingeschränkt
wird. Mit berechtigtem Stolz weist Pamuk darauf hin, dass er bei
der Darstellung der gegenwärtigen politischen Landschaft der
Türkei in seinem Roman ohne diese Plattitüden
auskommt.
Dass ihm in der Türkei ständig
vorgeworfen wurde, auf die Vergangenheit fixiert zu sein, spielte
sicherlich dabei eine Rolle, dass sich Orhan Pamuk dazu entschloss,
seinen "ersten und letzten politischen Roman" zu schreiben. Ob er
sich daran hält? Man macht es ihm dabei nicht
leicht.
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