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Sten Martenson
Wenn die Modernisierung zum Schreckgespenst
wird
Von der Suche nach lokalen Lösungen
für global erzeugte Probleme
Bei manchen Büchern weiß man nach der Lektüre
sofort, wer auch noch in sie hineinschauen sollte: die
Ehepartnerin, die Kinder, ein bestimmter Freund oder vielleicht die
ganze Kaste der Politiker und ihre journalistischen Beobachter. Die
Macher und die Merker eben, jene, von denen man zukunftsweisende
Entscheidungen oder kompetente journalistische Begleitung
erwartet.
Zygmunt Baumans Buch ist solch ein Lesestoff für Politiker,
für Menschen also, die vorgeben, das Wohl des Staates und
seiner Bürger zu hüten und zu mehren. Die sich selbst
rühmen, Probleme rechtzeitig erkennen und sie dann abstellen
zu können. Wer den jüngsten Wahlkampf verfolgt hat und
parallel dazu Bauman auf seinen Gedankenwegen gefolgt ist, dem
kommen aber unweigerlich Zweifel, ob unsere politische Klasse
wirklich auf der Höhe der aktuellen und der künftigen
Probleme ist.
Bauman hat den vier Kapiteln seines Buches geheimnisvolle Titel
gegeben: "Der Abfall beim Aufbau von Ordnung" oder "Der Abfall des
wirtschaftlichen Fortschritts". Einigen Kapiteln folgen bildungs-
und gleichnispralle Ausflüge in die Welt der Literatur und der
Philosophie. Das Buch ist keine leichte Kost. Die Vorstellung, dass
Politiker nach einem Tag voller geistloser wie anstrengender
Gremiensitzungen oder Wahlkampfauftritte die Muße haben, sich
ein solches Buch vorzunehmen, ist irgendwie absurd.
Schade, denn Bauman geht den wohl existenziellsten Problemen
unserer Zeit auf den Grund: der Überbevölkerung unserer
Welt, den Migrationsströmen, der Arbeitslosigkeit. Der Autor
versteht sein Buch als Einladung, "die vermeintlich allzu vertraute
moderne Welt, die wir uns teilen und gemeinsam bewohnen, auf eine
neue, etwas andere Art zu betrachten".
Modernisierung ist für Bauman kein Heilsbringer, eher ein
Schreckgespenst, dazu noch ein unabwendbares. Das menschliche Leben
sei bis in den letzten Winkel der Erde dem Warentausch, der
Kommerzialisierung und der Monetarisierung unterworfen worden. Es
gebe keine globalen Lösungen mehr für lokal erzeugte
Probleme. Überall müsse nach lokalen Lösungen
für global erzeugte Probleme gesucht werden. Bauman
fürchtet, dass diese Suche vergeblich ist.
Der Planet sei überfüllt und produziere zunehmend
"menschlichen Abfall". Das ist zwar - zumindest im deutschen
Wortsinn - ein geradezu abscheulicher Begriff. Bauman meint damit,
es seien Menschen, die "nutzlos" sind, die nicht gebraucht werden.
Ihre Zahl wachse unkontrollierbar und führe zu Kosten, denen
keine Einnahmen gegenüberstehen. Baumans Schluss: "Modernes
Überleben - das Überleben der modernen Lebensform -
hängt von geschickter und effizienter Abfallentsorgung
ab."
Zwar habe es dieses Problem auch in früheren Zeiten
gegeben. Die Menschen sind massenweise in unbewohnte Landstriche
dieser Erde gezogen, als Auswanderer, als Kolonisatoren, in der
Hoffnung auf ein besseres Schicksal. Aber heute wandern
verstärkt Ströme von Menschen um den Globus, um sich
irgendwo niederzulassen, wo sie ein Auskommen finden.
Heruntergebrochen auf die politischen Diskussionen, die auch in
Deutschland geführt werden, heißt das bei Bauman, dass
sich der Sozialstaat, "die Krönung der langen Geschichte der
europäischen Demokratie", auf dem Rückzug befindet. Er
kann seine Versprechen einer gesicherten Zukunft nicht mehr
einlösen. Bauman sieht die Politik darauf schon reagieren:
Kann sie schon den materiellen Schutz der Menschen nicht
sicherstellen, so lenkt sie eben ab auf die persönliche
Sicherheit des Einzelnen. Deshalb werden Ängs-te vor
Terrorismus geschürt, die Sicherheitsindustrie boomt,
Überwachungskameras sollen dem Schutz der Bürger dienen:
"So sieht die zweckdienliche Alternative aus."
Man muss Baumans unheilschwangeren Blick auf die Gegenwart und
vor allem auf die Zukunft nicht eins zu eins übernehmen. Aber
es lohnt sich, den Gedanken und Erklärungen des altersweisen
Soziologen aufmerksam zu folgen. Für einen unbefangenen und in
der philosophisch-soziologischen Fachliteratur unbewanderten Leser
hat Bauman sein Buch allerdings arg verwirrend aufgebaut. Es
mangelt an klaren Linien, was erschwert, jedem der gedanklichen
Ausflüge zu folgen.
Politisch interessierten Zeitgenossen aber kann es sehr wohl wie
Schuppen von den Augen fallen, wenn sie auch nur wenige der
anregenden Gedankensplitter Baumans über den wachsenden
menschlichen Abfall und die daraus resultierenden unermesslichen
Entsorgungsprobleme auf sich wirken lassen. Ganz schnell schrumpfen
dann die Handlungen unserer aktiven Politiker zu einem hilflosen
Reparaturaktionismus, der den wirklichen Problemen unserer Welt
nicht gewachsen ist.
Zygmunt Bauman
Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne.
Hamburger Edition, Hamburg 2005; 196 S., 20,- Euro
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