Oliver W. Schwarzmann
Kann denn der Staat überhaupt noch sparen
?
Zur Geschichte der Steuerlasten in
Deutschland
Der marode Zustand der öffentlichen Finanzen ist eine
Geschichte für sich, die wiederum eine eigene Geschichte hat.
Mit dieser beschäftigt sich Hans-Peter Ullmann in seinem neuen
Buch. Er untersucht den langen Weg des deutschen Steuerstaates vom
18. Jahrhundert bis heute. Der literarische Pfad beginnt also bei
einem vormodernen, überholten Finanzwesen, führt in die
Geburtsphase moderner, öffentlicher Finanzen zur Umbruchszeit
um 1800, begleitet ihre Entwicklung über Reich, Einzelstaaten
und Kommunen bis zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs, leitet
dann weiter zu den "nationalen und internationalen
Verteilungskonflikten der Nachkriegszeit" inklusive der Frage, "ob
die Weimarer Republik den Steuerstaat überbürdete und
damit die Große Depression entscheidend verschärfte",
beleuchtet die Herrschafts- und Gewaltstrukturen des NS-Staates,
dessen Machthaber den Zweiten Weltkrieg durch die Plünderung
eroberter Gebiete geradezu "geräuschlos" finanzierten und
schließt mit der Betrachtung der "Erweiterung des
Staatskorridors" ab den 60er-Jahren mit ihrer Bedeutung für
die heutige Krise des Steuerstaates.
Ständig wachsende Staatsausgaben
Die Geschichte der öffentlichen Finanzen ist eine
Geschichte von wachsenden Staatsausgaben: "Beanspruchte der
öffentliche Bedarf am Ausgang des Ancien Régime
vielleicht ein Zehntel des Sozialprodukts, absorbierte er an der
Wende zu unserem Jahrhundert rund die Hälfte." Und mit dem
Wachstum der Ausgaben veränderte sich auch ihr Charakter: "An
der Wende vom 18. zum19. Jahrhundert dienten zwei Drittel dazu, die
Staaten nach außen zu sichern und im Innern zu verwalten; das
Übrige floss in Infrastruktur, Bildung und Soziales."
Heute ist es genau umgekehrt: "Zwei Drittel der Ausgaben
entfielen auf Soziales, Bildung und Infrastruktur; Verwaltung und
Militär teilen sich den Rest." Der Wandel vom "Militär-,
Verwaltungs- und Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts" zum
"Interventions-, Wohlfahrts- und Umverteilungsstaat des 20.
Jahrhunderts" veränderte das Verhältnis von Markt und
Staat. Eben dieses Verhältnis steht seither in der Diskussion
mit der Kernfrage: Mehr Markt oder mehr Staat?
Die Geschichte der öffentlichen Finanzen ist auch eine
Geschichte von wachsenden Staatseinnahmen. Zunächst dienten
Erwerbseinkünfte aus Eisenbahn, Post, Industrie-, Versorgungs-
und Kommunikationsunternehmen für Liquidität, doch im
Zuge der Privatisierungen gewannen die Steuern an Bedeutung, vor
allem als bereits um 1900 Einkommensteuern und im Ersten Weltkrieg
Umsatzsteuern aufkamen.
Damit partizipierte der Staat an der ökonomischen
Entwicklung und vergrößerte den Steueranteil an den
Staatseinnahmen. Doch die wachsende Zahllast aus Steuern und
Sozialabgaben, deren "Anteil seit den 60er-Jahren des 20.
Jahrhunderts kräftig stieg", sorgte und sorgt bei den
Steuerpflichtigen für Unmut: Der Staat griff zur
Staatsverschuldung, der Zahler zu Schattenwirtschaft, Steuerflucht
und Steuerhinterziehung. Wachsende Staatsschulden erweisen sich
langfristig als Bumerang: "Nehmen Schulden rascher zu als das
Sozialprodukt, engen sie den finanziellen Spielraum im Haushalt
ein", werden zur immensen Last. Die staatliche
Einnahmen-Ausgaben-Mechanik avanciert zum konjunkturpolitischen
Instrument.
Herausgefordert wie nie zuvor
Heute steht der deutsche Steuerstaat auch mit Blick auf den
EU-Stabilitätspakt vor seiner größten
Herausforderung: Der Mix aus wachsenden Ausgaben, steigenden
Steuern und hohen Schulden ist explosiv.
Schwaches Wirtschaftswachstum, Verlust von Arbeitsplätzen
durch Automation in nahezu allen Bereichen und die demografische
Entwicklung erhöhen den Druck auf die Finanzpolitik in nie
dagewesener Weise. Doch das Ende des Steuerstaates will Ullmann
nicht prognostizieren. Dennoch vermerkt er in seinem Schluss die
vermehrten Anzeichen, dass die gute Zeit der Expansion des
Steuerstaates zu Ende geht. Jede Geschichte hat eben ihr Ende. Ob
es ein gutes werden wird, obliegt dem Urteil der Geschichte.
Hans-Peter Ullmann
Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen
Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 269 S., 14,90
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