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Siegfried Löffler
Aus Sowjetlagern nach Friedland
Damals ...vor 50 Jahren im Oktober: Die ersten
Spätheimkehrer treffen ein
Wie sich doch die Bilder gleichen: Als sich im November 1989 die
innerdeutsche Grenze nach vier Jahrzehnten öffnete und die
frei gewordenen Thüringer den nur wenige hundert Meter
entfernt wohnenden hessischen Nachbarn in die Arme fielen, wurden
die älteren Einwohner von Herleshausen an ein Ereignis
erinnert, das damals 34 Jahre zurücklag: An die Heimkehr der
ersten von immer noch über 10.000 in sowjetischen Lagern
festgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen, deren Freilassung
Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau durchgesetzt hatte.
Wie ein Lauffeuer hatte sich am 9. Oktober 1955 die Ankunft der
Heimkehrer herumgesprochen. Im Nu waren Hunderte Dorfbewohner zum
Bahnhof geeilt, um die lang Erwarteten begeistert zu
begrüßen. Dabei war Herleshausen nur Zwischenstation auf
dem Weg zum "Grenzdurchgangslager" Friedland südlich von
Göttingen. Die Busse mit 602 Heimkehrern und die vielen Autos,
mit denen Angehörige die lang Erwarteten abholten, brauchten
für die 80 Kilometer fast fünf Stunden. Überall
standen Kinder und Erwachsene mit Blumensträußen, mit
Zigaretten, Schokolade und Obst am Straßenhand und
schüttelten den Heimkehrern die Hände. Nur sehr selten
hellten sich ihre Gesichtszüge auf, wenn sie Auskunft
über Mitgefangene geben konnten, deren Namen sie auf Schildern
von Angehörigen lasen, die bisher ohne Nachricht waren.
Männer, die mit 18 Jahren in den Krieg ziehen mussten, im
Trommelfeuer und während der Kriegsgefangenschaft hart
geworden waren, konnten die Tränen nicht verbergen. Die
Polizei war in den meisten Fällen sehr nachsichtig. Wo das
nicht der Fall war, halfen die Heimkehrer nach mit dem Hinweis:
"Lassen Sie die Leute doch ruhig rankommen. Wir haben gern etwas
Tuchfühlung. Zehn Jahre lang hatten wir sie nur mit den
russischen Bewachern, nun sind wir endlich wieder zu Hause."
In Herleshausen begegneten sich auch deutsche und russische
Bürokratie: Ein Heimkehrer war in der Vorfreude auf das
Wiedersehen im ersten Bus mitgefahren ohne gezählt zu sein und
musste zurückgeholt werden, weil die Sowjets den Transport
nicht freigeben wollten. Ein Zug musste über eine Stunde auf
das Abfahrtsignal nach Friedland warten, weil der dafür
zuständige Vorgesetzte in Berlin feierte und deshalb
telefonisch nicht zu erreichen war.
Dauernd flammten die Blitze der Fotoreporter auf, die
Wochenschaukameras surrten. Hardi Becker, der mit 20 Jahren in
Kriegsgefangenschaft kam und wie die meisten zu 25 Jahren
Zwangsarbeit verurteilt worden war, genoss vom Wagen eines
Journalisten aus die herzliche Begrüßung durch die
Bevölkerung, freute sich "über die schönen neuen
Wagen und die sauberen Straßen", blickte verstohlen auf ein
hübsches junges Mädchen, das seinen Kameraden Blumen
zuwarf. Sein Kommentar: "Die scheinen sich verändert zu haben.
Wenn man zehn Jahre nur unter Männern lebte, fällt einem
das besonders auf."
Als der Vorsitzende des Verbandes der Heimkehrer in der
Kreisstadt Eschwege die Spätheimkehrer begrüßte,
wurde über Lautsprecher der Lagerleiter von Friedland, Dr.
Freese, gesucht. In Herleshausen war inzwischen ein Zug mit 187
weiteren ehemaligen Gefangenen eingetroffen, die ursprünglich
in die damalige DDR entlassen werden sollten. Diese Durchsage
löste lang anhaltenden Beifall aus. Hardi Becker kannte die
Vorgeschichte dieses Transports: "Die zur Heimkehr in die DDR
vorgesehenen Kameraden wurden in einem Gefangenenlager am Ural neu
eingekleidet. Der Abschied erfolgte bei einem Abendessen an
weiß gedeckten Tischen mit Damenbedienung in Gegenwart der
sowjetischen Wochenschau und vieler Journalisten."
Die 187 Heimkehrer wollten nicht von einem in einen anderen
kommunistischen Staat entlassen werden. Sie erinnerten mit Erfolg
an das Versprechen eines sowjetischen Regierungsvertreters, dass
sie "dorthin entlassen werden könnten, wohin sie wollten". Sie
freuten sich darüber, dass einen Tag später auch hundert
weitere Kameraden, die in Fürstenwalde festgehalten und "von
DDR-Propagandisten bearbeitet" worden waren, in Herleshausen
eintrafen.
Sie berichteten über die Fahrt vom weit entfernten
Swerdlowsk durch die Sowjetunion und Polen in die DDR und
beklagten, dass die Volkspolizisten den Befehl strikt
ausführten, die DDR-Bevölkerung an einer herzlichen
Begrüßung der Heimkehrer zu hindern. Nachdem ihre Busse
gegen Mitternacht in Friedland eingetroffen waren, stimmten die
Heimkehrer und ihre Angehörigen gemeinsam in den Gesang ein:
"Nun danket alle Gott."
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