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Martin Teschke
Spreewaldgurken statt Popcorn
Zum Zustand des politischen Films in
Deutschland
Alex hat für alles gesorgt. Für
Leninbüste und Spreewald-Gurken sowieso. Im Schlafzimmer
stehen auch noch die alten Resopalmöbel. Und im Fernsehen
läuft natürlich die "Aktuelle Kamera" und verkündet
die Erfüllung des Plansolls. Das alles ist ziemlich
ungewöhnlich, denn es ist Sommer 1990, ein knappes halbes Jahr
nach dem Mauerfall; und die DDR, aus der all dies stammt, gibt es
eigentlich gar nicht mehr. Alex lässt den real existierenden
Sozialismus in einer Plattenbau-Wohnung in Berlin-Mitte trotzdem
weiterleben, um seine Mutter Christiane zu schonen, die die Wende
im Koma "verschlafen" hat und sich lebensgefährlich aufregen
würde, wenn sie sich so plötzlich in den Klauen des
Klassenfeindes wiederfände.
Ausgedacht haben sich diesen Plot Bernd
Lichtenfeld und Wolfgang Becker für den Film "Good bye,
Lenin!" (2003). Ein sehr komischer Film. Zumindest auf den ersten
Blick. Tatsächlich ist "Good bye, Lenin!" in erster Linie ein
politischer Film, der wie zum Beispiel auch "Sonnenallee" und "Herr
Lehmann" (beide von Leander Haußmann) für die filmische
Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit steht, mal aus
Ost-Sicht, mal aus West-Sicht. Gemeinsam ist den Filmen, dass sie
komödiantisch an das Thema herangehen und dass sie
hauptsächlich den Alltag der Protagonisten
beleuchten.
Dies müsste in der politischen
Meinungsbildung eigentlich tiefe Spuren hinterlassen haben. Im
Angesicht des 15. Jahrestages der Vereinigung waren zum Beispiel im
Fernsehen Wochen und Monate vor dem 3. Oktober zahlreiche
Dokumentationen und Reportagen über den Alltag in der DDR zu
sehen - und immer blieb ein Hauch von Kuriosem zurück. Wenn
man bedenkt, dass heute hauptsächlich junge Leute unter 20 in
die Kinos strömen, also Menschen, die die DDR aufgrund ihres
Alters nicht mehr bewusst wahrgenommen haben, dürfte das nicht
ohne Folgen bleiben. Oder? Die Frage ist: Was war zuerst da, die
Henne oder das Ei, der komödiantisch-politische Film oder die
Einstellung, dass da was Kurioses das Zeitliche gesegnet hat?
Anders gefragt: Machen Filme auf politische Missstände
aufmerksam oder spiegeln sie nur, was sowieso fast alle
denken?
Michael Strübel, der sich als Professor
an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität
Erfurt professionell mit dem Verhältnis von Politik und Film
und speziell mit der filmischen Auseinandersetzung mit der DDR
beschäftigt, hat sich "Good bye, Lenin!" mindestens dreimal
angeschaut. In Erfurt, in Heidelberg und in Paris. "Die Erfurter
haben darüber gelacht, wie verzweifelt sich Alex um ein Glas
Spreewald-Gurken für seine Mutter bemüht hat",
erzählt Strübel. "Die Heidelberger haben das mit den
Gurken nun wieder überhaupt nicht verstanden. Und die Pariser
haben sehr nachdenklich reagiert." Die Franzosen mit ihren einst
sozialistischen Tendenzen hätten darüber nachgedacht, so
Strübel, was ihnen, ihrem Land erspart geblieben ist. Für
sie sei die DDR ein schwarzes Loch gewesen.
Strübel zieht daraus den Schluss: Welche
Reaktionen beim Zuschauer ausgelöst werden, welche politischen
Einstellungen bestätigt oder hinterfragt werden, hängt
von der persönlichen politischen und biografischen
Prägung des Zuschauers ab. So ist er überzeugt, dass in
"Good bye, Lenin!" durchaus ostdeutsche politische Einstellungen
wie "So schlimm war es doch gar nicht" hinterfragt werden.
Strübel: "Dafür sind solche Filme wichtig. Sie
polarisieren zwischen Jüngeren und Älteren, sie laden zum
Nachdenken ein." "Good bye, Lenin!" spiele mit der Ostalgie, zeige
eine konstruierte Wirklichkeit und wirke auf hohem Niveau
dialektisch, sei ernst und traurig zugleich. "Deutsche Gegenwart
und Vergangenheit werden heute eben nicht mehr so bierernst
aufgearbeitet wie zu Fassbinders Zeiten", sagt der Wissenschaftler.
Filme in deutschen Kinos laden also zu Diskussionen ein und
befördern die politische Meinungsbildung.
Wäre da nicht Hollywood! "Dummerweise",
sagt Strübel, "bestehen 80 Prozent des Kinoprogramms durch die
Macht der US-Verleihfirmen aus Popcorn-Kino." Filme, die jeden
politischen Anspruch vermissen lassen, die gefallen wollen und
bestehende Werte und Einstellungen bestätigen statt sie zu
hinterfragen. Mainstream-Kino rüttelt nicht auf,
Mainstream-Kino unterhält. Strübel: "Das ganze Programm
ist so langweilig und eintönig geworden, dass heute kaum noch
jemand über einen Film diskutieren will."
Im Vergleich zu den US-Streifen heben sich
deutsche Produktionen allerdings spürbar ab. Ein
Phänomen, das auch wirtschaftspolitischer Natur ist. Die
Filmförderung, also die finanzielle Unterstützung von
Filmen, die nicht ausschließlich kommerzielle Interessen
verfolgen, ist in Deutschland vergleichsweise gut ausgebaut und von
der rot-grünen Regierung sogar noch verstärkt worden.
Seit 2004 hat Deutschland einen "Solidarpakt für den deutschen
Film", wie Kulturstaatsministerin Christina Weiss die vorerst
letzte Filmgesetznovelle nannte. Durch erhöhte Kino- und
Fernsehabgaben soll mehr Geld in die Kasse der
Filmförderanstalt (FFA) fließen - immerhin 40 Prozent
mehr, also jährlich 64 Millionen statt der vorher 46 Millionen
Euro. Daneben bestehen weiterhin die Filmförderungen der
Länder.
Dem unbequemen Film sollen auch bessere
Produktionsbedingungen helfen. Dazu hatte die alte Bundesregierung
Risikokapitalfonds geplant, die eine Finanzspritze für den
deutschen Filmstandort in Höhe von 90 Millionen Euro für
die nächsten drei Jahre bedeutet hätte. Das Ziel war, den
deutschen Kapitalfluss nach Hollywood zu stoppen oder wenigstens
abzuschwächen. Nach Angaben der ehemaligen Bundesregierung
sind in den vergangenen fünf Jahren zwölf Milliarden
Dollar in Medienfonds geflossen, das meiste Geld davon nach
Hollywood. Mit dem geplanten neuen deutschen Fonds sollen
Finanzierungslücken der hiesigen Filmemacher geschlossen
werden. Dabei werden rückzahlbare, verzinsliche Darlehen
vergeben, wobei der Fonds bei einem Erfolg des Films auch an den
Gewinnen beteiligt wird. Jetzt muss nur noch der Bundestag die
alten Medienfonds abschaffen. Vor der Wahl hatte die Union
Zustimmung signalisiert.
Ob das Geld dem politischen Film wieder auf
die Beine hilft? Ob dadurch mehr politische Filme gedreht werden,
Filme, die politischen Einfluss ausüben können? Und ob
künftig wieder mehr Menschen bereit sind, sich Filme
anzusehen, die ihre eigenen Einstellungen hinterfragen?
Wissenschaftler Strübel meldet Zweifel an: "Politische
Botschaften haben es heute schwer im Film." Zum einen gingen die
Zuschauer wesentlich skeptischer mit Filmen um als noch in den
30er-Jahren. Und das sei auch gut so. Zum anderen spiele sich
Politik heute entweder im persönlichen lokalen Bereich ab, so
die Wahrnehmung der Menschen, oder sie hänge mit der
Globalisierung zusammen. Strübel: "In beiden Fällen
für Filmemacher schwer zu fassende Themen."
Was bleibt dem Film also anderes übrig,
als den Zuschauer politisch im Privaten, in der Familie abzuholen?
Als Alex sich am Schluss von "Good bye, Lenin!" in der
Plattenbau-Wohnung seiner Mutter umschaut, stellt er fest, dass er
im Kleinen eine zwar kuriose, aber auch liebenswerte DDR erschaffen
hat. Der Zuschauer wird zu einem fast subversiven Gedankenspiel
animiert: Was wäre, wenn von der Alltagskultur der DDR ein
wenig mehr als die Spreewald-Gurke überlebt
hätte?
Martin Teschke arbeitet als freier Journalist
in Berlin.
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