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Bert Schulz
"Das Kino hat auch die Aufgabe, auf Armut, Aids
und Bürgerkriege hinzuweisen"
Zwischen Glanz und Glamour: Wenn Schauspieler
Politik machen
Gäbe es ein Handbuch mit dem Titel "Wie gebe ich einem
nicht ganz so wichtigen, halbwegs politisch angehauchten
Filmfestival ein bisschen Glamour und Aufmerksamkeit?", dann
enthielte es wohl folgenden Rat: "Organisieren Sie eine Gala.
Suchen Sie sich eine für ihr resolutes Auftreten bekannte
Filmdiva als Gastgeberin. Laden Sie genug einheimische Prominenz
ein, die die Reihen füllt, sowie ein paar Bekanntheiten aus
Amerika. Dekorieren Sie die Veranstaltung mit einem Namen, der
irgendwie mit Frieden oder Demokratie zu tun hat. Hoffen Sie
schließlich auf eine weltpolitisch angespannte Situation. Der
Rest ergibt sich von allein."
2002 steigt zum ersten Mal während der Berlinale die Gala
"Cinema for Peace": Frankreichs Filmdiva Catherine Deneuve
lädt ein, Schauspieler wie Donald Sutherland und Katja Riemann
kommen. Durch die Eintrittskarten und eine Versteigerung von
Devotionalien werden mehr als 200.000 Euro für das
Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, gesammelt, dem die
Gala gewidmet war. Passend dazu fordert Deneuve die Einrichtung
eines Internationalen Gerichtshofs für Kinder.
Ein Jahr später wird das gute Premierenjahr noch getoppt:
Weltpolitisch läuft alles auf den Irak-Krieg hinaus, die
Drohgebärden der USA gegen Saddam Hussein sind eindeutig. Bei
der "Cinema for Peace"-Gala sorgt US-Schauspieler Dustin Hoffman
für den Höhepunkt: "Ich bin nicht anti-amerikanisch",
sagt er in einer spontanen, flammenden Rede, "ich bin lediglich
gegen die Ansichten der gegenwärtigen US-Regierung." Er
fühle sich an die 60er-Jahre und den Vietnam-Krieg erinnert.
Jener Krieg habe mit einer Lüge begonnen: "Die Zeit
könnte sich vielleicht wiederholen." Applaus, Jubel und
Bravo-Rufe unterbrechen ihn mehrmals. Mit seinem Appell für
den Frieden trifft Hoffman den Nerv der Zeit, erst recht in Berlin,
wo hundertausende Menschen gegen den drohenden Krieg demonstrieren.
Dass 250.000 Euro für UNICEF gesammelt werden, bleibt fast
unbemerkt.
Eine Situation wie aus einem Hollywood-Drehbuch. Sicher: Die
Emotionen der Gala-Besucher, die Wut auf George Bushs
Kriegspolitik, die waren echt. Doch es braucht schon die akute
Gefahr eines Krieges mit kaum kalkulierbaren Folgen und einen stark
polarisierenden US-Präsidenten, damit sich Schauspieler und
Regisseure in so großer Zahl zu derartig eindeutigen
Stellungnahmen hinreißen lassen. Beide Gruppen gehören
tendenziell nicht zu dem Personenkreis, der sich zu politischen
Fragen äußert.
Das verwundert. Schließlich darf man die Mimen und
Filmemacher durchaus in die gleiche Kategorie wie Pop- und
Rockstars einreihen. Sie sind ein wichtiger Teil der westlichen
Massenkultur geworden. Doch Popmusiker lassen sich häufiger in
Verbindung bringen mit politischen Botschaften: Unzählige
Benefiz- und Solidaritätskonzerte - gegen Neonazis, gegen
Armut, als Aufklärung über Aids - sind Beispiele
dafür. Nicht alle geraten so gigantisch wie das "Live
8"-Spektakel im Juli, bei dem mit zehn parallelen Konzerten in neun
Ländern gegen die Verschuldung der Dritten Welt protestiert
wurde.
Aber Popstars haben es einfacher als Schauspieler, politische
Botschaften zu übermitteln. Sie können es direkt mit
ihrer Arbeit verbinden, schließlich stehen sie schon auf einer
Bühne. Da erreicht man - zumindest akustisch - mit einem Lob
auf den Umweltschutz oder einer kurzen Ansprache gegen
Unterdrückung genauso viele Zuschauer wie mit den eigenen
Liedern. Außerdem stellen sie ihre Produkte, sprich CDs und
Videos, allein her. Sie brauchen keine Schauspielerkollegen, die
von einer Stellungnahme für oder gegen etwas nichts halten,
und können deswegen politische Botschaften ungehindert darauf
unterbringen.
Die irische Band U2 zum Beispiel mit Sänger Bono, der wohl
bekannteste Vertreter der singenden Gutmenschen, druckt bereits
seit den 80er-Jahren die Aufforderung, Greenpeace und Amnesty
International zu unterstützen, auf ihre Plattencover. Bei
ihnen ist die politische Stellungnahme Teil des Images, teilweise
stützen ihre Produkte, sprich ihre Lieder, diese Aussagen -
ähnlich wie bei anderen Bands und Interpreten, auch wenn das
bei weitem nicht mehr so oft vorkommt wie noch in den 80er-Jahren.
Popstars sind, solange sie Erfolg haben, wendige Kleinunternehmer,
die unabhängiger handeln können als Schauspieler, die,
bleibt man in diesem Bild, vielmehr einem weit verzweigten
Großunternehmens angehören.
Schauspieler und Regisseure müssen - sofern sie nicht zu
der sehr seltenen Gruppe gehören, die ihre Arbeit weitgehend
oder ausschließlich politisch verstehen wie etwa der britische
Filmemacher Ken Loach - hingegen nahezu ausschließlich in
ihrer Freizeit Werbung für ihre gute Sache machen. Das ist
aufwendiger, kann dem Image schaden und sogar die eine oder andere
Rolle kosten. Wenige können sich das leisten, insbesondere in
Hollywood. Oft sind dies Schauspieler und Regisseure, die in der
Aufbruchszeit der späten 60er- und 70er-Jahre zu Stars
geworden sind - jener Phase, als das New Hollywood mit alten
Traditionen der Filmkunst brach. Dustin Hoffman gehört dazu,
auch Jack Nickolson, Susan Sarandon und Tim Robbins. Letzterer
kritisierte bei der diesjährigen "Cinema for
Peace"-Veranstaltung die Außenpolitik von US-Präsident
Bush und warnte vor einem Krieg gegen den Iran: "Wir sollten der
Wahrheit vertrauen und nicht der Ideologie." Das Publikum jubelte.
Seine Ehefrau Susan Sarandon, die auch dort war, wurde vom
Moderator des Abends, Tagesthemen-Anchorman Ulrich Wickert, als
"prominente Aktivistin für Menschenrechte" angekündigt.
Sie selbst erklärte: "Das Kino hat auch die Aufgabe, auf
Armut, Aids und Bürgerkriege hinzuweisen." Andere
unterstützen leise und dezent Institutionen wie die Vereinten
Nationen, Krebs- oder Aids-Stiftungen - allerdings sind dies meist
Organisationen, die gesellschaftlich und parteiübergreifend
akzeptiert sind.
Einigen Schauspielern wird die Politik hingegen so wichtig, dass
sie ihren ursprünglichen Beruf gar nicht mehr ausüben.
Ronald Reagan etwa nutzte neben seiner Bekanntheit als
Westerndarsteller sein gewerkschaftliches Engagement in Hollywood
und seine Rolle als Werbeträger für einen großen
Elektronikkonzern als Sprungbrett für die politische Karriere.
Zwischen 1967 und 1974 war der Republikaner Gouverneur von
Kalifornien, 1981 bis 1988 Präsident der Vereinigten Staaten.
Einer seiner Nachfolger in dem westlichen US-Bundesstaat ist der
eigentlich aus Graz stammende Arnold Schwarzenegger. Der einstige
"Mister Universum" hat vor allem Helden in Action-streifen und
Komödien gespielt. Als er 2003 zum Gouverneur gewählt
wurde, hängte er den Schauspieljob an den Nagel - zumindest
offiziell. Der Republikaner Schwarzenegger gilt trotz völlig
fehlender politischer Erfahrung bisher als erfolgreicher Politiker,
dem ein Drang zu unkonventionellen Lösungen - allerdings
anderen als in seinen Filmen - nachgesagt wird. Seine Frau
beschreibt das Phänomen so: "Er ist ein Populist. Er spricht
Leute an, die sich nicht unbedingt für Politik interessieren,
er verkörpert das ganze Konzept des amerikanischen Traums.
Seine Filme sind auch schon so gewesen."
Auch andere amerikanische Schauspieler absolvierten zumindest
Stippvisiten in der Politik: Westernstar Clint Eastwood war wenige
Jahre Bürgermeister einer Kleinstadt; Kinderstar Shirley
Temple brachte es zur US-Botschafterin in Ghana und in der
Tschechoslowakei; Sonny Bono, früherer Partner der
Schauspielerin und Sängerin Cher, war Bürgermeister von
Palm Springs und wurde später in den US-Kongress
gewählt.
Vielleicht hätte Peter Sodann in Deutschland eine
ähnliche Karriere gelingen können. Überraschend
hatte "Tatort"-Kommissar" Ehrlicher Anfang Juli angekündigt,
für die neu formierte Linkspartei für den Bundestag zu
kandidieren. "Freiheit ist, sich für alles verantwortlich zu
fühlen", erklärte der 69-Jährige auf jener
Pressekonferenz, bei der PDS-Chef Lothar Bisky ihn stolz
vorstellte. Auf Platz eins der sächsischen Landesliste wollte
die Partei ihn setzen. Zu seinem politischen Programm gefragt,
erklärte Sodann: "Ich werde meine Schauspielkunst fortsetzen,
das ist ja auch Politik."
Seinem Sender, dem Mitteldeutschen Rundfunk, passte das nicht so
recht ins Programm. Auch Politiker der SPD und der Grünen
forderten, dass der TV-Kommissar Fernsehverbot bekomme. "Wenn
Sodann ein Bundestagsmandat ausübt, dann muss er vom
Bildschirm verschwinden", sagte Lutz Kätzel, SPD-Vertreter im
MDR-Rundfunkrat. Nur zwei Tage, nachdem er seine Kandidatur bekannt
gegeben hatte, zog sie Sodann wieder zurück. "Ein bisschen
schnell" sei alles gegangen, erklärte er. Er habe nicht
gewusst, dass er als Abgeordneter nicht mehr im
öffentlich-rechtlichen TV-Programm auftreten dürfe, und
übersehen, dass er dann keiner Nebenbeschäftigung
nachgehen sollte. Seine künstlerische Laufbahn habe
Priorität. Damit dürfte er mehrheitsfähig unter
seinen Kollegen sein.
Für Karl-Heinz Böhm galt dies hingegen nicht. Der
gebürtige Darmstädter begann seine Karriere kurz nach dem
Zweiten Weltkrieg am Wiener Burg-Theater, kurz darauf folgten erste
Fernsehrollen etwa als "Märchenkaiser" in den
Sissi-Verfilmungen und ein mehrjähriger Ausflug nach
Hollywood. 1981 beendete er seine Schauspielkarriere freiwillig,
gründete, letztlich überzeugt durch eine Wette in der
TV-Show "Wetten dass", die Stiftung "Menschen für Menschen".
Er sammelte Geld und ließ in unwirtlichen Gegenden
Äthiopiens Schulen und Krankenhäuser bauen sowie unter
sengender Sonne Bäume pflanzen. Es war die Rolle seines
Lebens.
Bert Schulz ist Redakteur der "tageszeitung" (taz) in
Berlin.
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