"Wir legen viel Wert auf Authentizität"
Interview mit Guido Knopp, Leiter der
ZDF-Redaktion "Zeitgeschichte"
Dramatische Musik, Bilder von Hakenkreuzen,
marschierende Soldaten. So beginnt das Doku-Drama "Die letzte
Schlacht", das von den letzten Tagen des Nationalsozialismus
erzählt - der Schlacht um Berlin im April 1945. Entstanden ist
der ZDF-Film unter der Leitung von Guido Knopp. Der 57-Jährige
gilt als einer der bekanntesten Historiker und Publizisten
Deutschlands. Sein Motto: "Aufklärung braucht Reichweite".
1984 baute Guido Knopp die ZDF-Redaktion "Zeitgeschichte" auf, die
seitdem von ihm geleitet wird. Berühmt geworden ist er mit
seinen Filmen über die NS-Vergangenheit - zum Beispiel
"Hitlers Helfer". Zuletzt wurde seine Dokumentar-Reihe "Goodbye
DDR" ausgestrahlt. Ein Gespräch mit Guido Knopp über das
Genre Doku-Drama und deutsche Geschichte im Fernsehen.
Das Parlament: Vor kurzem lief im ZDF
die Dokumentar-Reihe "Goodbye DDR", in der Sie in vier Folgen die
DDR-Geschichte von der Staatsgründung bis zum Mauerfall
erzählen. Was wünschen Sie sich, was beim Zuschauer davon
hängen bleibt?
Guido Knopp: Wir wollen fast 15 Jahre
nach der Wiedervereinigung die Geschichten hinter den Geschichten
erzählen. Und zwar nicht wie bei Ostalgie-Shows, die ja der
DDR-Realität nicht gerecht geworden sind. Anhand von
Zeitzeugenberichten und Originalausschnitten bereiten wir die
40-jährige Zeit neu auf. Wir erzählen zum Beispiel, dass
die DDR schon 1980 völlig pleite war, ehemalige
Wirtschaftsleute des Zentralkomitees geben das heute offen zu.
Erich Honecker jedoch wollte davon nichts wissen, er hat einfach
die Augen verschlossen.
Das Parlament: Begleitend zur Serie
"Goodbye DDR" haben Sie von der Forschungsgruppe Wahlen eine
Umfrage erstellen lassen, in der Deutsche in Ost und West gefragt
wurden, was sie heute noch über die DDR wissen. Das Ergebnis
lautet: nicht gerade viel.
Guido Knopp: Ja, das stimmt. Auf
Anraten unserer Demoskopen haben wir die Fragen "as simple as
possible" gehalten. Umso frappierender ist, dass das Nichtwissen
sowohl im Osten als auch im Westen so weit verbreitet ist. Wir
haben zum Beispiel gefragt, in welchem Jahr die Mauer errichtet
wurde. Nur eine Minderheit der befragten Gymnasiasten konnte das
beantworten. Da ist also noch viel zu tun.
Das Parlament: Was meinen Sie
damit?
Guido Knopp: Wir wollen mit unseren
Zeitgeschichtsfilmen historische Zusammenhänge vermitteln.
Viele Zuschauer verfügen allenfalls noch über ein
populistisches Wissen, das gerade mal für eine Quizsendung
reicht - wenn überhaupt. Natürlich muss man solche Themen
spannend und unterhaltsam aufbereiten, damit es die Zuschauer
interessiert. Bei "Goodbye DDR" zum Beispiel haben wir die vier
Folgen personalisiert: Neben Walter Ulbricht, Erich Mielke und
Erich Honecker steht auch Kati Witt, die ja "das schönste
Gesicht des Sozialismus" genannt wurde, im Mittelpunkt.
Das Parlament: "Goodbye DDR" ist eine
Dokumentar-Reihe. Bei den Filmen "Deutschlandspiel", "Der
Aufstand", der vom Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953 erzählt,
und "Die letzte Schlacht" handelt es sich um Doku-Dramen. Was ist
der Reiz dieses Genres?
Guido Knopp: Das Doku-Drama macht es
möglich, Themen zu behandeln, die filmisch nicht ausreichend
dokumentiert sind. Der Reiz besteht darin, die Geschichten hinter
den Kulissen zu erzählen. Anhand von Protokollen,
Zeitzeugenberichten und Archivmaterial lassen sich die
Schlüsselszenen ideal mit gespielten Szenen verbinden und
ergänzen. Dadurch wird Geschichte sinnlich erfahrbar - das
löst bei den Zuschauern im Idealfall Neugier, Anteilnahme und
Betroffenheit aus. Das Doku-Drama ist für mich eine
Zukunftsform des deutschen Fernsehens.
Das Parlament: Wie viel Inszenierung
steckt in den Spielszenen, etwa wenn sich in "Die letzte Schlacht"
einige Berliner im Luftschutzkeller unterhalten? Haben diese
Gespräche wirklich so stattgefunden?
Guido Knopp: Natürlich sind die
Szenen inszeniert. Dennoch legen wir sehr viel Wert auf
Authentizität. Schließlich sind die Spielszenen durch die
Zeitzeugenaussagen inspiriert. Und wir inszenieren nur solche
Szenen, deren Wahrheitsgehalt nicht nur von Zeitzeugen bestimmt,
sondern noch einmal von Fachhistorikern überprüft wird.
Wo es nötig ist, ergänzen unsere Autoren die
Dialogszenen.
Das Parlament: Ist ein Doku-Drama
noch/schon Kunst oder eine Mischung?
Guido Knopp: Natürlich ist es
Kunst, das gilt genauso für klassische Dokumentationen: Auch
hier gibt es Zuspitzungen, Dramaturgien und Inszenierungen. Die
Basis von alldem jedoch ist gutes Handwerk. Ein Doku-Drama ist ein
Fernsehspiel mit dokumentarischen Ergänzungen: 70 Prozent sind
Spielszenen, 30 Prozent Archivmaterial und
Zeitzeugenberichte.
Das Parlament: Ist das nicht eine
gefährliche Mischung? Können die Zuschauer da immer
zwischen Realität und Fiktion unterscheiden?
Guido Knopp: Man sollte die Zuschauer
nicht unterschätzen. Sie können meiner Meinung nach auf
jeden Fall unterscheiden, was Spiel und was Archivmaterial ist.
Nicht zuletzt auch dann, wenn Originalaufnahmen meist in
Schwarz-Weiß genutzt werden.
Das Parlament: Im Juli lief bei RTL2
die Discovery-Produktion "Die Verschwörung - Das Attentat vom
20. Juli". In diesem britischen Doku-Drama wurden Szenen des
Hitler-Attentates von 1944 nachgespielt, dabei wurden den
Schauspielern mit moderner Technik virtuell die Gesichter der
realen Personen - etwa von Hitler -aufgespielt. Wie finden Sie
das?
Guido Knopp: Ich habe den Film nicht
gesehen, von dem Verfahren aber gehört. Diese Methode der
Geschichtserzählung halte ich für fragwürdig, wir
würden das nicht anwenden. Dadurch leidet die
Glaubwürdigkeit des Films.
Das Parlament: Auch das Genre
Doku-Drama steht ja immer wieder in der Kritik . . .
Guido Knopp: Lange Zeit stand die
Legitimität von Spielszenen in der Diskussion, mittlerweile
ist das Genre längst akzeptiert. Obwohl es in Deutschland
zurückhaltender eingesetzt wird als etwa in den USA,
Großbritannien und Japan. Was das Doku-Drama angeht, sind die
Deutschen manchmal päpstlicher als der Papst.
Das Parlament: In der "Zeit" stand
einmal, "Guido Knopp, der Starhistoriker des ZDF, organisiert
Pauschalreisen in die NS-Vergangenheit". Was halten Sie von dieser
Kritik?
Guido Knopp: (Er lacht laut.) Ach,
wissen Sie, diese Kritik von Print-Kollegen ist man gewöhnt,
wenn man so lange in der Branche arbeitet. Das gehört dazu -
wie die gegenseitigen Sticheleien bei Politikern im Wahlkampf. Ich
nehme das nicht so ernst.
Das Parlament: Sie sind einer der
bekanntesten Historiker Deutschlands. Bei Hitler im TV denken viele
Zuschauer auch an den Namen Guido Knopp. Finden Sie das seltsam
oder sehen Sie das als Kompliment für Ihre Arbeit?
Guido Knopp: Das liegt wohl nicht
zuletzt auch daran, dass viele der meinungsbildenden
Dokumentationen über die NS-Zeit in den vergangenen zehn
Jahren von uns gestaltet wurden. Auch wenn es ganz verschiedene
Autoren waren: Als Leiter der Redaktion Zeitgeschichte steht man da
eben auch in der Verantwortung. Es ist freilich so, dass sich
lediglich 20 Prozent unserer Produktionen mit der NS-Zeit
beschäftigen. Wir widmen uns ja etwa auch Monarchen oder
prominenten Ehepaaren.
Das Parlament: Ihre Dokumentationen
und Doku-Dramen werden auch ins Ausland verkauft, die Reihe
"Hitlers Helfer" in über 40 Länder. Sind die Sender auch
an anderen Projekten interessiert?
Guido Knopp: Unsere Filmreihe
über die Kanzler der Bundesrepublik interessierte den History
Channel in den USA - um es mal freundlich auszudrücken - eher
wenig. Das gilt für den gesamten angelsächsischen Raum.
Ganz im Gegensatz zu den NS-Themen. Trotzdem gibt es hin und wieder
"Ausreißer": Unsere "Vatikan"-Serie lief etwa auch in 35
Ländern. Eine Doku "made in Germany" ist mittlerweile schon
ein Markenzeichen.
Das Parlament: Sie beschäftigen
sich nun schon so viele Jahre mit Hitler. Gibt es noch
Bildmaterial, das Sie nicht kennen?
Guido Knopp: Das bekannte Bildmaterial
habe ich natürlich weithin gesehen. Es ist aber
verblüffend, dass auch nach so vielen Jahren immer wieder
neues Material auftaucht. Derzeit beschäftigen wir uns in
Sachen Nürnberger Prozess unter anderem mit Hermann
Göring - alles Filmmaterial schien da bekannt zu sein. Doch
wir haben eine hochinteressante neue Quelle erschlossen, die
zweieinhalb Stunden nie gezeigtes Material bietet. Es hilft, ein
Psychogramm des Menschen Göring zu erstellen.
Das Parlament: Wenn man sich so viel
mit dem Thema Nationalsozialismus beschäftigt, träumt man
nachts nicht irgendwann davon?
Guido Knopp: Nein, um Gottes Willen.
Das wäre ja furchtbar. Und wie gesagt: Die NS-Zeit umfasst
gerade mal 20 Prozent unserer Themenvielfalt.
Das Parlament: Gibt es eigentlich auch
Bildmaterial, das Sie nie zeigen würden?
Guido Knopp: Seit einigen Jahren sind
wir auf der Suche nach Filmmaterial, das die Hinrichtungen der
Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 zeigt. Diese Aufnahmen
hat sich Hitler damals vorführen lassen, später wurden
sie von der Roten Armee konfisziert. Auch wenn wir dieses Material
einmal finden - wir würden es nie im Fernsehen zeigen. Das
verbietet die Würde der Opfer.
Das Parlament: Glauben Sie, dass es
irgendwann mal wieder einen einzigen Tag im deutschen Fernsehen
geben wird, an dem kein Bild von Adolf Hitler zu sehen
ist?
Guido Knopp: Solche Tage hat es sicher
schon gegeben.
Das Parlament: Und sind das
wünschenswerte Tage?
Guido Knopp: Durchaus. Dennoch darf
uns die NS-Zeit nicht loslassen - zumal die Zeitzeugen ja gerade
noch leben. In etwa zehn Jahren wird das nicht mehr der Fall sein.
Es war ja eine Zeit der Grenzerfahrungen. Von solchen Erfahrungen
können auch Jüngere etwas lernen - lernen, wozu Menschen
fähig sind: im Guten wie im Bösen.
Das Parlament: Herr Knopp, wir danken
Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führte Alva Gehrmann
Alva Gehrmann arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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