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Alva Gehrmann
Macken, Schwächen und Intrigen
Wie werden Politiker im Film dargestellt?: Die
TV-Serie "Kanzleramt"
Es scheint so, als würden wir alles von
Politikern mitbekommen. Ihren Alltag, ihr Leben. Die Medienrepublik
macht es möglich. Doch tatsächlich sehen wir die immer
gleichen Bilder: Blitzlichtgewitter, ein kurzes Statement für
die Presse, dann huschen sie, umringt von Bodyguards, schnell in
die nächste Sitzung. Vielleicht sieht man sie noch mal in
einer Talkrunde oder in den Nachrichten, manche lassen sich auf
einer Gala mit ihrem neuesten Liebespartner blicken. Das war's.
Doch was passiert, wenn die Fernsehkameras aus sind und sich die
Türen des Kanzleramts schließen? Wenn also die
eigentliche Arbeit gemacht wird?
Genau das wollte die fiktive ZDF-Serie
"Kanzleramt" zeigen. Sie erzählte aus dem Leben des Kanzlers
und seinem engen Umfeld: dem Kanzleramt. Es sollte ein
realistischer und unterhaltsamer Einblick in die Regierungspraxis
sein. In der ersten Folge zum Beispiel gerät die
TV-Bundesregierung unter Druck, weil der Forschungsminister auf
einmal in Pressekonferenzen Aussagen macht, die der Linie des
Kabinetts widersprechen. Außerdem prügelt er sich auf
offener Straße mit einem Bürger, der Minister wird zum
Risiko. Was ist da los? Wie soll das Kanzleramt dazu Stellung
beziehen? Zumal der Kanzler auf Dienstreise in Neuseeland ist. Die
Mitarbeiter werden hektisch, nur der Kanzleramtschef bleibt ruhig.
"Ich werde dafür bezahlt, Druck auszuhalten", sagt er in einer
Szene.
"Politiker auf diesem Niveau arbeiten unter
einem wahnsinnigen Druck und Stress. Spitzenpolitiker müssen
Nerven wie Drahtseile haben", sagt Ulrich Lenze, der
"Kanzleramt"-Produzent. "Der Bürger auf der Straße
weiß gar nicht, was für ein mörderischer Job das
ist." Ein Job, der ebenso verführerisch sein kann, gibt es
doch die Droge Macht und Wichtigkeit. Auch das wurde
gezeigt.
Im Frühjahr 2005 startete die Serie
"Kanzleramt". Die Idee, einen Blick hinter die Kulissen der Macht
zu zeigen, wurde von der Presse hoch gelobt. Zwölf Folgen
später dann die Ernüchterung. Die Quoten stimmten nicht,
aus der geplanten Fortsetzung wird nichts. Die Macher hatten viel
investiert, auf 2.000 Quadratmetern extra ein Kanzleramt
nachgebaut, 700.000 Euro soll das Studio gekostet haben. Bekannte
Schauspieler wurden engagiert, preisgekrönte Autoren schrieben
die Drehbücher.
Im Mittelpunkt der Serie stand Kanzler
Andreas Weyer, er ist verwitwet und hat eine halbwüchsige
Tochter, die ihre Ansprüche stellt. Gespielt wurde der
TV-Kanzler von Klaus J. Behrendt, den kennen die Zuschauer vor
allem als Kölner "Tatort"-Kommissar, dort ist er ein lockerer
Kumpeltyp. Als Kanzler Weyer trägt Behrendt einen schicken
Anzug, hat zurückgekämmte Haare und eine randlose Brille.
In der Rolle ist er irgendwie steif, farblos. Müssen Politiker
so sein?
In "Kanzleramt" wurden auch Personen gezeigt,
die normalerweise weitgehend im Hintergrund agieren: Der
Regierungssprecher, der Redenschreiber, die Büroleiterin und
vor allem der Kanzleramtschef, gespielt von Robert Atzorn. Sie
agieren zwischen dem eigenen Karrieredenken, den privaten
Wünschen und ihrer Verantwortung für die Gesellschaft.
"Unsere erfundenen Politiker sind keine perfekten Menschen - sie
haben erkennbare Macken, Schwächen und sind zur niedrigen
Intrige fähig", sagte Autor und Regisseur Hans-Christoph
Blumenberg vor dem Serienstart. Wie die echten
Politiker.
Sowohl Blumenberg als auch Produzent Lenze
betonen, dass es rein fiktive Geschichten sind. Die Handlung jedoch
soll heutig, glaubhaft und aktuell wirken, damit der Zuschauer sie
als spannend empfindet. Die Probleme sind durchaus realistisch:
Ärger wegen der anstehenden Tabaksteuererhöhung, ein
Geiseldrama in Südamerika, Streit mit der Opposition. 4,85
Millionen Zuschauer wollten die erste Folge sehen. Das war gut.
Dann gingen die Quoten bergab, am Ende schauten anderthalb
Millionen zu, wie der Kanzler an einer Tropenkrankheit leidet und
seine Mitarbeiter um sein Leben bangen. Für die Primetime,
20.15 Uhr im ZDF, war das zu wenig.
Warum kam die Serie beim Fernsehpublikum
nicht an? "Der Hauptgrund lag sicher darin, dass die Serie just in
dem Moment auf die Zuschauer stieß, als sich deren große
Mehrheit von der gegenwärtigen Politik am heftigsten
frustriert und überfordert fühlte", sagt Produzent Lenze
heute. "Man war über fehlende Arbeitsplätze, Löcher
in der Rentenkasse oder Steuerfragen, beziehungsweise die
Diskussion darüber in der Realität, offensichtlich so
angenervt, dass man die gleichen oder ähnlichen Themen nicht
auch noch als intelligente Fiktion sehen wollte."
Vinzenz Hediger, Professor für Film- und
Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, sieht da
noch andere Gründe. Der Serie habe ein Look gefehlt, der sie
attraktiv gemacht hätte. "Es fehlte ein klares Konzept, eine
Idee, die sich auf Anhieb mitteilt und deutlich macht, weshalb es
interessant ist, die Geschicke eines fiktiven Kanzlers mit zu
verfolgen", so der Schweizer Medienwissenschaftler. "Vielleicht
hätte die Serie besser funktioniert, wenn Götz George den
Kanzler gegeben hätte. Das Konzept hätte dann etwa lauten
können: Schimanski rettet den Sozialstaat oder so
ähnlich."
Vielleicht gibt es in Deutschland aber auch
einfach kein Bedürfnis nach imaginären Politikern. Zwar
lief in der ARD 2004 die Liebeskomödie "Küss mich,
Kanzler!" und Anfang 2005 die fiktionale Geschichte "Spiele der
Macht - 11011 Berlin", dennoch hat Politik als Sujet fiktionaler
Filme in Deutschland wenig Tradition. Anders ist das in den USA.
Dort ist das Staatsoberhaupt als Filmheld längst etabliert.
Seit sieben Jahren läuft dort die Serie "West Wing", mit der
auch die ZDF-Serie verglichen wurde.
In den USA funktioniert Politik anders und
wird somit auch von der Filmbranche anders inszeniert. Dort gibt es
den Kampf zweier Gegner, das klassische Duell - mit einem Verlierer
und einem Sieger. Außerdem sind Präsidenten wie John F.
Kennedy oder Bill Clinton ein anderer Typus Politiker, sie wecken
mehr Emotionen. "Einmal abgesehen von Willy Brandt, mangelt es
deutschen Politikern an Charisma und Starpotential", findet
Medienwissenschaftler Vinzenz Hediger. "Bei deutschen Politikern
herrscht ein Pathos der Nüchternheit. Das liegt natürlich
auch am politischen System." Und an der deutschen
Vergangenheit.
Die bestimmt auch heute noch die Verfilmung
politischer Sujets. Zwei Themen bringen dabei stets gute Quoten:
die Wendezeit und Hitler. Im Kino sind es "Der Untergang" mit Bruno
Ganz als Adolf Hitler oder die Wende-Komödie "Good bye,
Lenin!", die die Kinokassen klingeln lassen. Im Fernsehen laufen
zahlreiche Dokumentationen und Doku-Dramen. Seien es Heinrich
Breloers "Speer und Er", der Wende-Film "Deutschlandspiel" oder
"Hitlers Helfer" und "Hitlers Frauen".
Die meisten Produktionen stammen von Guido
Knopp, dem Leiter der ZDF-Redaktion "Zeitgeschichte". Die einen
loben ihn als bekanntesten TV-Historiker Deutschlands, andere
kritisieren seinen Hang zur Emotionalisierung - besonders in den
Doku-Dramen: Dramatische Musik, schnell geschnittene Szenen, kurze
Statements von Zeitzeugen werden gemischt mit Archivmaterial und
inszenierten Spielszenen. Historie wird zum TV-Ereignis,
Schauspieler geben Politikern ein neues Gesicht.
Knapp 4,5 Millionen Zuschauer sahen "Die
letzte Schlacht"; das Doku-Drama erzählt von der Schlacht um
Berlin im April 1945. 60 Jahre nach Kriegsende ist die
Erinnerungsmaschinerie so richtig in Fahrt gekommen. Weitere
Produktionen werden folgen, Jahrestage gibt es schließlich
genug. So dominiert im alltäglichen Filmgeschäft noch
immer der alte Diktator das Politikerbild, dagegen haben fiktive
Politiker von heute keine Chance. Der Schweizer
Medienwissenschaftler Hediger kennt den Grund: "Warum soll man
einen Kanzler erfinden oder Dokumentationen zu anderen Themen
machen, wenn man auch den Hitler hat."
Alva Gehrmann arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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