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Barbara Schweizerhof
Schnellfeuerdialoge im West-Flügel
Politiker in US-Serien
Dem deutschen Verlangen nach Parteienproporz wäre diese
Serie ein Gräuel: Sie spielt im Weißen Haus, ihr
strahlender Held ist Präsident der Demokratischen Partei, der
seine "liberalen" - auf Deutsch müsste man sagen "linken" -
Gesetzesprojekte oft gegen sture Republikaner durchsetzen muss.
Alles ist wie im richtigen Leben: Ideale werden im Kampf um den
Machterhalt geopfert, der aber nötig ist, damit wenigstens ihr
kleinerer Teil noch realisiert werden kann. In Wahrheit ist wohl
kein Präsident, auch keiner der demokratischen Partei, so
sympathisch wie die Figur, die Martin Sheen hier spielt. Aber
wenigstens heißen die Dinge sämtlich wie in der
Wirklichkeit und werden nicht, wie im deutschen Nachahmer-Projekt
"Kanzleramt", befremdlich camoufliert, um dem Vorwurf zu entgehen,
man mache Werbung für eine Partei.
Die ernsthafte fiktionale Darstellung politischer
Verhältnisse ist in Deutschland so schwer vorstellbar, dass
die ersten Presseberichte über die 1999 in den USA angelaufene
Serie wie selbstverständlich davon ausgingen, es handle sich
um eine Satire-Sendung. Interessanterweise ist nämlich die
Parodie neben Nachrichten und Talkshows oft der einzige Modus, in
dem Politik im Fernsehen abgehandelt wird. Im Übrigen stellt
"West Wing" - der Titel leitet sich vom Arbeitsort des
Präsidenten-Stabs, dem Westflügel des Weißen Hauses,
ab - auch im Kontext amerikanischer Fernsehproduktion ein
außergewöhnliches Projekt dar. Zwar hat der Mut,
Fiktionales den exakten politischen Verhältnissen anzupassen,
dort mehr Tradition. Das hängt mit dem Selbstverständnis
der kommerziellen Sender zusammen: Wo die
öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ihre
Unabhängigkeit in erwähnter Ausgewogenheit bewahren
wollen, pflegen die Amerikaner einen verstärkten
Autonomiebegriff. Sie würden es sich nicht nehmen lassen, die
Parteien beim Namen zu nennen.
Was "West Wing" jedoch so herausragend machte, dass sie gleich
im ersten Jahr den Emmy für die beste Serie erhielt (und drei
weitere in Folge) waren andere Dinge. Auf den ersten Blick scheint
sie für das sehr kleine Publikumssegment der Bildungselite
geschrieben. Die "Staffer", die engsten Mitarbeiter des
Präsidenten, die hier bei der Arbeit gezeigt werden, sind
sämtlich das, was man abfällig "Besserwisser" nennt. In
Schnellfeuerdialogen unterhalten sie sich über trockene Themen
wie Bildungspolitik und überbieten sich dabei mit Detail- und
Fremdwortwissen. Die Handlung zieht ihre, teilweise durchaus
emotionale, Dramatik aus dem öden Stoff der Politikverwaltung:
Statistiken werden erörtert, Informationen zusammengetragen
und andere Entscheidungsträger umworben.
Doch damit nicht genug: Die komplizierten Sachverhalte werden in
der Serie nicht so aufbereitet, wie man das vom "Bildungsfernsehen"
erwarten würde. Ganz im Gegenteil, der dramaturgische Kniff
des Autoren und Erfinders Aaron Sorkin besteht darin, den "high
brow"-Aspekt sogar noch zu verstärken: Zu Beginn jeder Folge
sieht sich der Zuschauer in eine Handlung hineingeworfen, von der
er kaum etwas versteht. Das "West Wing"-Personal läuft durch
die Flure des Weißen Hauses und wirft sich smarte, spitze
Bemerkungen zu. Erst nach und nach schält sich der
Handlungsschwerpunkt heraus - etwa dass der vorgesehene Kandidat
für den freien Platz im Obersten Gericht doch nicht der
geeignete sein könnte, weil er abstruse Ansichten zum Schutz
der Privatsphäre hegt.
Der "West Wing"-Zuschauer wird also gefordert statt bedient. Es
ist, als gehöre bereits zum Serienkonzept, dass die
Interessierten unmittelbar nach der Sendung ins Internet gehen, um
sich in Foren auszutauschen und weitere Fakten nachforschen. Anders
gesagt, die Serienmacher setzten auf das raffinierte Konzept einer
Kult-Bildung: Der Zuschauer von "West Wing" fühlt sich keiner
breiten Masse, sondern einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten
zugehörig. Solche Kulte aber sind ungeheuer werbewirksam.
Tatsächlich erreichte die Serie in den ersten drei Jahren eine
Traumquote von bis zu 18 Millionen Zuschauern in den USA. Um diesen
Erfolg zu halten, passte man sich dann ironischerweise immer mehr
dem Herkömmlichen an. Die Handlungsanteile von Liebe und
Action wurden gesteigert. Die Quote sank trotzdem - oder auch
gerade deshalb. Mittlerweile hat sie sich auf einem niedrigeren
Niveau stabilisiert, das der Serie bis heute ein Überleben
sichert. Ungeklärt ist bislang noch, wer der Nachfolger von
Martin Sheen wird, der ja nach sieben Serienjahren ans Ende seiner
Amtszeit kommt. Vielleicht zieht ja nun ein Republikaner in die
Kulissen des West Wing.
"West Wing" kann süchtig machen mit seinen schnellen
Dialogen, die von trockenem Witz sind, absolut cool, lässig
und blasiert. Und natürlich sind die Helden "gut" in einem
altmodischen humanen Sinn. Die Serie idealisiert nicht nur den
Präsidenten, der hier schon mal selbstironisch von sich als
dem "Führer der freien Welt" spricht. Sie idealisiert ein
bestimmtes Arbeitsethos und eine Intellektualität, die das
Fernsehen sonst so scheut, weil es denkt, die Mehrheit fühle
sich davon abgestoßen. Der Mut zum Komplexen aber sorgt
dafür, dass die Serie nicht populistisch wird. Und ist damit
ein Grund, weshalb "West Wing" ein ideales Rezept gegen
Politikverdrossenheit darstellt.
Denn die Genauigkeit, mit der die Serie die Konflikte und
Vorgänge der Realität nachbildet, verschafft Einblicke in
die spezifischen Schwachstellen der amerikanischen Politik. Nicht
nur, dass Martin Sheen hier Kompromisse eingehen muss, nein, die
Serie führt vor, dass selbst ein "linker" Präsident nicht
am Waffengesetz rührt. Oder, noch krasser, dass ein
überzeugter Gegner der Todesstrafe gegebenenfalls keine
Begnadigung ausspricht. In der entsprechenden Folge werden die
Argumente durchdekliniert: Der Präsidenten-Berater
jüdischer Herkunft bespricht mit seinem Rabbi, was es mit
"Auge um Auge" auf sich hat; die Pressesprecherin macht die
Erfahrung, dass aus einem Namen ein menschliches Schicksal wird, je
mehr man über eine Person erfährt, der Präsident
selbst bestellt zuletzt seinen Priester ein - als Hommage an
Kennedy ist er Katholik. Erzählt wird darüber hinaus von
den skurril anmutenden Regelungen des Wann und Wie der Hinrichtung.
Alles spricht gegen die Todesstrafe. Dann aber lässt der
Präsident die Minuten einfach verstreichen, ohne
einzuschreiten. Das Konzept der Mehrheitsdemokratie in seiner
ganzen bitteren Zwiespältigkeit wird hier vorgeführt: Man
braucht nicht nur die Stimmen der Mehrheit, um gewählt zu
werden, man muss sie dann auch repräsentieren.
Das deutsche Regierungssystem mit seinen Parteien und
Ortsgruppen und dem Ineinander von Bund und Ländern gäbe
eigentlich einen herrlichen Stoff ab für eine Politik-Serie.
Man müsste eben nur den Mut haben, die Dinge beim Namen zu
nennen.
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