|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Barbara Schweizerhof
Sex, Drogen und Zensoren in
Hollywood-Babylon
Zwischen "political correctness" und
Markt
Gemeinhin hält man das Kino für
ziemlich simpel gestrickt: Es gibt "good guys" und "bad guys". Die
Guten sind nicht nur gut, sondern sehen auch so aus, und gewinnen
am Ende. Die Bösen zeigen oft Charakterschwächen, haben
verzerrte Züge und keiner trauert um ihre Niederlage. Die auf
der richtigen Seite werden von Stars wie John Wayne, Cary Grant
oder Gary Cooper gespielt; die auf der falschen bleiben als
Schauspieler meist anonym und bringen es allenfalls unter
eingefleischten Fans zu gewissem Ruhm.
In Filmen wie "Casablanca" etwa kann man sie
an der Art des Rauchens erkennen: Wo der Gute entspannt und cool
die Zigarette hält, zieht der Böse süchtig und
leicht unappetitlich an ihr. Heute ist das Rauchen an sich im
amerikanischen Mainstreamfilm schon ein sicherer Hinweis auf einen
Bösewicht.
Wie man an dieser absichtlich
holzschnittartig gehaltenen Beschreibung merkt, ist das Kino ein
Medium, das mit Stereotypen arbeitet. Deutlich zeigt sich daran
seine Herkunft aus der Populärkultur der Schaubuden und
Marktplätze. Wie einst in den "Moritaten" findet in Filmen
immer auch eine Art Unterweisung statt, eine Einführung in die
herrschende Moral. Filme stehen beispielhaft für die
Realität, ihren stereotypen Darstellungsformen ist eine
Politik eingeschrieben, die wiederum unsere Wahrnehmung der Welt
prägt: Wir erleben die Dinge im Film auf eine Weise als
strukturiert und übersichtlich, in der die Realität das
verweigert.
Obwohl also das Allgemeinwissen uns sagt,
dass zumindest im Mainstreamfilm den guten Schönen immer vor
den bösen Hässlichen der Vorzug gegeben wird, stand das
Kino von Anbeginn an unter dem Verdacht, die "Moral" zu verderben.
Denn bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass das mit dem Sieg
der Guten oft gar nicht so einfach ist. Der Lieblingsheld des
amerikanischen Kinos nämlich ist der Antiheld. Und dessen
"Moral" oder "Politik" ist schon schwieriger zu beschreiben. Nehmen
wir etwa Humphrey Bogart als Rick in bereits erwähntem
"Casablanca": ein Mann, der von sich behauptet keine Prinzipien zu
haben und nur nach eigenem Interesse zu handeln. Erst gegen Ende
schließt er sich bekanntlich, mürrisch und mit einer
gehörigen Portion Zynismus, dem Kampf der Guten an - ohne ihn
gänzlich zu seinem eigenen zu machen.
Wie die Gegenüberstellung von Rick und
seinem filmischen Antipoden, dem aufrechten Antifaschisten Viktor
Laszlo, kaum besser zeigen könnte, sind Antihelden die Jungs
mit den schlechten Manieren, aber der größeren erotischen
Ausstrahlung. Die Aura der Rebellion umgibt sie. Und es zeigt sich,
dass das Kino das ideale Medium darstellt, um unangepasstes
Verhalten zu glorifizieren, um Laster wie Sex, Drogen und
Kriminalität glamourös zu inszenieren.
Um die amerikanische Öffentlichkeit vor
eben diesem verderblichen Einfluss zu schützen, wurde Anfang
der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts der "Hays Code" in
Hollywood wirksam. Er war die Antwort weniger auf die inhaltliche
Ausrichtung der frühen Filmproduktion als vielmehr auf die
Sex- und Drogenskandale, die "Hollywood-Babylon" damals
umgaben.
Die Studios übernahmen den Code als
Selbstverpflichtung. Im Wesentlichen regelte er die Darstellung von
Gewalt und Erotik. So durfte zum Beispiel kein schießender
Colt gleichzeitig mit dem Beschossenen im Bild sein, Küsse
eine bestimmte Länge nicht überschreiten und auch
Alkoholkonsum nur "begründet" auftauchen; Homosexualität
und romantische Beziehungen zwischen Menschen verschiedener
Hautfarbe waren ebenfalls ausgeschlossen.
Mit seinem dem puritanischen Geist
entsprungenen Regelwerk war der "Hays Code" bis in die 60er-Jahre
hinein wirksam. Dann schrieb sich die Generation des New Hollywood
auf die Fahnen, die Tabus zu brechen, um dem Kino zu neuer
Authentizität zu verhelfen. Dass Filme immer
gewalttätiger und sexuell aufgeladener werden, ist seitdem
eine verbreitete Klage. Tatsächlich hegen viele angesichts der
heute so obligatorischen wie stereotypen "Bettszenen" eine gewisse
Nostalgie für die alte Zeit, als Filmemacher noch gezwungen
waren, Sex durch raffinierte Umschreibungen darzustellen. Wie
Lubitsch etwa, der am Appetit der frühstückenden
Verliebten zeigte, was für eine Nacht sie miteinander
verbracht haben.
Als Schutz der Öffentlichkeit vor den
bösen Botschaften des Kinos wurde der "Hays Code" mittlerweile
durch die Regelungen der Altersfreigabe ersetzt. Noch immer bilden
dafür die Margen Sex und Gewalt die Hauptkriterien. Im vagen
Drumherum aber hat die Macht der impliziten Regeln der "political
correctness" zugenommen.
Immer wieder geht es um Eingrenzung dessen,
was man als die gesellschaftliche Gefahr des Kinos ansieht: seine
Anregung zur Nachahmung. Die häufig geführte Diskussion
über Gewalt sei hier einmal ausgespart: Nicht nur was und wie
man im Film mordet, trinkt und raucht, kann beim jugendlichen
Publikum Schule machen, auch wie die Helden Frauen (und andere
Männer) behandeln, wie sie mit dem eigenen Körper umgehen
und welches Verhältnis sie zu ihrer Mutter haben, regt zur
Imitation an. In dem, was Mainstreamfilme zeigen, steckt mithin
eine Politik des Alltags, der Lebensweisen, die viel nachhaltiger
wirkt als jede aufgesetzte Agenda, die für Entrechtete
Stellung bezieht.
Gegenüber den heute lächerlich
anmutenden Vorschriften des "Hays Code" hat die "politische
Korrektheit" den Nachteil, dass sie sich schlechter kritisieren
lässt, weil ihre Regeln diffuser sind. Sie gehen aus einem
vagen gesellschaftlichen Klima hervor, das Ansichten und
Forderungen verschiedenster Bevölkerungsteile
berücksichtigt - und dementsprechend opportunistisch
ist!
Einst feierte man den Oscar-Gewinn für
Sidney Poitier als Erfolg gegen den gesellschaftlichen Rassismus.
Heute ist Rassentrennung in den Filmhandlungen aus anderen
Gründen wieder Gebot: So beklagte sich der schwarze
Schauspieler Will Smith anlässlich des Starts seines Film
"Hitch - Der Date-Doktor": "In Amerika ist Rassismus noch immer ein
alltägliches Problem." So würde es das Publikum nicht
akzeptieren, wenn er im Film eine weiße Frau küssen
würde. "Da gehen die Filmstudios lieber auf Nummer sicher, und
ich küsse keine weiße Frau."
Wie überhaupt die Ethnizität der
Rollenfächer von komplexeren Erwägungen bestimmt ist, als
man auf den ersten Blick annimmt: Wo vor dem 11. September das
Schurkenfach gerne mit orientalischen Gesichtern besetzt wurde,
müssen sich die entsprechenden Figuren heute politisch korrekt
als die unrechtmäßig Verdächtigten erweisen.
Ehemalige Sowjetgeneräle sind dagegen die neuen
allgegenwärtigen Finsterlinge. Der Weltmarkt, der für
große Hollywoodproduktionen immer wichtiger wird, fordert
weitere Rücksichtnahmen, was die globale Verortung des "Reichs
des Bösen" angeht. Wie man am letzten James Bond-Film ("Stirb
an einem anderen Tag", 2002) sehen konnte, kommt gegenwärtig
dafür nur noch Nordkorea in Frage.
Auch die Genderpolitik hat als Stereotyp
Eingang gefunden in den Mainstreamfilm. Es gab eine Zeit, in der
kaum eine romantische Komödie ohne den netten schwulen Freund
oder Nachbarn auskam. Auch das wurde als Fortschritt an der
gesellschaftlichen Toleranzfront begrüßt. Doch
gleichzeitig zeigt sich daran das Dilemma aller politisch korrekten
Regeln: Der obligatorische Schwule muss als solcher erkennbar sein,
darf aber keinesfalls sexuell zu "explizit" werden. In dieser
Reduktion aufs "Nette" steckt eine Diskriminierung, die in
mancherlei Hinsicht problematischer als die völlige
Ausblendung sein könnte.
So kommt es, dass das von "political
correctness" und Marktrücksichten bestimmte Kino heute in der
Masse nicht weniger verlogen erscheint als das vom "Hays Code"
regulierte. Denn der andauernde Kampf des Kinos mit der
inhärenten Attraktivität des schlechten Benehmens ist
nicht durch bessere Manieren zu lösen. Im "Schlechten" werden
nämlich Konflikte offenbar, die einen Film erst interessant
machen. Denn die eigentliche Stärke des Kinos ist nicht das
simple Schwarz gegen Weiß, sondern das Ausloten der
Ambivalenzen, der gemischten Gefühle und Konfliktlagen, die
erst das obligatorische Happy End auflösen darf.
Zurück zur Übersicht
|