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Frank Stern
"Es wird nochmal ein Wunder geschehen"
Zwischen Ideologie und Unterhaltung: Der
Spielfilm unter der NS-Herrschaft
In ihrem Schlüsselroman "Unter dem
Zwillingsstern" über die Entwicklung der deutschen Literatur-,
Film- und Theaterszene seit dem ersten Weltkrieg bis Mitte des 20.
Jahrhunderts beschreibt Tanja Kinkel Atmosphäre und Reaktionen
in jenem Berliner Hotel, in dem Goebbels, frisch ernannter
Propagandaminister seine konziliant-berüchtigte Rede an die
deutschen Filmschaffenden hielt: "Der Empfang im Hotel Kaiserhof
begann um acht Uhr, doch der Bankettsaal war bereits eine halbe
Stunde vorher vollkommen überfüllt. Geladen oder
ungeladen, jeder, dessen Zukunft irgendwie von der deutschen
Filmindustrie abhing, war gekommen, um sich anzuhören, was die
neue Regierung in Gestalt des kleinen, humpelnden Mannes mit dem
prägnanten Profil erwartete. (\…) Von Emil Jannings
abwärts (\…) waren alle gekommen. (\…) Was die
Regisseure anging..."
Die Autorin beschreibt Fritz Lang, der mit
seinem Monokel und steinernem Gesichtsausdruck dort war, andere
Filmgrößen und schließlich die Rede von Goebbels,
die von seinem Verständnis der Freiheit der Kunst ausging,
dann weltanschauliche Andeutungen machte, um schließlich,
Paradox der deutschen Filmgeschichte, gerade solche deutschen und
internationalen Filmwerke hervorzuheben, deren Regisseure oder
Produzenten jüdischer Herkunft waren. Tanja Kinkel zitiert
Goebbels: "Sie können sich sicher fühlen, meine Herren.
Die Zeit der ewigen Regierungswechsel ist vorbei. Wir sind jetzt
da, und wir bleiben!"
Und die Herren blieben zwölf Jahre,
zwölf Jahre Filmproduktion, für die eins charakteristisch
war: Die Beschneidung, Einengung und Verhöhnung der Freiheit
der Kunst. Als Erstes begann die Emigration der Filmschaffenden
jüdischer Herkunft oder derjenigen, die unter dem Verdacht
standen, mit der radikaldemokratischen Linken zu sympathisieren,
von vielen nach Wien, und 1938 auch von dort oder 1939 von Paris in
die Länder, die bereit waren sie aufzunehmen - insgesamt
über 500 Frauen und Männer, die den Geist, die
Ästhetik, die unerschöpfliche Vielfalt der Filmnarrative
und die Filmsprache der Ufa und der anderen deutschen und
österreichischen Produktionsfirmen geprägt
hatten.
Es gibt noch keinen deutschen Spielfilm
über Glanz und Elend der Ufa, und doch ist es eher die
literarische Verarbeitung dieser "Stunde Null" des Filmschaffens
unter dem Nationalsozialismus, die uns ein realistisches Bild gibt,
als die zahlreichen sich widersprechenden Erinnerungen an jenen
denkwürdigen Abend. In den Erinnerungen waren fast alle von
großer Skepsis und Ablehnung geprägt, die Sicht auf
Goebbels Rede und seine Folgen durch die notwendige politische
Korrektheit nach 1945 bestimmt. Historische Darstellungen der Ufa
betonen oft den politischen Einschnitt von 1933, doch sowohl von
1932 bis 1937, als Reinhold Schünzel, der letzte
"nicht-arische" Regisseur, in die Emigration ging, als auch von
1944 bis in die Nachkriegszeit gibt es filmische und biografische
Übergänge, die sowohl Personen als auch Filminhalte und
Filmästhetik betreffen. Wer von deutschen Filmperioden
spricht, sollte versuchen, nicht allein die massiven politischen
Veränderungen zu berücksichtigen, sondern die
Atmosphäre der Studios, die Winkelzüge
kreativitätsbesessener oder karrierehungriger Regisseure,
politischen Opportunismus und die Formen ästhetischen
Widerstehens zu verstehen. Es ist die Eigenart von Filmen, dass sie
auch ein Eigenleben haben und nicht immer das bewirken, was
Produzenten, Propagandaministerien oder Regisseure beabsichtigen,
denn ein Spielfilm setzt sich letztendlich erst im Kopf des
Zuschauers zusammen, und dort befinden sich schon viele Bilder, die
sich mit den neuen visuellen Eindrücken verbinden.
Je intensiver sich Wissenschaft, Publizistik
und kontextorientierte Filmanalyse mit den in Berlin und Wien in
den 30er- und 40er-Jahren produzierten Spielfilmen befassen, umso
fraglicher werden jene gradlinigen monokausalen Interpretationen,
nach denen entweder alles von Goebbels propagandistisch gesteuert
war oder die unpolitische Unterhaltung den Vorrang hatte. Nationale
Filmkulturen entwickeln sich nicht nach überstrapazierten
Genrekategorien oder starren Periodisierungen der
Politikgeschichte. Hinzu kommt, dass auch im deutschen Filmschaffen
während der Jahre des Nazi-Regimes ästhetische und
technologische Entwicklungen filmisch Ausdruck fanden, die sich in
jeweiliger Ausprägung ebenfalls in anderen Filmkulturen
finden. Kulturelle nationale Diskurse, Bilder des Soldaten, des
Heldentums, des Patriotismus, der gesellschaftlichen Hierarchien,
der Geschlechterbeziehungen, der Kameradschaft, der habituellen
Einstellungen von und gegenüber Frauen, Sexualität,
Partnerbeziehungen, Ehe, Drei- und Vierecksbeziehungen, das
Verhältnis von Bild, Sprache und Musik sind so unterschiedlich
nicht, ob man nach Hollywood, Paris, Wien oder Berlin
blickt.
Die 20er-Jahre hatten auf der Grundlage der
technologischen, ökonomischen und ästhetischen Neuerungen
zur Entwicklung eines nahezu universellen Filmstils geführt,
der zumindest zwischen Hollywood, Wien und Berlin
Maßstäbe setzte, was durch die Fluktuation von
Regisseuren, Drehbuchautoren, Kameraleuten und Komponisten zwischen
den Kontinenten seit 1920 noch verstärkt wurde.
Relevant werden solche Überlegungen,
wenn es um die Frage geht, ob die deutschsprachigen
Filmproduktionen nach 1933, beziehungsweise für
Österreich nach 1938 öffentlich oder nur hinter verhalten
geschlossenen Seminartüren gezeigt werden sollten. Zensur ist
das schlechteste Mittel zur Entwicklung eines demokratischen
Bewusstseins - auch wenn es sich um Filme propagandistischen
menschenfeindlichen Inhalts handelt. Dies wird durch die
Entwicklung digitaler Medien, insbesondere des Internets und des
internationalen DVD-Marktes zu einer Herausforderung visueller und
politischer Bildung. Die große Mehrheit der Spielfilme der
Nazi-Zeit - wenn auch oft nicht in den vollständigen Fassungen
des Bundesarchiv-Filmarchivs oder des Filmarchiv Austria - sind
heute auf dem DVD- und VHS-Markt verfügbar. Durch die mediale
Globalisierung sind Verbote kaum durchsetzbar, soweit sie die
private Verfügbarkeit und Vorführung 1945 aus dem Verkehr
gezogener Spielfilme aus dem Repertoire des Propagandaministeriums
betreffen. Der Kauf oder das Ausleihen von VHS und DVD
ermöglichen unendliche Varianten der Projektion im doppelten
Sinne - vor und auf dem Bildschirm oder der Leinwand. Dem kann nur
mit einer offensiven und breiten Kontextualisierung der Filme
begegnet werden. Diese Kontextualisierung betrifft sowohl
Konstanten in der Filmpolitik wie den großdeutschen
völkischen Traum, die Überhöhung des deutschen
Genius, die Glorifizierung des deutschen Soldaten als auch den
Starkult und Veränderungen in den Jahren bis 1945, die
insbesondere am Frauenbild, an der Radikalisierung des Rassismus,
an den Front-Heimat-Filmen und an einigen Unterhaltungsfilmen mit
subversiven Aspekten ablesbar sind.
Für die heutigen Diskussionen sind
radikale, kritische, zeit- und kulturgeschichtliche Perspektiven
auf die Spielfilme zwischen 1933 und 1945 auch deshalb von
Bedeutung, weil sie vorschnelle Identifizierungsmuster, moralische
Einordnungen oder visuelle Erlösungsstrategien, die zahlreiche
neuere Filme über Nazi-Deutschland, den Zweiten Weltkrieg und
die Shoah oder andere Vergangenheitsdiskurse charakterisieren,
infrage stellen. Ein Film über die Vernichtungspolitik mit
Happyend mag für den Zuschauer kurzfristig schön sein,
doch hat dann, so absurd es klingen mag, der antisemitische
Hetzfilm "Jud Süß" mehr historische Wahrheit über
die Mentalitäten der frühen 40er-Jahre anzubieten, wenn
er nicht nur einfach vorgeführt, sondern mit den Zuschauern im
historischen und aktuellen Kontext diskutiert wird.
"Staatspolitisch besonders wertvoll" war die
Bewertung, die das NS-Regime nach 1933 in Deutschland und nach 1938
in Österreich zahlreichen Spielfilmen verlieh
(ausführlich zu den Bewertungen, der Politik des
Propagandaministeriums und den geförderten Filmen: Klaus
Kanzog, "Staatspolitisch besonders wertvoll". Ein Handbuch zu 30
deutschen Spielfilmen der Jahre 1934 bis 1945, München 1994).
Dahinter verbargen sich nicht selten Filme mit beliebten
Schauspielern, gedreht von erfolgreichen Regisseuren, deren Aufgabe
es war, die Gedanken und Gefühle der Kinobesucher auf die
Ziele und Werte der NS-Ideologie zu lenken. Propaganda durch
Unterhaltung war die Devise. Große Teile des deutschsprachigen
Films entsprachen dem. In den Studios wurden Spielfilme produziert,
deren Aufgabe es war, in der Tradition der Ufa und des Wiener Films
erfolgreich Millionen zu erreichen und gleichzeitig die politischen
Botschaften des Nationalsozialismus an die Frau, an den Mann und
vor allem an die Jugend zu bringen. Der nationalistische Blick auf
die Geschichte wie in den Preußen- und Bismarck-Filmen, die
Verherrlichung des Deutschtums in Kolonial- und Kriegsfilmen und
die Beschwörung eines großdeutschen Reiches paarten sich
mit den Bildern rassistischer und antisemitischer Verhetzung, mit
Militarismus und gegen Ende der NS-Herrschaft mit Durchhaltekitsch
wie in dem Film des letzten völkischen Aufgebots
"Kolberg".
Die kulturgeschichtliche Diskussion solcher
Filme mit einem heutigen diskussionsbereiten Kinopublikum zeigt,
dass dabei viel mehr Erkenntnisse über geschichtliches
Bewusstsein, Gefahren ideologischer Verführbarkeit und die
Rolle der Kunst und Künstler in westlichen Gesellschaften
gewonnen werden können als durch unreflektierte Verbote, die
diese Filme eher noch attraktiver machen, als sie eigentlich sind.
Filmsprachen und Filmästhetik haben sich weiterentwickelt, und
der heutige Zuschauer hat viel mehr visuelles Know-How als vor drei
Generationen.
Doch waren alle 1933 bis 1945 produzierten
Spielfilme Propaganda? Knüpfte das Kino der NS-Ära nicht
auch an das deutschsprachige Kino vor 1933, in Österreich vor
1938 an? Schließlich hatte es nach 1919 in der blühenden
Berliner und Wiener Filmkultur neue Perspektiven auf Geschichte und
Zeit, auf Stadt und Land, auf Körper und
Geschlechterbeziehungen gegeben, hatten sich auf der Leinwand das
Dramatische mit dem Komödiantischen, das Subversive mit dem
Sozialkritischen verbunden. Klassenverhältnisse,
Männlichkeit und Weiblichkeit wurden filmisch
durcheinandergewirbelt. Das Mainstream-Kino entstand. Unterhaltung
auf niedrigem und auf hohem Niveau wurde produziert, auch nach
1933.
Goebbels wollte das hohe Niveau halten,
gleichzeitig sich aller Filmschaffenden jüdischer Herkunft
entledigen und die neuen weltanschaulichen Normen noch in der
seichtesten Unterhaltung durchschimmern lassen. Dennoch sollte das
Kino von 1933 bis 1945 nicht einfach als NS-Film bezeichnet werden,
dazu war es zu vielschichtig, zu widersprüchlich, was man
unter anderem an Filmen wie "Allotria", "Amphitryon", "Tanz auf dem
Vulkan", "Münchhausen" und selbst an dem, dem NS-Menschenbild
am nächsten kommenden, Heinz Rühmann-Film "Die
Feuerzangenbowle" ablesen kann. Selbst die Produktion "Aufstand vor
Damaskus", ein Film über den Ersten Weltkrieg, enthält
durch das Spiel des Hauptdarstellers Joachim Gottschalk
Konnotationen, die dem gewünschten preußischen Geist
widersprechen.
Für viele Filmschaffende wie für
Gustav Gründgens, Sybille Schmitz, Heinz Rühmann, Hans
Albers wurde dies wahrlich zu einem "Tanz auf dem Vulkan". In dem
gleichnamigen Spielfilm, nach heutigen Maßstäben wahrlich
keine bedeutende Produktion, wird in französisch-historischen
Kostümen zum Sturz des Königs aufgerufen. Gründgens
singt in einer Schlüssel-Revue-Szene den Chanson "Die Nacht
ist nicht allein zum Schlafen da" und fordert freundlich auf der
Bühne tanzend zur Revolte auf. Wer wollte, konnte darin mehr
als nur einen Kostümfilm sehen. Goebbels meinte
abschätzig "zu viel Hirn". Es ist schwer heute genau zu
wissen, wann Unterhaltungsfilme noch anderes bewirkten als
Unterhaltung pur, doch sollte man solchen Spielfilmen nicht
jegliche Rolle absprechen. Der Hans Albers-Film "Münchhausen"
kam in die Kinos, als der Untergang der Wehrmacht bei Stalingrad
besiegelt war. Es war ein grandioses überbordendes
Farbspektakel, doch wer den Dialogen zuhörte, konnte sich den
Frechheiten kaum entziehen. Das klang anders als die patriotischen
Reden in den Bismarck- und Kameraderie-Filmen. Es ist
müßig, hier zu fragen, was Goebbels dazu meinte, denn
durch solche Filme schimmerte immer auch eine andere, wenngleich
nicht für jeden offensichtliche kulturelle Option.
Mit der zunehmenden Radikalisierung des
Krieges radikalisierte sich allerdings auch der Auftrag an die
deutsche Filmindustrie, von der Leinwand zum "Endsieg" beizutragen.
Viele Filmschaffende entzogen sich diesem Auftrag nicht,
primitiv-menschenfeindliche Bilder der Slawen, antikommunistische
und antijüdische Hetztiraden, unschuldige Deutsche mordende
Exilanten bevölkerten die Leinwand. Gleichzeitig verbanden
Filme wie "Die große Liebe" und "Wunschkonzert" den filmischen
Kriegsauftrag mit der gewünschten ablenkenden
realitätsfremden Unterhaltung. Für einen Kinofilm alles
vergessen, was draußen vor sich ging, oder moralisch
aufgerüstet wieder an die Front oder die Heimatfront zu gehen,
kennzeichnete das Filmschaffen der letzten Jahre des
Krieges.
"Kolberg" von Veit Harlan setzte den
Schlusspunkt unter die NS-Filmpolitik. Doch als der Film in die
Kinos kam, vermerkte Goebbels in seinem Tagebuch am 19. März
1945 über die pommersche Stadt: "Kolberg haben wir nunmehr
räumen müssen (…) Ich will dafür sorgen, dass
die Räumung von Kolberg nicht im OKW-Bericht verzeichnet wird.
Wir können das angesichts der starken psychologischen Folgen
für den Kolberg-Film augenblicklich nicht brauchen." Die
Filmillusionen erfolgreichen Widerstehens bis zum Letzten
erschienen dem Chefpropagandisten nun wichtiger als die
Wirklichkeit einer totalen militärischen Niederlage.
Draußen fielen die Bomben, zerbröckelte das Reich, und im
Kino sang das Publikum mit Zarah Leander: "Es wird noch einmal ein
Wunder geschehen…"
Frank Stern, langjähriger Leiter des
Zentrums für deutsche Studien an der Ben Gurion
Universität in Israel, lehrt zurzeit visuelle Zeit- und
Kulturgeschichte an der Universität Wien.
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