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Georg Seeßlen
Der Wettbewerb um den größten
Tabubruch
Anmerkungen zur filmischen Abbildbarkeit Hitlers
und seiner Gefolgschaft
Das Bild des "Führers" setzt sich in
unserer populären Kultur aus Briefmarken,
Geschichtsbüchern, Flohmarkt-Antiquitäten, Karikaturen
und Filmparodien zusammen. Wenn wir an Hitler denken, denken wir
allzu schnell auch an Kitsch und Klamauk; der Führer sieht aus
wie Donald Duck mit Schnurrbart ("Der Fuehrer's Face"), wie Charlie
Chaplin ("Der große Diktator"), wie Adriano Celentano ("Addio,
Zio Adi"). Er wird immer nur imitiert, in Lubitschs und in Brooks
"To Be or Not to Be" oder in "Springtime for Hitler"; Jerry Lewis
sprengt ihn beinahe in die Luft ("Which Way to the Front?"), Hitler
glotzt lüstern auf die Orgien der "Girls of the Third Reich"
in Loretta Sterlings Pornofilm. Wenn man alle diese Bilder
zusammensetzen würde, so käme das eines komischen
Monsters heraus, dem man alles zutrauen könnte, nur nicht das:
Wirklich und in der Geschichte gewesen zu sein.
Es gibt "Abbildungsverbote" in einer Kultur
und sie haben sehr unterschiedliche Funktionen und Geschichte. Da
ist das Abbildungsverbot, das sich herrschende Institutionen
zunutze machen. Der Fürst darf nicht nackt gezeigt werden. Das
Abbildungsverbot sichert die Herrschaft, und es gehört zu den
traditionellen Aufgaben der Kultur demokratischer Opposition,
solche Tabugrenzen zu überschreiten. Dann gibt es
Abbildungsverbote, die aus Traditionen und Sitten entstehen, aus
religiösen und mythologischen ebenso wie aus
pragmatisch-moralischen Gründen, und von gesellschaftlichen
Gruppen verteidigt werden, oft gegen den Zeitgeist.
Janet Jacksons mediale
Entblößungsattacke oder der Streit um ein Kopftuch im
Schuldienst: All das führt zu Grundfragen gesellschaftlicher
Organisation: Was darf ich zeigen? Was muss ich sehen?
Schließlich aber gibt es auch Abbildungsge- und verbote, die
sich eine Gesellschaft in gemeinsamen demokratischen und
aufklärerischen Prozessen auferlegt. Wir wollen keine
öffentliche Hinrichtung sehen, zum Beispiel, und wir wissen,
dass wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln kein
angemessenes Bild von den nationalsozialistischen Verbrechen machen
können.
Alle drei Formen des Abbildungsverbotes haben
zwar ähnliche Auswirkungen, aber höchst unterschiedliche
Bedingungen. Es ist also unfair, sie zu behandeln, als wären
sie gleich, und sich prinzipiell über jeden "Tabuverstoß"
zu freuen. Aber alle drei Abbildungsverbote haben auch gemeinsam,
dass sie Veränderungen unterliegen, dass sie in einer
demokratischen Gesellschaft beständig neu verhandelt werden
müssen, dass es Bedingungen gibt, unter denen die
Überschreitung notwendig und gerechtfertigt ist, und andere,
unter denen sie nichts als Kalkül bedeutet.
Ein sehr offenes, vages und leider auch
unbearbeitetes Feld der Abbildungsverbote hat seit dem Kriegsende
die Repräsentanten und die Opfer der nationalsozialistischen
Herrschaft im Allgemeinen und die des "Führers" im Besonderen
betroffen. Was einzig und allein klar war: Verboten um jeden Preis
war eine Abbildung, die im Geist und in der Ästhetik den
deutschen Faschismus selber fortsetzte oder auch nur in den
Verdacht dazu kommen konnte. Verboten waren Rechtfertigungs- und
Verharmlosungsbilder. Und erlaubt musste jede kritische,
historische und "distanzierte" Darstellung sein.
So wenig man wirklich die Schrecken eines
Konzentrationslagers in ein visuelles Fiktionsgeschehen
übersetzen kann, so wenig gibt es ein "angemessenes" Bild des
"Führers" und seiner Entourage. Denn Bilder behaupten nicht
nur eine "Ganzheit", sondern auch eine Nähe, Gegenwart und
Abgeschlossenheit zugleich. Mit einer radikalen These könnte
man behaupten, dass es Dinge gibt, die man in der Sprache des Films
nicht oder wenigstens nicht in direkter Weise darstellen kann, ohne
sich einer Blasphemie oder einer Fälschung schuldig zu machen.
Die entgegengesetzte These: Es muss immer wieder versucht werden,
auch in diesem Medium, nicht-triviale Bilder von Anklage,
Erkenntnis und Erinnerung zu finden.
Tabuverletzungen gehören sowohl zur
Kunst als auch zu dem Bereich der populären Kultur, der man
liebevoll und abschätzig die Bezeichnung "Trash" gegeben hat.
Eine Ästhetik in Analogie zu Abfall, Müll und Schmutz auf
der einen Seite, auf der anderen Seite aber in Analogie zum
Weggeworfenen, Verdrängten, Übersehenen. Kunst und Trash
haben daher, nicht nur was den Film anbelangt, eine heftige
Beziehung zueinander, und sie verhalten sich beide, wenn auch auf
sehr unterschiedliche Weise, als Opposition zum anderen Teil der
Kultur, die wir uns als "Mainstream" zu bezeichnen angewöhnt
haben.
Tabuverstöße gibt es also wohl in
beiden Bereichen. Eine wirkliche Änderung dagegen gibt es
erst, wenn ein Tabuverstoß im Mainstream zur Kenntnis genommen
und angewandt wird. Bis in die 80er-Jahre hinein könnte man
die Filmgeschichte beschreiben als einen vergleichsweise konstanten
Konsens im Mainstream und heftige Eruptionen in der Kunst - man
denke an die psychoanalytisch beeinflussten Faschismus-Filme der
70er-Jahre in den Filmen von Wertmüller, Taviani, Bertolucci
oder Pasolini - und im Trash-Bereich (Nazi-Porn, Agententhriller
etc.). Mochten solche Filme, wie etwa auch Christoph Schlingensiefs
verzweifelte Groteske aus dem Führerbunker oder Herbert
Achternbuschs "Heilt Hitler", auch noch Skandale verursachen, die
visuelle Verabredung "in der Mitte" wurde dadurch nicht
aufgehoben.
Es gibt nun aber offenbar eine Erwartung
dahingehend, dass das Abbildungsverbot auch für den Mainstream
zumindest gelockert wird. Als ein "undemagogischer Anti-Nazi-Film"
wird etwa Dennis Gansels "Napola - Elite für den Führer
(2004)" in der Rezension der Zeitschrift "Film" gelobt, und
insbesondere bei Oliver Hirschbiegels "Der Untergang" wurde der
"Mut zum Tabubruch" gefeiert.
Wir leben in einer Geschichte der
Abbildungen, des Abbildungsverbotes und der Tabubrüche und mit
dem Beginn des neuen Jahrtausends scheint es so etwas wie eine
heftige Umwandlung der Codes im kulturellen Mainstream zu geben.
Dort gab es einerseits die Möglichkeit einer Persiflage, in
verschiedenen Ableitungen der Klassiker von Chaplin und Lubitsch:
Filme, in denen das Bild des Führers schon von vornherein als
"Fälschung" auftritt.
Die zweite Darstellungsform ist die mehr oder
minder psychologische Einfühlung: Hitler als Mensch. Schon
"Hitler -The Last Ten Days" (Hitler - die letzten zehn Tage (1973)
- Regie: Ennio de Concini) spielt im "Führerbunker" ein
absurdes Endspiel durch. Hitler (Alec Guiness) schwadroniert nach
wie vor von seinen Erfolgen. Er habe, so heißt es unter
anderem, "die österreichische Frage sehr zufrieden stellend
gelöst", nachdem er den Kettenraucher Schuschnigg zur
Abstinenz brachte. Schließlich beschließt Hitler, dass
das deutsche Volk seine Daseinsberechtigung verloren habe - der
Film hält sich dabei so weit als möglich ans schriftlich
Überlieferte und Guiness hat die Physiognomie und Gestik des
"Führers" anhand von Fotos und Wochenschau-Material genau
studiert. "Der Untergang", in dem Bruno Ganz die Rolle des
Führers übernommen hat und ähnlich ernsthaft
zwischen Einfühlung und Entlarvung gestaltete, folgt diesem
Modell. Aber er setzt an die Stelle der Groteske, die ganz und gar
etwa das Hitler-Bild von Alexander Sokurows "Der Moloch" bestimmt,
die Intimität der "glaubwürdigen Details".
Ein dritter Versuch, dem Abbildungsverbot zu
entkommen, sind jene Traum-Essays, in denen das Gespenstische
selber Teil der Aussage ist. Hans Jürgen Syberbergs "Hitler -
Ein Film aus Deutschland" ist dafür ein berühmtes, gewiss
nicht unumstrittenes Beispiel, während Filme wie "Adolf und
Marlene" (1976), eine fiktive Liebesgeschichte zwischen dem
"Führer" und Marlene Dietrich, nicht mehr als eine
kabarettistische Übung in Geschmacksverletzung bietet. Auf
eine fast schon kränkende Weise ist Armin Mueller-Stahls Film
"Gespräch mit dem Biest" (1996) von der deutschen Kritik und
vom Publikum abgelehnt worden. Er zeigt einen 103 Jahre alten
Ex-Diktator, der in einem Kellergewölbe mitten in Berlin
haust. Niemand will glauben, dass dies der "echte" Adolf Hitler
sein soll, und auch der amerikanische Historiker Dr. Arnold Webster
ist alles andere als überzeugt. Wirklich geklärt wird die
Frage nach der Identität in diesem mal grotesken, mal
surrealen Spiel nicht.
Das deutsche Fernsehen hat im Dokumentarspiel
eine eigene Form entwickelt, mit dem Widerspruch zwischen Fiktion
und Geschichte zu spielen. Fast schon "verständnisvoll"
zeichnete Axel Corti in "Ein junger Mann aus dem Innviertel" (1980)
die frühen Jahre von Hitler. Er entwirft ein
kleinbürgerlich borniertes Klima in Braunau und der Schulstadt
Linz, das Psychogramm einer gefährdeten Person, des jungen
Hitlers (Franz Trager), die Bindung an die Mutter (Eva Petrus) und
den Konflikt mit dem auftrumpfenden Vater (Jaromir Borek).
Schließlich die große Enttäuschung der
Zurückweisung von der Kunstschule, die Begegnung mit den
rassistischen Gedanken und Taten im Männerheim, mit denen der
Film schließt.
Zu einem veritablen Skandal wurde auch der
Film "Max" (Regie: Menno Meyles): Die bizarre Geschichte des jungen
Kunststudenten Hitler in München und die des jüdischen
Kunsthändlers Max Rothman (John Cusack), der versucht
gleichsam seine Seele zu retten und ihn von seinem Wahn
abzubringen. Es ist ein Film, der versucht, das Werden und das
"Machen" eines menschlichen Monsters zu erklären.
Heinrich Breloers "Speer und Er" (2005)
über eine "fatale Männerfreundschaft" zwischen dem
Führer und seinem Architekten macht aus beiden (Tobias Moretti
als Hitler und Sebastian Koch als Speer) menschliche Charaktere,
die uns in der "Halbnah"-Einstellung des Genres auf
merkwürdige Weise vertraut erscheinen. Hans-Christoph
Blumenberg schildert in seiner Fernsehproduktion "Die letzte
Schlacht" (2005) als "Dokudrama" die letzten Tage von Berlin. Das
war einerseits Fernsehen im Gegensatz zur Kino-Attitüde von
Oliver Hirschbiegels "Der Untergang" und es war andererseits eine
Darstellung der Bevölkerung, während Hitler selber als
eher groteske Figur im Hintergrund bleibt. "Mein Hitler sollte von
Anfang an ein zittriges Phantom bleiben, ein kraftloser Schatten,
der durch den Führerbunker geistert, mehr nicht."
Die Form des Dokudramas konstruiert auch hier
ein Subjekt einer "alltäglichen" Erfahrung, so dass im
Gegensatz zu dem eigentlichen Projekt der Gattung gerade das
analytische und perspektivische Denken auf der Strecke bleibt. Viel
mehr funktionieren Gefühle und Empfindungen, das Ganze
nähert sich bedenklich - und durchaus auch gegen
ursprüngliche Intentionen - der Soap Opera an.
Vervielfältigung statt Genauigkeit ist in der Regel das
Prinzip und das prismatische Erzählen führt zu einem
Prinzip der Ungenauigkeit.
"Das Goebbels-Experiment" von Lutz
Hachmeister montiert die Texte des Goebbels-Tagebuchs zu
dokumentarischen und wenigen aktuellen Aufnahmen. Man versucht
gleichsam das Subjekt von innen zu entlarven, in der Vertrautheit
die Banalität des Bösen zu erkennen. Aber ist das
Tagebuch in der Tat der Text eines in all seiner schockierenden
Elendigkeit "verlässlichen" Erzählers? Die Aufgabe der
Distanz verlangt einen hohen Preis. Man muss sich mit den
Tätern, auf welche Weise auch immer, identifizieren, sich mit
ihnen gemein machen. Die "Frivolität" dieser Annäherung
war der Kritik schon bewusst: Mit der einschmeichelnden Stimme von
Udo Samel oder der von Kenneth Branagh in der englischen Fassung
wiederholte sich, was schon zu "Der Untergang" etwas unheimlich
erscheinen musste: Das Verschwimmen des Star-Images und des Bildes
des faschistischen Täters. Das doppelte Konkretisieren ergibt
paradoxerweise eine Abstraktion: Der Schauspieler stellt "den"
Diktator mit Zügen und Manierismen des realen Führers
dar, aber, wie Imre Kertesz bemerkt: "Das könnte genau so gut
Napoleon sein."
Die Vermischung der historischen Dokumente
und des Vermarktungsgeschehens der Medien führt zu einer neuen
Ikonografie: Eine Art Star-Wettbewerb um die Darstellung des
Nicht-Darstellbaren und um den größten Tabubruch bei der
Herstellung von Nähe. Denn genau darum scheint es zu gehen: In
der Flut der Hitler-Filme der letzten Jahre wurden alle jene Filme,
die sich mit einem Gespenst des Bösen auseinander setzten -
wie "Gespräch mit der Bestie" oder "Der Moloch" -, furchtbare
Misserfolge. Und alle Filme, die einen "Menschen" versprachen
(neben "Der Untergang" oder "Speer und Er" auch alle DVD- und
Fernseh-Dokumentationen, die "Das Privatleben des Führers" zu
zeigen versprachen), fanden großen Zuspruch beim Publikum.
Diese Intimisierung ist nicht einfach der Sehnsucht nach
Verharmlosung geschuldet, sie entspricht vielmehr der
medialisierten Wahrnehmung: Selbst "Der Untergang" enthält in
erster Linie einen Hitler der halbnahen Fernsehwahrnehmung, der
unverzeihlicherweise durch Kino-Effekte und "epische"
Seiten-Einstellungen remythisiert wird.
Das genaue Gegenbild zur falschen
Vertraulichkeit etwa von "Das Goebbels-Experiment" gelang Romuald
Karmakar mit dem "Himmler-Projekt" (2000), in dem der Schauspieler
Manfred Zapatka jene geheime Rede Himmlers verliest, die er am 4.
Oktober 1943 vor SS-Generälen hielt. Der Film verzichtet auf
die ikonografische Maskerade, auf jede Vertraulichkeit durch
Schauspiel und Kolorit und belegt damit, ganz anders als in "Das
Goebbels-Experiment", dass es einen diskursiven, erklärten
Kern der faschistischen Barbarei gibt. Das furchtbare System
offenbart sich in furchtbarer Rede.
Die deutsche TV-Produktion "Goebbels und
Geduldig" steht eher in der Tradition der Verwechslungsgeschichten
und Verkleidungsgeschichten wie "Der große Diktator" oder "To
Be or Not to Be" und der Märchenton dieser Geschichte am Rande
des Abgrunds hat einen durchaus menschlichen Klang. Wie Roberto
Benignis "Das Leben ist schön" oder "Zug des Lebens" beweist
auch diese Produktion, dass ein komödiantischer Ton und die
Darstellung des Faschismus sich nicht prinzipiell
widersprechen.
Die Dokumente über die
Täter-Familien und ihre Erinnerungs- und
Verdrängungsarbeit leisten da einen ganz anderen Beitrag zu
Erkenntnis: In einem Film wie "Zwei oder drei Dinge, die ich von
ihm weiß" wird erschreckend deutlich, wie wenig die Geschichte
des deutschen Faschismus "vorbei" ist. Der Film von Malte Ludin
zeigt, wie sich das Bild eines Täters in seiner Familie
erhält und verändert. Und nirgends wird so deutlich wie
in diesem Prozess der Selbstbefragung, dass es keine so einfachen
Antworten wie die "großartige Leistung eines Schauspielers"
auf die Frage nach den "richtigen" Bildern gibt. Die Frage nach dem
"Erzählziel" ist nämlich keineswegs so leicht zu
beantworten, wie es den Anschein hat. "Sophie Scholl - Die letzten
Tage" von Marc Rothemund oder "Edelweißpiraten" von Nico von
Glasow, aber auch "Napola" sind unter anderem auch
Coming-of-Age-Filme, Filme, die nicht nur nach der Jugend im
Faschismus, sondern auch nach der im Jetzt fragen. Je
personalisierter und intimer Filme über den Faschismus in
Deutschland sind, desto mehr sind sie Teil einer Verknüpfung
mit einem imaginären und einem tatsächlichen
Familienroman. Aber erst in einem Film wie "Zwei oder drei Dinge,
die ich von ihm weiß" wird dieser Zusammenhang schmerzlich
bewusst und auch für die individuelle Bearbeitung
zugänglich. Der Weg von einem abstrakten Wissen (ein Moloch,
ein Biest, ein Gespenst, ein Dämon, das Böse schlechthin)
über ein historisches Wissen (ein Wesen in der Geschichte der
Klassen, der Nationen, der Interessen und der Ideen, ein Wesen in
einer Lebensgeschichte, ein Wesen in einer Sozial- und in einer
Krankheitsgeschichte) zu einem individuellen Wissen (Wesen in
meiner Geschichte, Wesen, die furchtbarerweise Funktionen wie
Onkel, Vater, Großvater haben) ist voller Verstörung und
Verführung: Die "Lesbarkeit" des Filmbildes vermittelt eine
trügerische Sicherheit im Umgang mit der
Geschichte.
Die fernsehtaugliche Vermittlung von
"Wirklichkeit" hat uns an neue Strategien der Repräsentation
gewöhnt. Immer gibt es da die Fühler des Authentischen in
die Fiktion: Das Tagebuch und die echte Traudl Junge, die
Sekretärin Hitlers, die in "Der Untergang" auftritt, die
Stimme von Jean Jülich, einem der letzten noch lebenden der
"Edelweißpiraten", die aus dem Off in "Edelweißpiraten"
zu hören ist, die Erzählung des Großvaters, die in
den Plot von "Napola" einfließt. All das scheint uns schnell
von der "Wahrheit" zu überzeugen, die wir mit dem Bild des
Authentischen verwechseln. Wie "frivol" und wie genau, wie
notwendig und wie fahrlässig dieser Umgang mit einer
Authentifizierung des Fiktionalen ist, lässt sich jeweils nur
am konkreten Beispiel diskutieren; als "Trend" freilich bleibt es
etwas durchaus zweischneidiges. Wirkliche Zeugenschaft verschwindet
immer mehr, aber statt sie, wie etwa in Filmen der Oral History,
als kostbares Gut zu behandeln, werden sie in Filmen dieser Art
eher als Rezeptur-Element verwendet, im schlimmsten Fall als Alibi.
Denn diese Authentisierung ist eben immer nur als das Andere der
Stilisierung und mehr noch als das Andere einer bewussten
Verfälschung der Details zu haben. In vielen Filmen, die auf
den Mainstream-Markt zielen, sind Elemente der "Entschuldung"
angelegt, von denen man nicht zu sagen weiß, wie sehr sie den
Produzenten bewusst sind oder wie sehr sie, umgekehrt, schon aus
der kollektiven, inoffiziellen "Erzählung" des Faschismus in
Deutschland stammen.
Das Spuren-Element des Authentischen, das
Schwelgen in der Set-Design-Kunst und in den technischen und eben
auch ästhetischen Codes der Hitlerzeit, die Intimisierung bis
zur "Einfühlung" - all das erzeugt eine offenbar fast wohlige
Atmosphäre gleichzeitiger Teilhabe und Distanzierung. Zu
dieser trägt auch gewiss die Schauspieler-Konstellation bei.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist die schauspielerische
Leistung in "Der Untergang" oder in "Sophie Scholl" vor die
Diskussion der künstlerischen Konzeption oder der
Erkenntniswerte getreten.
Imre Kertesz hat das Geschehen nach den
Generationen eingeteilt: "Die erste Generation hat den Holocaust
verdrängt, die zweite Generation hat ihre Väter befragt,
die dritte Generation identifiziert sich mit ihren
Großvätern und die vierte wird sich entscheiden
müssen, entweder zu vergessen oder wieder bei null
anzufangen". Bei null anfangen heißt freilich nicht nur, sich
von einem Konsens in der Mitte zu befreien, von einem
Allerwelts-Hitler gleichermaßen, sondern auch in den eigenen
neuen Formen zu denken und sich zu befreien.
Georg Seeßlen arbeitet als freier Autor unter anderem für
"Die Zeit", "Frankfurter Rundschau", "taz", "epd-Film" und
"Freitag". Außerdem hat er rund 20 Filmbücher
geschrieben.
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