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Johanna Metz
Stein des Anstoßes
Zwischen Anpassung und Protest: Kino in der
DDR
Sie war das zweitgrößte Filmstudio Europas - die
Deutsche Film Aktiengesellschaft, kurz DEFA. Im Mai 1946 von Stalin
gegründet, sollten die Produktionen des staatlichen
Filmbetriebs der DDR vor allem eine Aufgabe erfüllen: die
Bevölkerung auf den Sozialismus einschwören und Partei
und Staat ins beste Licht rücken. Regisseure wie Frank Beyer
und Gerhard Klein setzten sich in ihren Filmen kritisch mit der
DDR-Wirklichkeit auseinander - und provozierten damit den
Widerstand der Parteifunktionäre.
In einer Maiwoche des Jahres 1965 sitzt Frank Beyer im
Kulturministerium der DDR zwei sorgenvollen Gesichtern
gegenüber. Kulturminister Hans Bentzien und sein
Stellvertreter, "Filmminister" Günter Witt, haben den
Regisseur zu einem Gespräch gebeten, nur wenige Tage nach
Drehbeginn für dessen neuen Film "Spur der Steine". Der Grund
für ihre Besorgnis: Bei dem Projekt handelt es sich um die
Verfilmung einer Literaturvorlage, dem gleichnamigen Roman des
DDR-Autors Erik Neutsch. Die Geschichte um den unbequemen
Brigadeführer Hannes Balla thematisiert unter anderem die
Schwierigkeiten auf einer Großbaustelle: Missmanagement,
Materialengpässe, die Verantwortungslosigkeit der Bauleiter -
insgesamt eine schonungslose Kritik an der Planwirtschaft. Auch die
Parteifunktionäre kommen im Buch nicht gut weg, allen voran
der verheiratete Horrath, der wegen einer folgenreichen Affäre
mit der jungen Ingenieurin Kati ein Parteiverfahren angehängt
bekommt.
Die Genossen im Kulturministerium haben deshalb eine Frage: Wie
er, Beyer, denn gedenke, die Parteifunktionäre im Film
darzustellen? Der Filmemacher berichtet von einigen Details. Die
Atmosphäre, so wird Beyer Jahre später in seinem Buch
erzählen, ist "freundschaftlich". Ergebnis der Runde: Beyer
kann weiter drehen.
13 Monate später wird "Spur der Steine" verboten.
Noch an Pfingsten 1966 wird der fertige Film auf den
Arbeiterfestspielen in Potsdam vor begeistertem Publikum
uraufgeführt, dann kommt die Direktive von ganz oben: Der
Film, heißt es in einem Telegramm aus dem Sekretariat des
DDR-Politbüros, verunglimpfe die Rolle der Partei und die des
Staates in gröbster Weise, weshalb er höchstens acht Tage
in festgelegten Kinos gespielt werden solle. Der neue
Kulturminister Klaus Gysi zieht die Zulassung für "Spur der
Steine" zurück.
Trotzdem gibt es eine Premiere: Über 600 Zuschauer sind
dafür am 30. Juni 1966 ins Berliner Kino "International"
gekommen, auch Regisseur Frank Beyer. Der Film läuft kaum zehn
Minuten, als Tumult ausbricht: Einige Dutzend Besucher rufen
"Schluss mit dem Theater!" und "Hier wird unsere Partei
beleidigt!", nur der Widerstand der anderen Zuschauer verhindert,
dass der Film abgebrochen wird - wie bei einer späteren
Vorstellungen in Leipzig. Schnell wird klar: Die Störer sind
bestellt. Für Frank Beyer war das "ein Schlag": "Ich
gehörte doch der gleichen Partei an, die diese
Störaktionen organisiert hatte", sagt der 73-Jährige
heute, von 1950 bis 1980 selbst Mitglied der SED. Das Verbot von
"Spur der Steine" war für ihn eine der "ersten schweren
Enttäuschungen" in der DDR: "Ich musste am eigenen Leibe
erfahren, dass es in der SED zwei Strömungen gab - die der
Hardliner und eine, die man als liberaler bezeichnen konnte. Der
Kurs bewegte sich, auch in der Kulturpolitik, mal hier und mal dort
hin."
"Spur der Steine" ist in diesem Spiel der Kräfte zerrieben
worden. Als Beyer 1965 von der DEFA den Auftrag für die
Verfilmung der Romanvorlage bekam, ging es in der DDR gerade ein
wenig entspannter zu. Mit Hans Bentzien und Günter Witt,
DEFA-Studiodirektor Jochen Mückenberger und Chefdramaturg
Klaus Wischnewski, allesamt in den Dreißigern, war neues
Personal in kulturpolitisch entscheidende Positionen gerückt.
Personal, das, wie viele Regisseure, ein Ziel hatte: Endlich wieder
publikumswirksame, künstlerisch wertvolle Filme machen und die
Krise des DEFA-Films überwinden. Denn zuletzt hatten die von
der Parteiführung geforderten, belehrenden und den Sozialismus
idealisierenden Filme kaum noch Zuschauer in die Kinos gelockt.
DDR-Autor Günter Kunert brachte die Lage damals auf den Punkt:
"Leider ist es uns unmöglich geworden, eine simple Sentenz wie
?Der Winter ist kalt' zu äußern, ohne dass einem
vorgeworfen wird, man negiere drei andere wesentliche Jahreszeiten
und ... die Kräfte, die in der Lage seien, den Winter zu einem
zweiten Sommer umzugestalten."
Das sollte sich jetzt ändern: Die liberalere Politik unter
Chruschtschow hatte in der Sowjetunion seit Mitte der 50er
kritischere Filme und neue Erzählweisen hervorgebracht, mit
ein paar Jahren Verzögerung erreichte das Tauwetter auch die
DDR. Produktionen wie "Das Kaninchen bin ich" von Kurt Maetzig und
"Denk bloß nicht, ich heule" von Frank Vogel (beide 1965)
zeigten plötzlich wieder den Alltag junger Menschen in der
DDR, beschäftigten sich mit negativen Erscheinungen in der
Gesellschaft wie Karrierismus, Duckmäusertum und Heuchelei. In
Gerhard Kleins Spielfilm "Berlin um die Ecke" etwa legen sich junge
Arbeiter eines Berliner Metallbetriebes mit den
Betriebsfunktionären an, in Günter Stahnkes "Der
Frühling braucht Zeit" kritisiert ein Ingenieur die
überholten Leitungsmethoden in seinem Betrieb.
Doch der kulturpolitische Film-Frühling hielt nicht lange
an: Ehe sich der kritische Film in den Kinos etablieren konnte, war
es mit der Liberalisierung schon wieder vorbei. "Der Wind hatte
sich gedreht", beschreibt Frank Beyer die Wende. "Chruschtschow
wurde abgesetzt, die Hardliner in der Sowjetunion gewannen wieder
die Oberhand, und so war es auch in der DDR."
Auf dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 kam es dann
zum "Kahlschlag": Der damalige ZK-Sekretär Erich Honecker
beschuldigte die Filmemacher in seiner Rede, "dem Sozialismus
fremde, schädliche Tendenzen und Auffassungen" zu zeigen,
Politbüro-Mitglied Kurt Hager sprach sogar von Werken, "die
die Jugend direkt zu Zweifeln, Skeptizismus, zur Negation
erziehen".
Zweijähriges Arbeitsverbot
"Das Kaninchen bin ich" und "Denk bloß nicht, ich heule"
wurden daraufhin verboten, ohne je ins Kino gekommen zu sein, "Spur
der Steine", nach Änderungen, ebenfalls. Nur sechs Monate
zuvor hatten die Genossen den Film bei einer ersten Studioabnahme
noch euphorisch gelobt.
Insgesamt wurde in Folge des 11. Plenums ein großer Teil
der Jahresproduktion der DEFA eingefroren. Andere Filme wurden
mitten in der Produktion gestoppt. Autoren und Regisseure wurden
gemaßregelt, Frank Beyer erhielt ein zweijähriges
Arbeitsverbot. Parallel dazu wurden bei der DEFA und im
Kulturministerium die liberaleren Kräfte wie Witt und Bentzien
gegen linientreue Genossen ausgetauscht.
Aus dem Tauwetter wurde eine Eiszeit. Als die Sowjets 1968 in
Prag einmarschierten, war es mit der Liberalisierung endgültig
vorbei. Erst Mitte der 70er entstanden mit Heiner Carows "Die
Legende von Paul und Paula" (1973) und Frank Beyers "Jakob der
Lügner" (1975) zwei der besten und bekanntesten
DEFA-Produktionen überhaupt - damals hatte Erich Honecker den
Dogmatiker Walter Ulbricht an der Spitze des ZK abgelöst. Ein
Zwischenhoch, nicht mehr, denn schon 1976 folgte mit der
"Biermann-Affäre" der nächste Tiefschlag: Zahlreiche
Künstler hatten gegen die Ausweisung des Liedermachers
protestiert. Auch die DEFA wurde daraufhin verstärkt von der
Stasi überwacht. Gesellschaftskritische Projekte waren nun
chancenlos, erst recht unter dem neuen Studiodirektor der DEFA,
Hans Dieter Mäde. Abgesehen von "Solo Sunny" (Konrad Wolf,
1980) oder "Das Versteck" (Frank Beyer, 1978) entstanden bis zum
Ende der DDR kaum noch herausragende Filme.
Nach einer erneuten Zuspitzung, dem Verbot von Frank Beyers
Fernsehfilm "Geschlossene Gesellschaft", setzte Beyer bei der
Parteiführung schließlich einen unbezahlten Urlaub durch,
um in der Bundesrepublik zwei Filme zu drehen - bisher hatte er das
immer abgelehnt. Wie viele seiner Kollegen war er bis zu seinem
Parteiausschluss 1980 SED-Mitglied gewesen, überzeugt, dass
die DDR "die bessere Gesellschaftsordnung" sei. In der Hoffnung,
das System "in Richtung mehr Demokratie verändern zu
können", hat Beyer in seinen Filmen bewusst auch die "andere"
DDR gezeigt und eben nicht, wie von den Hardlinern gewünscht,
das Idealbild eines sozialistischen Staates gezeichnet.
Eine Unangepasstheit mit Folgen: "Spur der Steine" wurde erst 23
Jahre nach seinem Verbot wieder in einem Kino aufgeführt -
diesmal allerdings unter anderen Vorzeichen. Denn an diesem 23.
November gefällt der einst so verschmähte Film offenbar
allen Premierengästen - auch dem frisch gewählten
SED-Generalsekretär Egon Krenz und seinen Begleitern von der
SED-Parteiführung. Der Wind hat sich erneut kräftig
gedreht: Es ist der November des Jahres 1989. Sieben Wochen zuvor
ist die Berliner Mauer gefallen.
Johanna Metz ist Volontärin bei "Das Parlament".
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