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Martin Teschke
Runen-Charly im Hinterzimmer
Die Darstellung von Rechtsextremisten und
Neonazis
Wir wissen ganz genau, wie sie aussehen. Glatze,
Springerstiefel, Hakenkreuz-Tatoo. Und sie reden auch alle den
gleichen Schwachsinn. Von Vaterland, von Kameradschaft, von den
Ausländern, die an allem schuld seien. Hören dieselben
Hardcore-Bands. Saufen bis zum Umfallen. Das sind die einen, die
dumpfen Schläger von der Straße. Die anderen, die selbst
ernannten, aber letztlich nicht besonders intelligenten Vordenker
der extremen Rechten, sind auf den ersten Blick eigentlich nicht so
leicht zu erkennen. Wenn sie auf der Kinoleinwand oder auf dem
Fernsehbildschirm erscheinen, wissen wir trotzdem sofort, wen wir
da vor uns haben. Neonazis im Film: Hohle Skinheads und biedere
Brandstifter - ist das die komplette rechtsextremistische
Szene?
Nein", sagt Frank Lesske, Dozent am Institut
für Politikwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität
Magdeburg. "Die rechtsextreme Szene ist keineswegs so homogen, wie
sie in vielen Filmen dargestellt wird." Auch in der rechtsextremen
Szene gebe es Auseinandersetzungen, zum Beispiel über
Gewaltanwendung oder über die Selbstdarstellung nach
außen. "Im Film allerdings werden Rechte auf ganz bestimmte
Art und Weise gelabelt", hat Lesske beobachtet. "Die Darstellung
der Rechtsextremen als kahlköpfige Schläger, die
Hakenkreuze schmieren, erweckt bei den Zuschauern den Eindruck, als
ob man die Rechtsextremen auf der Straße automatisch erkennen
könnte." Und selbst wenn "Salon-Nazis", wie Lesske sie
bezeichnet, gezeigt würden, sind sie unvorteilhaft aufgenommen
und ihr Auftritt mit einer bestimmten Musik unterlegt. "Eine
dramatische Krimi-Musik suggeriert, dass da etwas Bedrohliches auf
uns zukommt", sagt Lesske. Das gebe der ganzen Situation wiederum
etwas Fiktives. Und der Zuschauer könne dann davon ausgehen,
"dass das alles schon irgendwie ein Happy-End haben
wird".
Ein falsches Bild des Rechtsextremismus in
Film und Fernsehen? Lesske verneint abermals: "Eher ein
unvollständiges." Filmemacher stünden vor der Aufgabe,
bestimmte Ereignisse visualisieren zu müssen. Das funktioniere
am besten über Stereotype. Sonst müsse man zu viel
erklären. Für den Zuschauer sei es so einfacher, die
Charaktere zu erkennen. "Und das hat auch nichts mit der Dummheit
der Zuschauer zu tun", betont Lesske. Man benötige solche
Stereotypen, weil man sein Gegenüber naturgemäß
über das Äußere schnell einsortieren
wolle.
Der Filmwissenschaftler Rainer Vowe hat
für das Adolf Grimme Institut solche Filme
typologisiert:
Um den Genre- und Serienvorgaben der
"Hakenkreuz-Krimis" zu folgen, stehe am Anfang immer eine Bluttat,
die neorassistisch motiviert sei - ein Mord, ein Angriff auf eine
deutsch-türkische Verlobungsfeier und ähnliches. Der
Auftakt lasse eine Verbindung von "jugendlichen Gewalttätern"
und im Hintergrund agierenden "White-Collars"-Nazis erkennen. Unter
den Jugendlichen befinde sich auch ein Grenzgänger, der von
der Kamera sekundenlang eingefangen werde. Im Laufe des Films werde
dieser Grenzgänger zur Vernunft gebracht, manchmal auch zur
Raison - durch Reue, Einsicht, Familienbande oder Liebe; der
Grenzgänger habe somit noch minimale Spuren von moralischen
Bindungen. Um diesen Grenzgänger zu retten, bedürfe es
stets einer starken Hand, die einer konventionellen
Autoritätsperson wie eines Rechtsanwalts, Lehrers oder
Polizisten. Eine Variante der Rettung biete auch der Opfertod; der
Tod des Grenzgängers appelliere dann aber daran, die
eingeführten Verfahrensweisen der demokratischen Institutionen
anzuwenden.
Die bevorzugte Zeit der Hakenkreuz-Krimis sei
die Nacht; die Orte seien Hintertreppen und -höfe,
bronx-artige Stadtteile, Fabrikruinen. Der bevorzugte Ort der
Kommunikation sei das Hinterzimmer einer Kneipe, in dem streng
gescheitelte Redner über die Nachteile der Demokratie
lamentierten und die Zuhörer Unmengen von Flaschenbier
konsumierten.
Derek und Janosch sind solche Typen. Jung,
rassistisch, gewalttätig. Derek, in dem Tony-Kaye-Film
"American History X" (1998) von dem bekannten US-Mimen Edward
Norton gespielt, erfüllt alle gängigen Klischees. Er
trägt eine Glatze, ein Handteller großes Hakenkreuz auf
der Brust, hasst alle Immigranten, tobt sich auf rechtsradikalen
Partys aus und trifft sich - tatsächlich im Hinterzimmer einer
Kneipe - mit dem rechtsradikalen Wortführer und Finanzier
Cameron; gespielt von Stacy Keach. Als Derek eines Nachts zwei
farbige Autoknacker auf bestialische Weise tötet - er zwingt
einen der beiden Jugendlichen, seinen Oberkiefer auf den Bordstein
zu legen, und tritt ihm dann auf den Hinterkopf - muss er ins
Gefängnis. Dort wird er von ebenfalls rassistischen
Mithäftlingen missbraucht und wendet sich schließlich vom
Rechtsradikalismus ab. In Rückblenden erzählt Regisseur
Tony Kaye, aus welchen Motiven Derek so wurde, wie er ist, und
lässt ihn für seinen fatalen politischen Irrsinn einen
hohen Preis bezahlen. Sein Bruder Danny, den Derek eigentlich aus
der rechtsradikalen Gruppe herausholen wollte, wird von einem
farbigen Mitschüler erschossen.
Was diesen Film so erwähnenswert macht,
sind nicht die Klischees, mit denen er natürlich spielt. Es
ist die Tatsache, dass hier nicht ausgeblendet wird, wie einer
rechtsextrem wird, wie er versucht, aus der alten Gemeinschaft
auszubrechen, welche inneren und äußeren Konflikte er
lösen muss und wie wenig homogen die chaotische
"Kameradschaft" der Rassisten ist.
Der Magdeburger Wissenschaftler Frank Lesske
spricht von einem "Fühlfaktor". Der Film "American History X"
lasse eine emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus
zu. Sehr detailliert würden das gesellschaftliche Klima und
die gesellschaftliche Randsituation des jungen Derek geschildert.
Das zeichne ein wesentlich schärferes Bild des Problems
Rechtsextremismus, als es in den herkömmlichen Produktionen
der Fall sei. "Ich bin mir aber nicht sicher, ob solch ein
emotionaler Umgang mit dem Thema heute in einem deutschen Film
möglich ist", sagt Lesske. Die Diskussion um den Film "Der
Untergang" habe hierzulande doch gezeigt, wie groß die Angst
sei, dass am Ende doch noch Sympathie für das Böse
entstehen könnte.
Nicht ganz so bekannt wie "American History
X", aber mindestens genau so eindringlich ist die Geschichte von
Janosch - wie erwähnt ebenfalls ein Jugendlicher im
rechtsradikalen Milieu. Janosch - im deutschen Film "Oi! Warning"
(2000) gespielt von Sascha Backhaus - will aus dem
schwäbischen Elternhaus ausbrechen und freundet sich mit
seinem Idol, dem zunächst ebenfalls klischeehaft
dargestellten, rechtsradikalen Koma an. Er lässt sich eine
Glatze rasieren und hört von nun an nur noch
einschlägigen Neonazi-Rock - ein Grenzgänger. Die
Filmemacher Dominik und Benjamin Reding zeigen junge Leute, die
sich hauptsächlich über ihre Musik definieren, und viel
zu viel Alkohol trinken. Die Frage, ob das alles hirnlose Monster
sind, verneint Janosch sich selbst gegenüber. Aber
natürlich kann diese Geschichte kein gutes Ende nehmen. Als
Janosch sich mit dem Punk Zottel anfreundet und seine
Homosexualität entdeckt, reagiert Koma eifersüchtig,
tötet Zottel - ebenso bestialisch wie Derek den Autoknacker in
"American History X" - und wird schließlich von Janosch
erschlagen.
Auch dieser Film macht deutlich, wie einfach
ein junger Mensch rechtsradikal werden kann, gibt dem Happy-End
aber keine Chance. Beide Geschichten, die von Derek und die von
Janosch, zeigen die gefährlichen, weil scheinbar so harmlosen
Strukturen von Rechtsextremismus. Es gelingt ihnen, Stereotypen
aufzubrechen, darzustellen, dass Rechtsradikalismus eben keine
Alternative sein kann. Und sie machen deutlich, an welchen Stellen
Rechtsextreme ansetzen, um zum Beispiel Jugendliche auf ihre Seite
zu ziehen. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt.
Für den Politwissenschaftler Peter
Widmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der
Technischen Universität Berlin liegt die Gefahr des
Rechtsextremismus darin, "dass viel zu viele Menschen
gegenüber der Demokratie ein großes Unbehagen spüren
und die Politik nichts dagegen unternimmt". Langfristig
entstünde daraus eine Grunddistanz zum Staat, woran
Rechtsextreme anknüpfen könnten. Widmann hat die
Darstellung Rechtsextremer in TV-Reportagen untersucht und kommt
genau wie Lesske zu dem Ergebnis, dass die Darstellung ein
unvollständiges Bild zeichnet, dass also die tatsächlich
größten Gefahren des Rechtsextremismus ausgeblendet
werden.
Immerhin dokumentiert die durchgängig
negative Darstellung Rechtsextremer in Film und Fernsehen - auch
wenn sie Stereotypen folgt - eine deutlich abneigende Haltung
gegenüber jeder Form von Rechtsradikalismus. Sogar im so
genannten Unterschichten-Fernsehen. Im März dieses Jahres war
den Zuschauern der Endlos-Reality-Soap "Big Brother" ein
glatzköpfiger Container-Bewohner namens Sven K., genannt
Charly aufgefallen, der am Oberarm eine Tätowierung mit
"SS"-Runen trug. In den Chatforen des Senders RTL II setzte sofort
Protest ein. Die Konsequenz: "Um Spekulationen vorzubeugen und eine
klare Distanzierung sicherzustellen, hat RTL II beschlossen, dass
der Kandidat nicht weiter an der Show teilnehmen soll", hieß
es in einer Pressemitteilung des Senders. "Runen-Charly" wurde nach
vier Tagen gefeuert. Auch Stereotypen wirken.
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