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Interview
"Es ist mein Gefängnis"
Interview mit der deutschen Filmemacherin
Margarethe von Trotta
Margarethe von Trotta gehört zu den
international berühmtesten Filmemacherinnen. Im Ausland
assoziiert man mit dem deutschen Kino Namen wie Rainer Fassbinder,
Volker Schlöndorff, Wim Wenders und nicht zuletzt Margarethe
von Trotta. Ihr letzter Film "Rosenstraße" lief 2003 und
handelte von einer Frauenrebellion im Zweiten Weltkrieg.
Das Parlament
In all Ihren Filmen besetzen Frauen die
Hauptrolle. In "Ich bin die andere", Ihrem 20. Film, der
nächstes Jahr rauskommt, wird es auch so sein. Machen Sie
Frauenfilme?
Margarethe von Trotta Auch Männer sind
wichtig in meinen Filmen - aber nicht in der Hauptrolle, das ist
richtig. Tatsächlich ziehen mich Geschichten über Frauen
mehr an. Warum es so ist, müsste man einen Psychoanalytiker
fragen. Ich sage nicht, dass ich eine Feministin bin und nur an
Frauen denke. Es ist kein Programm, es widerfährt mir, es ist
mein Schicksal. Ein Journalist hat mal zu Recht gesagt, alle meine
Filme seien Gefängnis-Filme. Ich drehe immer wieder Filme
über Frauen und es ist mein Gefängnis - aber ein ganz
angenehmes.
Das Parlament
Löst der Begriff Frauenfilm also keine
Allergie bei Ihnen aus?
Margarethe von Trotta Ich weiß, dass
viele Regisseurinnen, gerade in Frankreich, wo ich wohne, gar
nichts damit zu tun haben wollen. Im Grunde bin ich auch allergisch
- aber ich bin es erst geworden. Diesen Begriff haben wir 1978
begründet, zusammen mit Elke Sander, als mein erster Film,
"Das Erwachen der Christa Klages", in Berlin lief. Wir hatten
plötzlich einen großen Erfolg, weil wir Frauen waren. Mit
diesem Begriff wollten wir darauf aufmerksam machen, dass es Frauen
gibt, die Filme genauso gut wie Männer machen. Deswegen
wollten wir, dass Frauen 50 Prozent der Subventionen und der
Gremienplätze erobern. Es war ein Kampfbegriff. Dann wurde er
zu einem Ghetto. Das war natürlich nicht beabsichtigt. Von da
an haben wir auf den Begriff eher mit Misstrauen und Abwehr
reagiert.
Das Parlament
Haben Ihre Filme einen weiblichen Touch?
Könnte ein Mann diese Geschichten auch gewählt und die
Psychologie der Frauen so präzise gezeigt haben?
Margarethe von Trotta Mir wurde oft gesagt,
das könne nur eine Frau machen. Aber es gibt schon
Männer, die auch ein Gespür für Frauen haben. Mein
großer Meister, Ingmar Bergman, hat mir selber gesagt, er
fühle wie eine Frau. Insofern kann ich nicht sagen, ein Mann
könnte solche Filme nicht machen. Dennoch empfinde ich es
nicht als Abwertung, wenn mir jemand so etwas sagt.
Das Parlament
Ihr erster großer Erfolg, "Die Bleierne
Zeit", kam 1981 heraus und handelt von der RAF. Ende der 90er-Jahre
gab es auch eine Reihe von Filmen zu diesem Thema: "Die Stille nach
dem Schuss", "Blackbox BRD", "Baader" - alle von Männern
gemacht. Gehen Sie als Frau anders mit der politischen Geschichte
um?
Margarethe von Trotta Ich habe diesen Film
relativ schnell nach dem Tod von Gudrun Ensslin gemacht, die
anderen Filme kommen 20 Jahre später. Darin liegt der
Hauptunterschied - und nicht in der Tatsache, dass ich eine Frau
bin. Ich war bei der Beerdigung von Gudrun Ensslin und ich habe
mehrere Tage mit ihrer Schwester Christiane verbracht. Sie hat mir
ihre Geschichte erzählt. Es waren Bekenntnisse. Erst viel
später habe ich gedacht, dass es auch zur deutschen Geschichte
gehört, obwohl es nur am Rande der Geschichte der RAF
stattfand. Die Begegnung mit Christiane hat mich auf diese Idee
gebracht.
Das Parlament
Die kleine Geschichte in der großen
Geschichte - ist das nicht auch ein Klischee über
Frauenfilme?
Margarethe von Trotta Natürlich fange
ich damit an, was mich an der Geschichte selber interessiert.
Außerdem drehe ich keine Dokumentarfilme. In "Die bleierne
Zeit" geht es um meine Generation und es gibt zahlreiche Momente in
der Geschichte von Christiane und Gudrun Ensslin, die ich selber
erlebt habe. Das Autobiografische fließt immer wieder
rein.
Das Parlament
Auch in Ihrem Film "Rosa Luxemburg" geht es
zwar auch um den politischen Hintergrund dieser berühmten
Frau, aber in erster Linie um private Ereignisse. Gibt es eine
weibliche Art, mit Politik umzugehen?
Margarethe von Trotta Warum bin ich bei
meinem Film über Rosa Luxemburg so interessiert an der Frau
und nicht nur an der Politikerin? Ein Mann - und besonders
vielleicht einer aus der DDR - hätte nur die Politik gezeigt
und das Private ganz weggelassen. Ich bin ein Mensch, der sich nur
komplett interessiert. Ich beobachte, wie jemand in der
Öffentlichkeit und im Privaten handelt. Oft sind Männer
widersprüchlich. Sie behaupten, verlangen und fordern in der
Öffentlichkeit, aber privat leben sie auf eine ganz andere
Weise. Bei Rosa Luxemburg war beides wirklich kongruent. Was sie
politisch verlangte, hat sie von sich selber verlangt. Ich bin am
Privatleben interessiert, nicht weil ich Soap-Histörchen
daraus holen will, sondern wegen der Balance zwischen Außen-
und Innenwelt.
In meinem Film "Jahrestage" geht es darum,
dass jedes Individuum in eine bestimmte historische Zeit
hineingeboren wird. Es kann eine friedvolle oder eine
grässliche Zeit sein, wie bei mir am Ende des
Nationalsozialismus. Zum Glück bin ich relativ gut
davongekommen. Aber wie gehen Menschen mit einer solch
grässlichen Zeit um? Es gibt Menschen, die resignieren, und
andere, die rebellieren. Mich interessieren die
Rebellen.
Das Parlament
Stichwort Rebellion. Wie blicken Sie auf die
70erJahre zurück, als Frauen anfingen, Filme zu drehen? Hat
die damalige Frauenbewegung Filmemacherinnen anders
getragen?
Margarethe von Trotta Heute ist der
Feminismus kein Thema mehr. Junge Regisseurinnen drehen Filme mit
einer viel größeren Selbstverständlichkeit als meine
Generation. Elke Sander, Helma Sanders-Brahms, Ulla Stöckel,
Jutta Brückner - wir waren damals eine ganze Gruppe, die
gekämpft hat. Wir haben die Bedingungen geschaffen, die heute
Frauen haben, um Filme zu machen. Zwar muss jede für sich
heute immer noch kämpfen, um Gelder zu kriegen. Aber es ist
heute anerkannt, dass Frauen Filme machen können.
Das Parlament
War das Gefühl einer Frauengemeinschaft
früher stärker?
Margarethe von Trotta Sicher. Damals haben
wir uns zum Beispiel in München einmal im Monat getroffen. Wir
haben darüber nachgedacht, was wir anders machen sollten,
damit es im Bewusstsein der Leute ankommt, dass wir Filme machen
können. Ich glaube nicht, dass junge Frauen sich heute
treffen. Diese Solidarität vermisse ich ein bisschen. Unter
uns gab es nicht so einen Neid, wir hatten eine gemeinsame Aufgabe.
Heute habe ich eher das Gefühl, dass jede eine
Einzelkämpferin ist und mit Misstrauen oder sogar mit
Missgunst die anderen Frauen beobachtet, die Erfolg haben. Ich
freue mich heute immer noch über jede Frau, die Erfolg hat -
im deutschen Film oder überhaupt. Dieses Gefühl der
Freude für andere sehe ich nicht bei jüngeren
Frauen.
Das Parlament
Verfolgen Sie mit einem besonderen Augenmerk,
was junge Regisseurinnen heute machen?
Margarethe von Trotta Ich mache den
Unterschied nicht mehr so stark zwischen Männern und Frauen.
Mich interessiert, was entsteht. Entsteht überhaupt etwas? Ist
überhaupt eine Kraft da, ein Wille, eine Energie? Gibt es
etwas, was gesagt werden muss? Oder wollen sie nur Filme machen,
weil Film etwas Tolles ist, auch wenn sie nichts zu sagen
haben?
Das Parlament
Sie gehören zu den wenigen Frauen, die
weltweit so große Budgets für ihre Filme bekommen. Wie
erklären Sie sich, dass Frauen immer noch kleinere Budgets als
Männer erhalten?
Margarethe von Trotta So groß sind meine
Budgets auch nicht. Ich habe immer das Gefühl, ich mache meine
Filme für weniger Geld und in weniger Zeit, als ein Mann es
machen würde. Helma Sanders-Brahms hat mal gesagt, wir
müssen immer noch gute Kuchen mit weniger Ingredienzen backen.
Aber das gelingt uns trotzdem. Lange Zeit war ich Schauspielerin
und ich war mit dem Wunsch konfrontiert, Filme zu machen. Als ich
es geschafft hatte, war ich so froh, dass ich dem Schicksal
unendlich dankbar war. Eine solche innere Haltung ist schlecht,
wenn man Geld fordern will. Es ist schon so schön, dass man es
machen darf - mit dem wenigen Geld gibt man sich dann auch
zufrieden.
Das Parlament
Frau von Trotta, wir bedanken uns für
das Gespräch.
Das Interview führte Geneviève
Hesse
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