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Daniel Kothenschulte
Das Comeback der Helden
Zur Geschichte zweier Genres: Antikriegsfilm und
Kriegsfilm
Über die Möglichkeiten des
Antikriegsfilms wurde lange debattiert. Heute scheint der Begriff
aus der Mode gekommen; dabei ist die Frage nach seinen
Möglichkeiten mindestens so spannend, wie die, ob Propaganda
Kunst sein kann. Für den amerikanischen Filmemacher John
Milius, bekannt geworden als Drehbuchautor von Francis Ford
Coppolas Vietnamfilm "Apocalypse Now", ist dieses Genre ein
Widerspruch in sich selbst: "Wer einen Antikriegsfilm dreht, kann
ebenso gut einen Film gegen den Regen drehen."
Tatsächlich lässt sich in
"Apocalypse Now", dieser freien, von überrealistischen
Kampfszenen bestimmten Verfilmung des Joseph Conrad-Romans "Herz
der Finsternis", keine eindeutige ethische Position ausmachen -
weder zum damals erst sechs Jahre zurückliegenden
amerikanischen Rückzug aus Vietnam, noch zum Krieg im
Allgemeinen. Derart offen zeigt sich dieser Film für
Interpretationen, dass man ihn sowohl als kriegsverherrlichend wie
als pazifistisch lesen kann. Stürzt etwa der rauschhaft
montierte Fluss der apokalyptischen Kampfhandlungen, zu denen
einmal Wagners "Walkürenritt" aus dem Kampfhubschrauber
dröhnt, den Zuschauer in den Sog lustvoll inszenierter
Stahlgewitter? Oder ist es andererseits überhaupt
möglich, die schonungslose Darstellung sinnlosen Sterbens
nicht als Anklage gegen die Kriegstreiber zu werten?
Schon lange bevor in der Kritik zwischen
Kriegs- und Antikriegsfilmen unterschieden wurde, stritt man
über die generelle Darstellbarkeit dieses Sujets. Selbst zwei
so kritisch gegenüber dem Krieg ausgerichtete Filmklassiker
wie Lewis Milestones Remarque-Verfilmung "Im Westen nichts Neues"
(1930) und Bernhard Wickis "Die Brücke" (1959) entfachten zur
Entstehungszeit erhebliche Debatten, ob sie ihr Anliegen nicht zu
kompromissbereit vortrügen. Beide Filme stellen am Beispiel
jugendlicher Kriegsteilnahme die Sinnlosigkeit ihrer Einsätze
heraus.
In Milestones Film kommt der Freiwillige Paul
während des Fronturlaubs in seine Schule zurück und wird
vom Lehrer gebeten, eine aufbauende Ansprache zu halten.
Verzweifelt beteuert er, nicht reden zu können. Siegfried
Kracauer, dem Kritiker der "Frankfurter Zeitung", ging diese Szene
in ihrer Aussage nicht weit genug: "Diese Stummheit kennzeichnet
die höchst anfechtbare Neutralität des Films. Sie ist der
Erkenntnis feindlich. Sie steigert den Krieg zum mythischen
Schicksal empor, das er nicht ist, und belässt ihm die
Unabwendbarkeit, die er nicht hat. Ich befürchte, dass die
Kriegslüsternen unter den Jungen durch den Film nicht davon
zurückgehalten werden, neue Heldentaten zu begehen. Und ich
schätze, das Reichswehrministerium hat gar keinen Grund, so in
Sorge zu sein."
Der Vorwurf, Kriege erschienen selbst in
pazifistisch gefärbten Filmen als unabwendbares Schicksal,
taucht auch in der Rezeption von Bernhard Wickis Film "Die
Brücke" auf. Die jungen Soldaten, so wurde argumentiert,
stürben einen Heldentod, der nur deshalb sinnlos erschiene,
weil die von ihnen verteidigte Brücke strategisch unwichtig
sei. Lotte Eisner, neben Kracauer eine weitere wichtige, aus
Deutschland vertriebene Kritikerin der Weimarer Republik, sah in
diesem Film sogar eine Glorifizierung des Hitlerjugend-Geistes.
Gerade davon hatte sich Wicki in seinem Regiedebüt
distanzieren wollen. Tatsächlich war das deutsche
Nachkriegskino reich an erfolgreichen Kriegsfilmen gewesen, in
denen die Unschuld des einzelnen Soldaten an einem zum Schicksal
verkürzten Krieg beteuert wurde. Bevorzugte Spielzeit war die
Endphase des Krieges, in der sich der Untergang des Regimes
abzeichnet; so entging man einer Auseinandersetzung mit der
Ideologie - etwa in Frank Wisbars Filmen "Haie und kleine Fische"
(1957) und "Hunde, wollt ihr ewig leben" (1958).
Militärtugenden konnten in diesen Filmen bruchlos
überleben.
Wie bei allen Genrebezeichnungen sollte nicht
vergessen werden, dass die mit ihnen verbundenen
Gesetzmäßigkeiten ursprünglich einmal nicht von
Produzenten oder Autoren festgeschrieben wurden, sondern von
Kritikern, die bemüht waren, die Fülle der anlaufenden
Filme zu systematisieren. Sie sagen nichts über die Intention
der Filmemacher aus. Ist ein Film, der im Krieg spielt, automatisch
ein Kriegsfilm? Erstaunlicherweise fällt dieser Begriff kaum,
wenn ein Film von den historischen Kriegen Cäsars oder
Napoleons handelt. In Victor Flemings Film "Vom Winde verweht" ist
der amerikanische Bürgerkrieg nicht nur historischer
Hintergrund, sondern Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Er
motiviert maßgeblich die moralische Entwicklung der Heldin.
Dennoch firmiert der Film eher als Kostüm-, Abenteuer- oder
Liebesfilm denn als Kriegsfilm. So bleibt dieser Begriff meist
Filmen über militärische Konflikte seit dem Ersten
Weltkrieg vorbehalten - also jenen, von denen auch Realaufnahmen
existieren oder die mit den Mitteln der Filmpropaganda beworben
wurden.
Ähnlich dem anhaltenden Konflikt, ob es
überhaupt möglich sei, innerhalb der nicht zuletzt von
Schauwerten bestimmten "Kriegsfilm"-Konventionen pazifistische
Inhalte zu transportieren, gibt es insbesondere in der deutschen
Filmkritik anhaltende Kontroversen über die Frage, ob
Propaganda Kunst sein kann. Wie sehr die deutsche Filmindustrie mit
der Propaganda verbunden ist, zeigt sich schon daran, dass ihre
historisch erfolgreichste Produktionsfirma, die UFA, 1917 von der
Obersten Heeresleitung gegründet wurde - auch wenn sie ihren
direkten patriotischen Auftrag zunächst nur noch in wenigen
Produktionen wie "Das Vaterland ruft" aus demselben Jahr
erfüllen konnte. Auch in Frankreich wirkte der Staat als
Produzent aufwändiger Kriegsdramen. 1917 drehte Abel Gance mit
Tausenden von Soldaten seinen Film "J'Accuse". Im Bewusstsein, dass
diese nach Ende der Dreharbeiten wieder vom Tod bedroht sein
würden, stellte Gance den Krieg als solchen in Frage: Am Ende
steigen Abertausende von Kriegstoten aus ihren Gräbern und
fordern Rechenschaft, ob sich ihr Opfer gelohnt habe. Ihre
Körper formen vor der Kamera die Titelzeile: "Ich klage
an!"
Schon zu diesem Zeitpunkt war bekannt, dass
auch im Gewand der Propaganda Kunstwerke entstehen können.
1915 vollendete D. W. Griffith sein Bürgerkriegsdrama "The
Birth of a Nation". Als der ursprünglich "The Clansmen"
betitelte Film aufgeführt wurde, nahm er weite Teile des
Publikums derart für die rassistischen Machenschaften des
Ku-Klux-Klan ein, dass die Vereinigung neu gegründet wurde.
Zugleich aber erneuerte das Epos die Filmsprache, indem es moderne
Montagetechniken etablierte, die bis heute Anwendung finden. Dieser
Film war eine unabhängige Produktion; aber auch in offizieller
Propaganda können sich künstlerische Ergebnisse
generieren. Dabei müssen sich Filmemacher nicht einmal in
heimlicher Subversivität von ihrem Auftraggeber
distanzieren.
Während des Zweiten Weltkriegs
überwachte Frank Capra die Propagandafilmreihe "Why We Fight",
für die zahlreiche bedeutende Hollywoodregisseure das
Kriegsgeschehen filmisch umsetzten. Es entstanden dabei
Meisterwerke des Dokumentarfilms wie John Hustons Kurzfilm "San
Pietro" (1945). Ungeschönt dokumentiert er den Kampf
amerikanischer Truppen um das italienische Bergdorf, der 1.100 Tote
forderte. In der deutschen Kriegspropaganda hingegen waren eigene
Verluste wie auch die Zerbombung der Städte ein Tabu. In
England wiederum nutzte Humphrey Jennings in seinen
Propagandafilmen wie "Diary for Timothy" intensive Kamerastudien
vom Überlebenswillen der Londoner Zivilbevölkerung
für emotional höchst einnehmende Filmessays.
Lediglich in Deutschland werden die Begriffe
Propaganda und Kunst immer noch häufig als Widerspruch
angesehen. Dieser Konflikt wurde wesentlich durch Leni Riefenstahls
Position am Leben erhalten, ihre im Auftrag des NS-Regimes
entstandenen Filme seien Kunstwerke und schon daher per se
unpolitisch. Dagegen stand die Meinung, die propagandistische
Ausrichtung schlösse jeden Kunstwert von vornherein aus.
Menschenverachtende Propaganda könne keine Kunst sein.
Tatsächlich aber schuf Riefenstahl Propaganda mit
künstlerischen Mitteln. Indem sie Techniken der Filmavantgarde
adaptierte, intensivierte sie - etwa im Parteitagsfilm "Triumph des
Willens" - noch die Agitation für das Hitlerregime.
Um auf den Kriegsfilm zurückzukommen,
ließe sich argumentieren: Ist nicht das mit aller
Kunstfertigkeit evozierte Kriegsspektakel ein martialisches
Schauspiel an sich, das keine Subversion erlaubt? Steht nicht die
Schaulust, die der Kriegsfilm weckt, dem Antikriegsfilm stets
entgegen?
Die berühmte Eröffnungssequenz von
Steven Spielbergs Film "Der Soldat James Ryan" übertrifft an
Deutlichkeit bisherige Darstellungskonventionen für
Schlachtszenen. Das Ergebnis ist nicht lustvolle Opulenz, sondern
ein regelrechter Schock. Allerdings sind diese Szenen nicht
pazifistisch konnotiert. In Verbindung mit der anschließenden
Geschichte eines heldenhaften Rettungseinsatzes leistet Spielbergs
Film, was ein Kriegerdenkmal üblicherweise tut - er gedenkt
der Opfer der Kriegsteilnehmer in visuell einprägsamer Form.
Die Form der Heldengeschichte, in der sich der Krieg mitunter als
nützlich für die charakterliche Entwicklung des Einzelnen
erweist, ist in diesem Kontext durchaus erwünscht.
Hollywoodproduktionen über jüngere militärische
Konflikte wie Ridley Scotts Somalia-Film "Black Hawk Down" oder das
im Bosnienkrieg angesiedelte Actiondrama "Im Fadenkreuz - Allein
gegen alle" zeigen den Krieg auch in jüngster Zeit als
Bewährungsprobe Einzelner, ohne ihn als solchen in Frage zu
stellen. So wie der Pazifismus kaum noch als politische Option
diskutiert wird, scheinen mit ihm auch Filme gegen den Krieg
verschwunden zu sein. Das Genre "Kriegsfilm" erlebte ein
Comeback.
Eine ungewöhnliche Ausnahme ist in
diesem Zusammenhang David O'Russells Komödie "Three Kings".
Der Kuwaitkrieg erscheint darin als gänzlich surreale
Medienrealität. Erst lange nach dem Kampfeinsatz der
Protagonisten, am Rande eines privaten Raubzugs, dringt ihnen die
Realität allmählich ins Bewusstsein. Seit Charly Chaplins
Film "Shoulder Arms" aus dem Jahre 1918 hat es immer wieder
Komödien gegeben, die das Absurde militärischer
Operationen herausstellten; die bekannteste ist Kubricks "Dr.
Seltsam - oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben."
Dezidierte Antikriegsfilme entstanden vor
allem zu jenen Zeiten, als der Pazifismus auch in der
Öffentlichkeit lebendig war: zwischen den Weltkriegen (King
Vidors "The Big Parade"), in der Nachkriegszeit (Wickis "Die
Brücke"), während des Kalten Krieges und zum
Höhepunkt des atomaren Wettrüstens: Eines der emotional
bezwingendsten Beispiele ist Isao Takahatas japanischer
Animationsfilm "Das Leuchtkäfergrab" (1986) über
obdachlose Kinder im zerstörten Tokio. Heute hingegen ist
diese Filmform fast ausgestorben. Sollte John Milius Recht
behalten? In einer Zeit, da der Krieg in den meisten
Industrienationen wieder als politische Option wahrgenommen wird,
lässt er sich kaum durch einen Film wegwünschen. Oder
doch? In einem einzigen konkreten Fall hätte es vielleicht
sogar klappen können. Michael Moores Film "Fahrenheit 9/11"
ist im wörtlichen Sinne ein Antikriegsfilm. Das erklärte
Ziel des Filmemachers war die Abwahl der Bush-Regierung und der
Abzug aus dem Irak. Oder ist Moores Film vielleicht doch einem
anderen Genre zuzurechnen, dem der Propaganda? Möglicherweise.
Ein Widerspruch aber wäre das nicht.
Daniel Kothenschulte ist verantwortlich
für den Bereich Film im Feuilleton der "Frankfurter
Rundschau".
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