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Barbara Scheizerhof
Die mächtige Waffe names Zelluloid
Kunst mit Massenwirkung: Zum Verhältnis von
Film und Politik
Film ist eine Kunst mit Massenwirkung. Das
belegt nicht nur die Tatsache, dass von allen Kunstsparten hier am
meisten Geld ausgegeben wird. Auch die Durchdringung des globalen
kulturellen Raums zeigt eine gewisse Vorherrschaft an: Ob auf einem
Basar in Mittelasien oder einem Markt in Afrika, ob in Sibirien
oder Lateinamerika - die Wahrscheinlichkeit, auf jemanden zu
treffen, der "Terminator" Arnold Schwarzenegger oder "Pretty Woman"
Julia Roberts kennt, ist relativ groß.
Schon in dieser kulturellen
Hegemonialstellung steckt eine politische Wirkung. Deren Agenda
lässt sich vage mit "westlichem Lebensstil" umschreiben. Von
den Filmproduzenten aus Hollywood wird sie absichtlich
heruntergespielt unter der Vorgabe, man habe nur "Unterhaltung" im
Sinn. Die geistigen, kulturellen und politischen Eliten jenseits
des Westens sehen das oft anders; in ihren Augen bildet das Kino
eine ungeheuer nachhaltig wirkende Waffe im "Kampf der Kulturen",
dem mangels Ressourcen vor Ort meist nur Ungenügendes
entgegengesetzt werden kann.
In der Sowjetunion wurde einst versucht,
durch gezieltes Kopieren gewisser Hollywoodrezepte einen eigenen
populären Kanon zu erzeugen, der dem westlichen Einfluss
sozusagen durch Besetzung von Positionen Einhalt gebietet.
Inwiefern das gelang, ist bei Wissenschaftlern umstritten. Es gibt
jedoch einige, die das Ende des real existierenden Sozialismus in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausbreitung des Videomarktes
seit den frühen 80er-Jahren sehen. Was die Menschen sich als
private Kopien in ihren Wohnzimmern anschauten, war damit nicht
mehr zu regulieren - der "westliche Lebensstil" aber triumphierte
in Form von illegalen Importen und Schwarzkopien erst recht, da die
"legale" einheimische Filmproduktion die Einführung von Videos
fast gänzlich versäumte.
Innerhalb der westlichen Hemisphäre wird
ironischerweise genau dieses affirmative Moment der großen
Hollywoodproduktionen oft als "unpolitisch" kritisiert. Die Macht
des Kinos für ein Engagement zu nutzen, das einer gerechteren
Sache dient als der Glorifizierung des "westlichen Lebensstils",
ist deshalb immer wieder ein Anliegen sich als fortschrittlich
begreifender Filmemacher.
Den vielleicht größten Erfolg damit
hatte Michael Moore im vergangenen Jahr mit seinem viel
diskutierten Dokumentarfilm "Fahrenheit 9/11". Seine Geschichte
zeigt aber zugleich auch die Krux des politisch engagierten Films
auf: Im Mai 2004 bekam Moore die goldene Palme der Filmfestspiele
in Cannes verliehen; es war ein Triumph des politischen Films
über das Kunst- und Autorenkino.
Moores Film war der Film der Stunde: Er war
Anti-Bush, Anti-Irak-Krieg, einigermaßen aufklärerisch
und sehr unterhaltend. Zusätzlich motiviert von der Publicity
in Europa bemühte Moore sich darum, seinen Film rechtzeitig
vor den Präsidentenwahlen im November in den USA ins Kino
bringen. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Mutterkonzern Disney
gelang ihm das auch - allerdings musste "Fahrenheit 9/11" sozusagen
erst frei gekauft werden. Die Kontroverse wirkte sich als positiver
Werbeeffekt aus - binnen kurzem brach der Film sämtliche
Rekorde, die es je für Dokumentarfilme gegeben hatte, und
spielte das Traumergebnis von über 100 Millionen Dollar ein.
Dann aber gewann George W. Bush die Wahlen trotz alledem. Es zeigte
sich, dass Moore offenbar lediglich das Publikum ins Kino gebracht
hatte, das sowieso mit ihm einverstanden war. So wichtig diese Art
der Selbstvergewisserung auch ist, lassen sich mit einem
Dokumentarfilm eben doch keine politischen Umschwünge
herbeiführen.
Das ebenfalls sensationelle Einspielergebnis
eines anderen "Independent"-Films, der wenige Monate vor
"Fahrenheit 9/11" in den USA in die Kinos gekommen war, hätte
übrigens einen wichtigen Hinweis auf den wahren Ausgang der
Wahlen geben können: Mel Gibsons Verfilmung der letzten
Stunden im Leben Jesus', "The Passion of the Christ" spielte locker
das Dreifache von "Fahrenheit 9/11" ein - und das ebenfalls ganz
ohne werbende Unterstützung eines großen Studios. Nun war
"The Passion of the Christ" kein im eigentlichen Sinn politischer
Film. Für die Zuschauer in Amerikas berüchtigtem "Bible
Belt" aber wurde der Besuch dieses umstrittenen Werks, dem sowohl
seine exzessive Gewaltdarstellung als auch antisemitische Tendenzen
vorgeworfen wurden, durchaus zu einer politischen
Demonstration.
Bei aller Unterschiedlichkeit haben "The
Passion of the Christ" und "Fahrenheit 9/11" eines gemeinsam: In 50
Jahren wird ihr politischer Impetus kaum mehr sichtbar sein. Sicher
hat Gibsons Film die größeren Chancen, auch noch von
nachfolgenden Generationen betrachtet zu werden, und sei es in
Vergleichsstudien über die lange Liste der "Jesusfilme".
"Fahrenheit 9/11" dagegen mit seinen Andeutungen und ironischen
Zuspitzungen, mit seinem ganz auf die Gegenwart gerichteten
Kommentar wird man schon in wenigen Jahren nur noch stellenweise
verstehen können. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass
Michael Moore als Filmemacher dann plötzlich neu entdeckt wird
- nicht mehr als Agitator, sondern als Meister der Collage und
genial mit den Mitteln der Wirklichkeit hantierender Komiker. Mit
anderen Worten: Man begänne in ihm nicht mehr nur den Polit-,
sondern den Kunstfilmer zu sehen.
Den Weg von der Politik zur Kunst haben
bereits viele engagierte Filmbewegungen hinter sich. Sergej
Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" ist heute die Lehrbuchvorlage
einer bestimmten Montagetechnik, der agitatorische Inhalt des Films
wird kaum noch bemerkt. Die Filme des italienischen Neorealismus,
einst wahrgenommen als flammende Plädoyers gegen herrschende
soziale Verhältnisse, gelten dem Publikum der Gegenwart als
schwerblütige Melodramen. Der "Spülstein-Realismus" des
britischen Kinos der frühen 60er wiederum wirkt heute
ungeheuer intellektuell und abstrakt. Was man an dieser
Aufzählung auch sehen kann: Mehr Engagement, mehr Politik in
den Filmen, das war immer wieder mit der Forderung nach mehr
Realismus verbunden. In der historischen Perspektive aber
relativieren sich die "Realismen" zu ästhetischen Konzepten
einer bestimmten Epoche.
Gewohnheitsmäßig werden Politik und
Kunst als feindselig gesetzt. Dabei ist es nicht das Politische,
das Filme "unkünstlerisch" macht, sondern das Ideologische.
Kunst steht für Offenheit, für Risiko, dafür, dass
man auch den Blick in den Abgrund wagt, und vor allem: immer wieder
die eingeschliffenen Sichtweisen revolutioniert. Ideologie arbeitet
genau dagegen an. Sie hält an Perspektiven fest, will sie
vorschreiben. Sichtweisen zu revolutionieren ist deshalb per se ein
politischer Akt. So betrachtet gibt es im Grunde kein unpolitisches
Kino.
Barbara Schweizerhof ist Kulturredakteurin
bei der Wochenzeitung "Freitag" in Berlin.
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