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Martin Gerner
Rückschlag für Pressefreiheit
Afghanistan
Wenn "westliche" Journalisten in Krisen- und Kriegsgebieten
entführt oder verhaftet werden, mobilisiert sich schnell eine
Medien-Öffentlichkeit. Politiker und Regierende setzen sogar
Krisenstäbe ein. Denn es ist ein Angriff auf "unsere" Presse
und Freiheit. Ein Fall ist eine Story, wenn es um Länder geht,
die diese Freiheiten entbehren und in denen es knallt. Afghanistan
zum Beispiel. Dort wird noch immer ein Krieg geführt, wenn
auch begrenzt. Das öffentliche Interesse nimmt täglich
ab. Jüngst - am 1. Oktober - ist am Hindukusch erstmals seit
Bestehen des neuen Mediengesetzes ein bekannter Journalist zu zwei
Jahren Haft wegen Blasphemie verurteilt worden. Schweigen im
deutschen Blätterwald. Dabei handelt es sich um ein
Präzedenzfall in mehrfacher Hinsicht.
Ali Mohakik Nasab, Herausgeber der afghanischen
Frauenzeitschrift "Hakuk-i-San" ("Frauenrechte") hat in seiner
Zeitschrift geschrieben, dass Apostasie, also Abkehr vom Islam,
kein Verbrechen sei, welches mit dem Tod bestraft werden sollte.
Einflussreiche Konservative im Rat der Ulama, der höchsten
geistlichen Instanz, gaben daraufhin Anweisung an den obersten
Gerichtshof in Kabul, der Nasab im Eilverfahren veurteilte. Dabei
wurde kurzerhand das Recht außer Kraft gesetzt. Denn nach dem
geltenden Verfahren muss zunächst eine Kommission
unabhängiger Journalisten, Menschenrechtler, Wissenschaftler
und Geistlicher eine Empfehlung aussprechen. Mohakik Nasab dagegen
wurde auf offener Strasse verhaftet. "Eine Art Kidnapping", so ein
Kommentator, "nicht mal die Polizei war richtig informiert." Der
Veruteilte wurde in Ketten und Handschellen zur Anklagebank
geführt, sein Kopf wurde glattrasiert. "Ich fürchte um
sein Leben", sagte ein Freund nach den ersten
Hafteindrücken.
Diese Bilder wurden im afghanischen Fernsehen gezeigt.
Präsident Hamid Karsai ordnete daraufhin umgehend die
Freilassung des Inhaftierten an. Anders als vor zwei Jahren, als
zwei Journalisten unter ähnlichem Vorwand verhaftet worden
waren, scheiterte Karsais Intervention diesmal. Nichts verdeutlicht
besser, wie zerbrechlich das neue Verfassungsgut Presse- und
Meinungsfreiheit vier Jahre nach dem Fall der Taliban in der
Wirklichkeit ist. Der Fall Nasab ist auch ein politischer Kampf
radikaler gegen gemäßigte Schiiten.
Am Problematischsten ist, dass es für Blasphemie keine
klaren Kriterien gibt. Vieles ist der freien Interpretation
überlassen. Konservative Geistliche und Mullahs hatten
jüngst den privaten Fernsehsender Tolo TV scharf angriffen,
weil dort Moderatorinnen in engen Kleidern auftreten, die sich an
Vorbildern westlicher TV-Shows orientieren. Der Rat der Ulama denkt
seitdem über ein eigenes Fernsehen nach.
Für Robert Kluyver, vom Open Society Institute in Kabul,
ist der Fall Nasab ein beunruhigender Präzedenzfall. "Es
fehlen gesetzliche Vorschriften in Afghanistan und deren Befolgung.
Sollte Nasab frei kommen, gibt es keinerlei Gewähr, dass sich
ein solcher Fall nicht wiederholt."
Rahimullah Samander von der Vereinigung unabhängiger
Journalisten sagt: "Wir können immer noch nicht frei über
Themen mit Islam-Kontext schreiben und über Religion. Das muss
sich ändern." Andernfalls befürchte Samander mehr
Festnahmen unter Afghanistans Journalisten und mehr
Selbstzensur.
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