Peter Dudek
Betroffenheit und zeitliche Distanz
zusammenbringen
Holocaust und Shoa als Themen der
Lehrerbildung
Nationalsozialismus und Holocaust sind seit den frühen
60er-Jahren Dauerthemen in der historisch-politischen Bildung der
Bundesrepublik. Die beiden Herausgeber sind seit vielen Jahren im
Diskurs über den "Nationalsozialismus in der schulischen
Bildungsarbeit" präsent. Ihr neuer Sammelband soll
unterschiedliche methodische Ansätze und differenzierte
Zugänge in der Lehrerbildung zur Auseinandersetzung mit
Nationalsozialismus und Holocaust dokumentieren.
Dabei sind sie bemüht gewesen, ein möglichst breites
Spektrum ihrer Thematik abzudecken, konkret: Sie begrenzen sich
nicht nur auf die deutschen Debatten, sondern präsentieren im
vierten Teil des Buches auch sehr instruktive internationale
Ansätze zur Holocaust Education. Vertreten sind Beiträge
aus Polen, Tschechien, England, den USA und Israel. Während
der israelische Schulrat Michael Yaron die Bedeutung der Shoa im
Geschichtsunterricht Israels diskutiert, informiert der in Israel
lebende deutsche Historiker Michael Schwemmen über die
Holocaust-Erziehung an israelischen Schulen.
Eher im Kontrast dazu steht der Aufsatz des
palästinensischen Erziehungswissenschaftlers Sami Adwan, der
unter anderem auf der Basis von Interviews mit
palästinensischen Hochschullehrern und Lehrern der
randständigen Bedeutung des Themas Holocaust im
Erziehungssystem seines Landes nachspürt und vor dem
Hintergrund des israelisch-palästinensischen Konflikts
diskutiert.
Eröffnet wird der Band jedoch durch einen einführenden
Beitrag der beiden Herausgeber, der dem Leser einen freilich nicht
immer geglückten stichpunktartigen Rückblick auf die
Etappen der pädagogischen Verarbeitung von Nationalsozialismus
und Holocaust bietet. Deren Bedeutung in der Lehrerbildung von 1945
bis 1965 untersucht Wolfgang Stammwitz; er bestätigt nochmals
die Defizitdiagnosen der bisherigen Forschungen, kann aber mit
einigen interessanten Details aufwarten, die Anregungen für
künftige Forschungsarbeiten enthalten.
Der zweite Teil des Bandes versammelt Beiträge aus der
Ersten und Zweiten Phase der Lehrerausbildung. Entsprechend
rekrutieren sich die Autoren aus Hochschuldozenten und Lehrern, die
in ihrer Berufspraxis einschlägige Erfahrungen mit dem Thema
gesammelt haben und diese hier entweder kritisch reflektieren oder
einzelne Projekte vorstellen. So geht es einmal um die
einschlägige Kinder- und Jugendliteratur und ihre Rezeption,
um die Bedeutung von Nationalsozialismus und Holocaust im Studium
zukünftiger Geschichtslehrer und im fachdidaktischen
Seminar.
Die vier Beiträge des dritten Teils sind Trägern der
Lehrerweiterbildung gewidmet, welche die durch die
Länderministerien geregelten Fortbildungsangebote inhaltlich
ergänzen. Heinrich Bartel reflektiert die Bedeutung der
Israel-Spezialreisen der Bundeszentrale für politische Bildung
für Gedenkstättenmitarbeiter und Pädagogen, Norbert
H. Weber stellt Konzepte für Studienfahrten nach Polen vor.
Während sich Annegret Ehmann kritisch mit der
Lehrerfortbildung und den Rahmenplänen in den neuen
Bundesländern auseinandersetzt, befasst sich Elke Gryglewski
aus gedenkstättenpädagogischer Sicht mit der Frage, wie
das Thema "Holocaust im 21. Jahrhundert" mit jungen Schülern
zu bearbeiten wäre.
Sammelbände mit einer Vielzahl an Autoren tragen immer ihre
eigenen Risiken. Das ist auch gelegentlich hier der Fall. Dennoch
ist es den Herausgebern gelungen, eine stattliche Anzahl von Texten
einzuwerben, die sich ihrer Fragestellung auf unterschiedlichen
Wegen und aus verschiedenen Perspektiven nähern. Letztlich
vermitteln sie den Eindruck, dass die Geschichte der
pädagogischen Verarbeitung des Nationalsozialismus und
Holocausts nicht nur als Defiziterzählung geschrieben werden
muss.
Hanns-Fred Rathenow, Norbert H. Weber (Hrsg.)
Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches
Lernen in der Lehrerbildung.
Krämer Verlag, Hamburg 2005; 321 S., 34,80 Euro
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