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Ursula Homann
Was wäre das Land ohne seine Jeckes!
Die deutschen Juden in Israel
"Kommst Du aus zionistischer Überzeugung
oder aus Deutschland?" So oder ähnlich wurden zwischen 1933
und 1939 im damaligen Palästina, dem heutigen Israel, viele
der etwa 60.000 deutschsprachigen Juden gefragt, die ihre deutsche
Heimat verlassen und im Gelobten Land Zuflucht gesucht hatten.
Damit warf man ihnen vor, dass sie sich niemals in Palästina
niedergelassen hätten, wenn die Nationalsozialisten nicht an
die Macht gekommen wären. Für die meisten Jeckes, wie die
Juden aus Deutschland im Lande Zion genannt wurden, traf dies
durchaus zu.
Ihre Vorliebe für Disziplin,
Pünktlichkeit, gute Manieren, für so genannte
preußische Tugenden also, machte sie zu einem beliebten Objekt
von Witzen und Spötteleien. Tatsächlich brachten sie in
ihrem Gepäck kulturelle Kategorien und Denkmodelle mit, die
sie im Laufe der Assimilation an die deutsche Kultur und Sprache
erworben hatten und die sie, so schien es zumindest, oft deutscher
als die Deutschen machten. Selbst die "asiatische" Hitze konnte
ihren alten festen Gewohnheiten nichts anhaben. So erzählt man
gerne, wie sich Ärzte im Jackett die Steine auf der Baustelle
mit einem "Bitte schön, Herr Doktor" und einem "Danke
schön, Herr Doktor" weitergereicht hätten.
Woher genau das Wort "Jecke" stammt, ist
unklar. Eine populäre Erklärung beruft sich auf "Jacke",
die auch bei größter Hitze anbehalten wurde. Einer
anderen zufolge handelt es sich um die hebräische
Übersetzung von "jehudi kasche havan - ein Jude, der schwer
von Begriff ist".
Zwei empfehlenswerte Neuerscheinungen widmen
sich ausgiebig dem Schicksal der Jeckes: Der diesjährige, gut
bebilderte Jüdische Almanach anlässlich des 50.
Geburtstags des Leo-Baeck-Instituts und der Sammelband "Zweimal
Heimat". Er ist das Ergebnis einer internationalen Konferenz, die
im Jahre 2004 im Jerusalemer Konrad Adenauer Konferenzzentrum
stattgefunden hat.
Viele Jeckes - das geht aus beiden
Büchern deutlich hervor - sehnten sich nach ihrem alten
Zuhause und widersprachen damit dem zionistischen Mythos, nach dem
die Einwanderung der Juden nach Palästina eine wahre
Erlösung sein sollte. Schon die hebräische Sprache
bildete für diese "Israelis aus Not" eine große
Hürde, die manche zeitlebens nie überwunden
haben.
Die meisten deutschen Juden in Palästina
verließen das Land nicht mehr. Aus diesem Grund behaupteten
einige Historiker, die Jeckes hätten in Israel eine neue
Heimat gefunden. In vielen Fällen hatten sie wahrscheinlich
einfach nicht mehr den Mut, nochmals auszuwandern und sich eine
neue Bleibe zu suchen.
Einige entschieden sich allerdings
später doch für eine Rückkehr nach Deutschland, der
ein oder andere auch für eine Übersiedlung in die DDR,
zum Beispiel der Vater von Anetta Kahane, der nach 1945 für
sich und seine Familie bewusst ein Leben in Ost-Berlin wählte.
Andere wiederum verschlug es für immer nach Amerika. Über
130.000 deutschsprachige Juden flüchteten nach 1933 in die
USA.
In beiden Büchern lernen wir nicht nur
heimwehkranke einsame Jeckes kennen, die sich seit ihrer Flucht aus
Deutschland nirgendwo mehr richtig zu Hause fühlten, gleich,
wohin es sie verschlug. Wir lesen vielmehr auch von überaus
erfolgreichen Juden, wie etwa den berühmten
Kaufhauskönig, Mäzen und Verleger Salman Schocken, den
Amos Elon anschaulich porträtiert, ferner den aus Deutschland
stammenden Direktor der Tel Aviver Stadtbibliothek, Heinrich Loewe,
der sich um das geistige Wohl der Jecken kümmerte, sowie
Siegfried Moses - Rachel Heuberger nennt ihn "den Jecken vom
Dienst" -, der 1949 erster Staatskontrolleur von Israel
wurde.
Einige wenige Jeckes waren aus
Überzeugung ins Gelobte Land gekommen, wie etwa Hermann Mayer,
Sohn einer zionistischen Buchhändlerfamilie, und die aus
Berlin stammende Lotte Cohn, die erste Architektin im Lande Israel.
Reb Schlomo Wechsler gehörte ebenfalls zu ihnen. Er war
bereits Ende des 19. Jahrhunderts nach Jerusalem übergesiedelt
und dort in der Talmud-Hochschule zu einer Leuchte
geworden.
Trotz aller Vorbehalte, die den
deutschsprachigen Einwanderern lange Zeit entgegengebracht wurden,
schaffte es diese kleine, aber hoch qualifizierte Minderheit, dem
späteren Staat Israel ihren Stempel aufzudrücken. Sie
leistete zu Israels Aufbau einen beachtlichen Beitrag in der
Wirtschaft, in der Politik, in den Medien, im Erziehungswesen, in
der Wissenschaft, in der Literatur, im Theater, in der Musik und im
Tanz. Die Gegenwart der deutschen Kultur war und ist noch heute in
Israel, insbesondere in Tel Aviv, in vielen Bereichen zu
spüren. Eine Gruppe von Juristen jeckischer Herkunft
zählte sogar zu den Gründungsvätern des israelischen
Obersten Gerichtshofes. All das wird in beiden Büchern in
vielen Beiträgen ausführlich und detailliert
dargestellt.
Laut Yotam Hotam steht gegenwärtig im
Zentrum der Diskussion um die Zukunft der Gesellschaft und der
Kultur in Israel die Frage, ob die deutsch-jüdische
Erinnerungskultur ins Wachsmuseum der Geschichte und nicht in die
Zukunft des gemeinsamen Lebens gehört. Das kommt nicht von
ungefähr, da Israel oft als eine Außenstelle der
westlichen mitteleuropäischen Denkmuster betrachtet
wird.
Lange Zeit galt es in den Augen vieler
Israelis als Makel, dass die Jeckes im Grunde ihres Wesens doch
sehr deutsch geblieben sind. Heute indes, da es, nach David
Witzthum, den Anschein hat, als ob Israel "entjeckt" sei, erfahren
die noch lebenden Jeckes eine späte Anerkennung. Hatte man
sich anfangs über die preußischen Tugenden der deutschen
Einwanderer noch lustig gemacht, so betonen jetzt Israelis
jeglicher Herkunft stolz, dass sie Jeckes seien, wenn sie darauf
hinweisen wollen, wie verlässlich und pünktlich sie
seien. Auch wenn in der Ben-Jehuda-Straße keine Jeckes mehr zu
finden sind, so wird in unseren Tagen die deutsche Einwanderung
doch geradezu als Erfolgsgeschichte verbucht.
Neben vielen informativen und in einer
für alle verständlichen Sprache abgefassten
Aufsätzen fehlt es in beiden Bänden nicht an lebendigen
Porträts, spannenden Lebensgeschichten und persönlichen,
oft bewegenden und zu Herzen gehenden Erinnerungen. Fürwahr,
der diesjährige Herbst hat uns zwei aufregende Bücher
beschert, die sich vortrefflich ergänzen. Man wünscht
ihnen viele Leser, nicht zuletzt deshalb, weil sie uns mit einem,
bei aller Trauer und Tragik, letztlich doch faszinierenden Kapitel
in der deutsch-jüdisch-israelischen Geschichte vertraut
machen.
Gisela Dachs (Hrsg.)
Jüdischer Almanach. Die
Jeckes.
Jüdischer Verlag im Suhrkamp
Verlag,
Frankfurt /M. 2005; 187 S., 14,80
Euro
Moshe Zimmermann/Yotam Hotam (Hrsg.)
Zweimal Heimat.
Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und
Nahost.
Beerenverlag, Frankfurt/M. 2005; 381 S.,
25,- Euro
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