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Florian Hartleb
Der Stachel im Fleisch des politischen
Establishments
In schwierigen Situationen findet der Populismus
einen Nährboden
Der Populismus ist in aller Munde. Gerne wird er
mit dem Streben nach Popularität oder mit Demagogie
verwechselt, auf die kein Politiker, keine Partei verzichten kann.
Als Schimpfwort meint der schillernde Begriff den Vorwurf, der
andere oder die andere Partei betreibe keine sachliche Politik.
Populismus ist demnach nichts anderes als Schaumschlägerei mit
billigen, nicht einzulösenden Versprechungen. Doch greift
diese Betrachtung, die dem Populismus den Geschmack der
Geschmacklosigkeit attestiert, zu kurz.
Der Populismus-Rüffel kann selbst
populistisch sein, ein Ersatz für rationale Argumente. Und er
verstellt den Blick darauf, dass europaweit tatsächlich
neuartige "populistische" Parteientypen aufgekommen sind, welche
die Parteiensysteme teilweise ins Rotieren bringen. Der
Rechtspopulismus hat sich etabliert, wie sich jüngst in
Norwegen bei den Parlamentswahlen und gerade auch in dem wenig
festgefügten Parteiensystem von Polen gezeigt hat.
Andererseits durchläuft er in den Ländern eine
Schwächephase, wo Populisten nach einem kometenhaften Aufstieg
den Sprung an die Regierung geschafft haben und gerade als
Juniorpartner zur Verantwortung gezogen werden. Mit wenig Raum
für eigene Entfaltung müssen sie plötzlich Taten
folgen lassen und die Fähigkeit zum Kompromiss lernen. Ob
dieser Spagat gelingt und die Partei weiterhin ihr Image als
rebellische Außenseiterpartei kultivieren kann, ist zumindest
zweifelhaft.
Der einst als "Prototyp" und Modell für
Europa bezeichnete Jörg Haider musste gerade bei den Wahlen in
der Steiermark und in Wien Pleiten seiner neu gegründeten
FPÖ-Abspaltung (BZÖ) erleben. Die Liste Pim Fortuyn in
den Niederlanden hatte ohne ihren ermordeten Parteigründer
keine Überlebenschance. Der italienische
Ministerpräsident und Medienmogul Silvio Berlusconi hat an der
Macht mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. In
Deutschland wiederum, wo der Rechtspopulismus in einem
vorbelasteten Klima agieren muss und die Medien erhebliche
Berührungsängste zeigen, sind ad-hoc-Phänomene wie
die Hamburger Schill-Partei von "Richter Gnadenlos" Ronald Barnabas
Schill längst in Vergessenheit geraten. Gleichwohl weist das
vor der Bundestagswahl 2005 aus der Taufe gehobene
Linksbündnis um Gregor Gysi und Oskar Lafontaine erstaunliche
strukturelle und inhaltliche Parallelen zu den Rechtspopulisten
auf. Es fand Medienresonanz, trat kopfzentriert auf und hantierte
mit dem Einsatz gezielter Tabubrüche (zum Beispiel Lafontaines
umstrittene und viel kritisierte
"Fremdarbeiter"-Äußerung). Wesentliche Erfolgsursache war
jedoch der aggressive Sozialprotest gegen "Hartz IV", als
"Beharrungspopulismus" gepaart mit dem Propagieren sozialer
Wohltaten nach dem Gießkannenprinzip. So wundert es nicht,
dass seither erstmalig das Schlagwort des Linkspopulismus - meist
diskreditierend verstanden - durch die deutsche Politik und
Öffentlichkeit geistert.
Die Sprecher des kleinen Mannes
Doch zurück zu den Rechtspopulisten.
Sind sie die klassischen Rechten im neuen Gewand, die sich
lediglich den aktuellen Gegebenheiten angepasst haben? Nein, der
Populismus kann an sich durchaus vereinbar sein mit dem
demokratischen Verfassungsstaat und dessen Werten. Populistische
Parteien warten in der Regel nicht mit rückwärtsgewandten
Tönen auf. Nicht unbedingt arbeiten sie auf die Abschaffung
der in der Verfassung niedergelegten demokratischen Spielregeln
hin. Populismus und Extremismus können wie im Fall des
französischen Front National Hand in Hand gehen, müssen
es aber keineswegs. Mit anderen Worten: Der Rechtspopulismus
verfügt über kein historisch fundiertes
Feindbild.
In ihrer Selbstdarstellung behaupten
Populisten vollmundig, Stachel im Fleisch des politischen und
medialen Establishments zu sein. Die Vorgabe einer
anti-elitären Haltung charakterisiert auch populistische
Parteien, an deren Spitze zwangsläufig eine charismatische
Führungspersönlichkeit stehen muss. Das Schicksal der
Partei ist mit dem des Parteiführers verbunden, die
Identität der Partei verschmilzt mit derjenigen des
Führers nahezu vollständig. Der "Kopf" der Partei pflegt
das Bild des "Anti-Politikers", der sich seine Sporen anderswo
erworben hat. Er gibt vor, wie Silvio Berlusconi oder Christoph
Blocher, aus Uneigennützigkeit und edlen Motiven getrieben zum
Politiker wider Willen geworden zu sein. Als selbst ernannter
Sprecher des "kleinen Mannes" und der "schweigenden Mehrheit"
handelt der Populist gemäß einer "umgekehrten
Psychoanalyse". Er nähert sich seinem Publikum mit der genau
gegenteiligen Intention, mit welcher der Analytiker auf die zu
therapierende Person zugeht. Der Populist greift die individuellen
Ängste auf und verstärkt sie gezielt mit dem Zweck, den
Patienten nicht mündig werden zu lassen. Ronald Barnabas
Schill verabschiedete sich im erfolgreichen
Bürgerschaftswahlkampf 2001 bei seinen Veranstaltungen mit den
Worten: "Kommen Sie gut nach Hause und lassen sie sich bloß
nicht überfallen!" Die Akzeptanz des Führercharismas
seitens der Anhänger richtet sich dabei stark nach dem Erfolg:
Das Charisma hängt unmittelbar mit dem Siegerimage zusammen,
geht dieses verloren, ist die Existenzberechtigung des
Anführers gefährdet.
Nach populistischer Unterstellung
vernachlässigen Repräsentationsorgane wie die Parlamente
die tatsächlichen Bedürfnisse des "Volkes". Der gordische
Knoten moderner Politik wird mit dem Schwert holzschnittartiger
Lösungsvorschläge zerschlagen. Es kommt häufig zum
Phänomen, politische Sachverhalte auf ein leicht
nachvollziehbares Ergebnis zu übertragen. Als populistische
Grundposition dient die Beschwörung einer Wir-Identität,
die es abzugrenzen gilt. Die von Populisten geschürten, latent
vorhandenen Vorteile des "Volkes" richten sich vertikal gegen
"die-da-oben" und horizontal "die-da-draußen". Feindbilder
sind neben der politischen Klasse, den "Altparteien" die Gruppen
der Immigranten, Kriminellen und "Sozialschmarotzer". Der
Populismus knüpft am Alltagsverstand an und mobilisiert
dadurch versteckte Wünsche und verdeckte Widersprüche. In
Zeiten eines raschen Strukturwandels, leerer öffentlicher
Kassen und hoher Arbeitslosigkeit fällt es leicht, die in
Europa geführte Zuwandererdiskussion zu instrumentalisieren.
Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen finden
populistische Argumente gegen die Zuwanderung einen
aufnahmebereiten Nährboden. Generell erscheint die
Globalisierung als etwas Böses, das "von außen" kommt.
Die Schwächung der staatlichen Interventionsmöglichkeiten
soll die politische Klasse ihrer Machtbasis berauben und sie damit
nach dem Motto "weniger Macht für die Funktionäre, mehr
Macht für die Bürger" schwächen.
Häufig fungieren die etablierten
Parteien als Wegbereiter der Populisten. Ein Blick auf Deutschland
im Jahr 2005 bestätigt diese Beobachtung, denkt man an Edmund
Stoibers Schuldzuweisung ("Gerhard Schröder ist schuld am
Wahlerfolg der NPD in Sachsen") oder Franz Münteferings
Kapitalismuskritik ("Heuschrecken"). Eine Agitation gegen die EU
ist nicht den rechtspopulistischen Parteien vorbehalten. Gerade die
euroskeptischen und -feindlichen Stimmungen greifen markige
Politiker jeder Couleur gerne auf. Das gängige Vorurteil gegen
die vermeintlich unverhältnismäßige EU bleibt
unwidersprochen, auch wenn die Politiker wissen, dass die
bürokratische Durchdringung in den Mitgliedstaaten nicht
geringer ausfällt. Rechts-populistische Parteien haben hier
leichtes Spiel: Sie müssen nur einen Schritt weitergehen und
vor allem simple Lösungen anbieten. Die großen Parteien
stehen vor einer Herausforderung. Sie müssen die Vereinfachung
vermeiden und doch die Komplexität der Dinge verständlich
machen. Der grassierende Talkshow-Charakter von Politikvermittlung
zwischen Phrasen und Fachsprache erweist sich dabei nicht als
förderlich.
Der Autor ist Lehrbeauftragter im Fachbereich Politikwissenschaft
an der Technischen Universität Chemnitz.
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