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Karl-Otto Sattler
Schock in der Idylle
Das Elsass ist von rechtsextremistischen
Übergriffen betroffen
Täglich strömen Zehntausende aus dem
lothringischen Mosel-Departement nach Luxemburg und dem Saarland
oder aus dem Elsass ins Badische und nach Basel zu ihren
Arbeitsplätzen: Die Berufspendler leben Europa im Alltag vor.
Deutsche und andere ausländische Unternehmen sind gern
gesehene Investoren in diesem Grenzlandstrich. Touristen aus aller
Herren Länder pilgern en masse in die Fachwerkidylle der
Rheinebene und der Vogesen. In Straßburg residieren
EU-Parlament und Europarat: Symbole von Weltoffenheit und
Internationalität, mit denen sich diese Region gern
schmückt.
Und dann so etwas. "Wir sind geschockt.": So
kleidet Claude Bloch seine Gefühlslage nach dem für
Saargemünd bis dahin Unfasslichen in Worte. Auf dem Friedhof
des lothringischen Grenzorts wurden Grabsteine von über 60
Juden umgeworfen. Zum ersten Mal, klagt der Vorsitzende der lokalen
Jüdischen Gemeinde, sei es in der Stadt zu solch einem
antisemitischen Akt gekommen. Parolen wurden auf den Grabsteinen
nicht hinterlassen, aber die Stoßrichtung ist klar: Nur im
jüdischen Sektor des Friedhofs wurde dieser Vandalismus
verübt.
Mittlerweile wird auch das Mosel-Departement
von jener Welle neonazistischer, antisemitischer und
ausländerfeindlicher Übergriffe heimgesucht, die schon
seit längerem über das benachbarte Elsass schwappt und
die sich gegen jüdische Friedhöfe und moslemische
Einrichtungen, zuweilen aber auch gegen christliche
Grabstätten, wie etwa in dem kleinen Ort Niederhaslach,
richtet. Selbst Schulen, Bus-Wartehäuschen und
Weltkriegs-Denkmale waren schon betroffen. So wurden in
Straßburg an eine Moschee und zwei Schulen Hakenkreuze
geschmiert. In Soultz entdeckte man an einem moslemischen
Gotteshaus Hakenkreuze, fast 50 dieser faschistischen Symbole waren
es an einer Schule in Guebwiller. In Straßburg verunzierten
Unbekannte das Privathaus eines moslemischen Geistlichen und
zündeten eine Fußmatte vor der Tür an; dieses
Gebäude war zuvor schon einmal mit Hakenkreuzen beschmiert
worden.
All das sind Vorkommnisse aus diesem Jahr.
Damit setzt sich eine hässlische Serie fort, die in den
90er-Jahren mit Einzelfällen begann und seit 2001 in
größerem Stil zu beobachten ist: In Frankreich zählt
ausgerechnet das Elsass zu jenen Gegenden, die am stärksten
von fremdenfeindlichen, antisemitischen und neonazistischen
Attacken betroffen sind. Dabei leidet dieser Landstrich bereits
unter dem politisch-medialen Echo, das von den spektakulären
Wahlerfolgen des politischen Rechtsextremismus um Jean-Marie Le Pen
provoziert wird und dunkle Schatten auf die Region wirft. Das Jahr
2004 markiert den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung: In
jenen zwölf Monaten wurden über 110 Vorfälle dieser
Art registriert. 2005 ging die Zahl der Übergriffe offenbar
zurück, doch muss man die Gesamtbilanz abwarten: Die Polizei
ist inzwischen zurückhaltender bei der Veröffentlichung
einzelner Vorfälle, auch die Medien kochen das Thema nicht
mehr so hoch.
Der dramatischste Übergriff war die 2004
erfolgte und bis heute nicht aufgeklärte Schändung von
127 Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof von Herrlisheim bei
Colmar mit pronazistischen und antisemitischen Symbolen: Neben
Hakenkreuzen hinterließen die Täter auf Deutsch
Sprüche wie "Adolf Hitler", "Juden raus" oder "Ein Volk, ein
Reich, ein Führer". Hunderte protestierten bei Kundgebungen am
Friedhof gegen diese Aktion, eine Delegation des israelischen
Parlaments reiste an, sogar der Europarat verurteilte diese
"Beleidigung der Geschichte und der Millionen Opfer des
Holocausts". Staatspräsident Jacques Chirac und
Sozialistenführer Francois Hollande empörten sich in
Paris über die "widerwärtige Tat" und den
"schändlichen Akt". Die Kirchen publizierten
Solidaritätserklärungen. Größere und kleinere
Demonstrationen gegen Attacken auf jüdische oder moslemische
Einrichtungen finden im Elsass immer mal wieder statt, vor allem in
Straßburg.
Unpolitische Einzelfälle?
So spektakulär diese Übergriffe
sind, so groß die Betroffenheit in der Öffentlichkeit
ist, so häufig protestiert wird: Aufgeklärt werden diese
Aktionen nur sehr selten, man weiß wenig über die
Täter und auch nicht viel über deren
politisch-organisatorischen Hintergrund - wobei die Ideologie
natürlich auf der Hand liegt. Ermittlerteams der Polizei und
selbst der französische Inlandsgeheimdienst blieben bislang
ohne großen Erfolg. Die Kooperation mit der Polizei in Baden
wegen eventueller Kontakte zwischen der elsässischen und
deutschen Szene führte bisher ebenfalls nicht weiter. 2002
wurden einmal in Straßburg sechs Jugendliche erwischt, die im
Gebäude eines jüdischen Friedhofs eine selbstgebastelte
und nicht explodierende Bombe deponiert hatten.
Man weiß, dass im Elsass ein kleines
neonazistisches Netzwerk existiert. Gegenüber einer
Regionalzeitung sprach ein Vertreter des Geheimdienstes von
lediglich 60 bis 80 Anhängern dieser Szene, in den 90er-Jahren
waren es noch mehr. Feste Strukturen gibt es nicht, die
Sympathisanten treffen sich in losen Freundesgrüppchen. Der
Geheimdienst hält es für einen Irrtum, von einem
"Wiedererstarken einer neonazistischen Bewegung" in der
linksrheinischen Provinz zu sprechen. Eher sei die Bemalung von
Grabsteinen im Schutz der Nacht ein "Zeichen der Schwäche":
Öffentliche Präsenz wage man seit langem nicht mehr zu
zeigen. Bisher gibt es keine Belege für eine Verbindung
zwischen den antijüdischen wie antimoslemischen Attacken und
dieser Neonazi-Szene. Dieser Befund gilt auch für das
"Elsass-Korps", das vom Pariser Innenministerium verboten wurde.
Diese Demonstration von Härte durch die Staatsmacht
dürfte vor allem Aktionismus sein, um in der
Öffentlichkeit Wirkung zu erzielen: Für das Verbot des
"Elsass-Korps", das als neonazistisch orientierte Mini-Gruppe seine
aktive Hochzeit längst hinter sich hat, musste mangels eines
konkreten Tatverdachts eigens ein Gesetz aus dem Jahr 1936
über "Kampfgruppen und bewaffnete Milizen" bemüht werden.
Polizei wie Geheimdienst sind der Meinung, dass für die
meisten Übergriffe einzelne Jugendliche verantwortlich sind,
die eher unpolitisch sind und die sich besonders durch die
Medienresonanz auf Aktionen dieser Art zu neuen Taten inspiriert
fühlen. Der Colmarer Staatsanwalt Pascal Schultz ist indes
überzeugt, dass speziell die Schändung des Herrlisheimer
Friedhofs wie auch eines Kriegsdenkmals in den Vogesen das Werk
"perfekt organisierter Gruppen" war, die "wie Kommandos"
vorgegangen seien.
Ob die Polizei künftig mehr Erfolge bei
der Aufklärung erzielt, steht dahin. Jedenfalls stellt sich
die Frage nach Zusammenhängen zwischen den strafrechtlich zu
klassifizierenden Übergriffen und dem politischen
Rechtsextremismus. Im Elsass und im lothringischen
Mosel-Departement erzielt schließlich der Front National
Jean-Marie Le Pens bei Wahlen seit langem Traumergebnisse weit
über dem französischen Schnitt, im Elsass reüssiert
zudem die regionalistische Rechtsaußen-Partei "Das Elsass
zuerst". Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2002
landete Le Pen im Elsass und in Nordlothringen mit jeweils rund 24
Prozent sogar auf Platz eins. Bei den Regionalwahlen 2004 fuhren
der Front National und "Das Elsass zuerst" in der Rheinprovinz
zusammen fast 30 Prozent ein. Beide Parteien weisen jede Verbindung
zu militanten Neonazi-Gruppen, wie etwa martialisch aussehenden
Skins, strikt von sich.
Beweise für Verwicklungen der
rechtsextremen Parteien in die zahlreichen Übergriffe lassen
sich bislang nicht finden. Allerdings kommt ein Bericht des
Innenministeriums über die Kräfte von rechtsaußen in
Frankreich zum Ergebnis, dass deren politischer Einfluss beim
Anwachsen von antisemitischen und ausländerfeindlichen
Tendenzen nicht zu unterschätzen sei: Insofern trage die
extreme Rechte eine große Verantwortung für militante
Aktionen. In einem bestimmten ideologischen Klima - das lehrt die
politische Erfahrung - werden bestimmte Grenzen eben leichter
überschritten.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.
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