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Tobias Kaufmann
Alter Hass in neuem Gewand
Woran glaubt die extreme Rechte?
Die Zuschauer trauten ihren Ohren kaum, als sie die Parolen
hörten: "Internationale Völkermordzentrale USA" und
"Solidarität mit Palästina" skandierte der
Demonstrationszug, der im Herbst 2002 durch Potsdam zog. Ein
"Frieden schaffen ohne Waffen"-Transparent ganz vorn, dahinter die
Aktivisten, einige mit Palästinensertuch um den Hals - eine
Demonstration, die "links" daherkam. Doch die Marschierer bekannten
sich als "frei, sozial und national", kurz gesagt - als
Neonazis.
Der "Nationale Widerstand" aus NPD und "freien Kameradschaften"
hatte sich offenbar das Weltbild der Linken geliehen. In Zeiten
allgemein antiamerikanischer Stimmung im Lande schien dies ein
Propagandakniff, um sich neue Sympathisanten zu erschließen.
Doch die radikale Rechte im Umfeld der NPD hat sich ihr
ideologisches Rüstzeug nicht geliehen. Sie hat es erobert.
Potsdam war keine Ausnahme. In der ganzen Republik tragen die junge
Rechten inzwischen bei ihren Aufzügen Che-Guevara-Shirts,
schwarze Kapuzenpullover und "Pali-Tücher". Selbst das Symbol
dieser "freien Nationalisten", eine schwarze und eine rote Fahne,
ist dem der Antifa zum Verwechseln ähnlich.
Das, woran die Aktivisten mehrheitlich glauben, hat wenig bis
nichts mit dem zu tun, was nach den politischen Schemata der
70er-Jahre in links, rechts und Mitte einzuordnen wäre. "Kampf
dem US-Imperialismus. Kampf den US-Kriegsverbrechen und
-verbrechern" stammt aus einem Text auf der NPD-Homepage. "Nie
wieder Imperialismus! Nie wieder Kapitalismus! Freiheit und
Selbstbestimmung auch für die Kurden, die Iren, die Basken,
die Palästinenser und die Deutschen!" heißt es auf der
Internetseite des rechtsradikalen "Leverkusener Aufbruch". Die
Kameradschaften haben sich einem im Wortsinne
nationalsozialistischen Weltbild verschrieben. Die Nazis von heute
sind wirklich welche. Und sie nennen sich auch so.
Zwar gibt es einen Schwerpunkt in Ostdeutschland, doch "Freie
Nationalisten" finden sich in Niedersachsen und Hamburg ebenso wie
im Ruhrgebiet. Sie vertreten mehrheitlich einerseits klassisch
rechte Positionen: Relativierung der deutschen Schuld am Zweiten
Weltkrieg und dem Holocaust bis hin zu dessen Leugnung,
Judenfeindlichkeit, Rassismus, männerbündische
Organisation. Dazu kommen radikaler Antikapitalismus,
Kirchenfeindlichkeit und Revolutionsrhetorik - Überzeugungen,
die Vertretern der westdeutschen Altrechten wie etwa den
"Republikanern" einen Schauer über den Rücken jagen.
Nachwuchs aus der Nazi-Szene
Zwar tun sich nach wie vor gewaltbereite Nazischläger durch
Überfälle auf Ausländer und Andersdenkende hervor,
das theoretische Gerüst der entscheidenden Köpfe jedoch
ist durchaus filigran. Gegenüber Fremden vertreten sie eine
Ideologie, die mit Ausländerfeindlichkeit nur unzureichend
beschrieben ist. Sie verstehen sich als "Befreiungsnationalisten":
Jedes Volk hat ihrer Ansicht nach einen natürlichen
Lebensraum, den es verteidigen muss. "Die Völker der Erde sind
die natürlichen Fortpflanzungsgemeinschaften", schreibt der
"Leverkusener Aufbruch". Die praktische Konsequenz des so genannten
Ethnozentrismus ist die "Rückführung aller in Deutschland
lebenden Ausländer in ihre Heimat".
Die Nationaldemokraten gewinnen einen Teil ihres Nachwuchses aus
der Naziszene. Keine Partei in Deutschland hat prozentual gesehen
so viele junge Mitglieder. Die NPD teilt mehrheitlich die Ideologie
der rechtsradikalen Aktivisten. Trotz öffentlichkeitswirksamer
Wahlbündnisse: Die NPD gehört nicht in eine Reihe mit DVU
oder "Republikanern". Die DVU ist eine Scheinpartei, die politisch
und wirtschaftlich komplett vom Münchner Rechts-Verleger
Gerhard Frey abhängt. Die "Republikaner" stehen für eher
bürgerlich-christlich orientierte Positionen rechts von der
CSU. Die NPD aber stellt in ihrem Programm das Ende von
Kapitalismus und Globalisierung in Aussicht. Nur sie sieht sich
zugleich im Kampf gegen "multikulturelle, imperialistische und
gleichmacherische Kräfte". Anfang der 90er-Jahre noch ein
bankrotter Altherrenverein ohne Nachwuchs, ist die NPD unter Udo
Voigt eine moderne nationalsozialistische Partei geworden, der es
gelungen ist, sich in Sachsen ohne nennenswerten Widerstand eine
tiefgreifende Struktur aufzubauen. "Wie ein Fisch im Wasser"
fühlen sich die Rechten in mancher Kommune, sagt die
Vorsitzende der Berliner Amadeo Antonio-Stiftung, Anetta Kahane.
Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud
konstatiert in seinem Buch "Moderne Nazis" eine "Faschisierung der
ostdeutschen Provinz". Die Kameraden fühlen sich in Teilen
Sachsens als Meinungsmacher. Offenbar mit Erfolg: "Wenn
Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland
lebenden Ausländer in ihre Heimat zurückschicken" -
dieser NPD-Forderung stimmen 36 Prozent der bundesweit Befragten in
einer aktuellen Studie voll oder eher zu. Dies schlug sich bei der
vergangenen Bundestagswahl, bei der das NPD/DVU-Bündnis unter
zwei Prozent blieb, nicht nieder. Zu Alarmismus gibt es keinen
Grund. Ernst nehmen muss man den "nationalen Widerstand" jedoch
sehr wohl. Die Zahl der öffentlichen Auftritte, aber auch der
rechtsmotivierten Straftaten, steigt seit Jahren. Und, so warnt
Staud, abseits der Medienöffentlichkeit kann die NPD gerade
nach weniger erfolgreichen Wahlen ihre Netzwerke ausbauen, etwa in
der Sächsischen Schweiz.
Die NPD kämpft um die Straße, um die Parlamente und um
die Köpfe. Sie weiß dabei den harten Kern der deutschen
Neonaziszene um sich und fühlt sich sicher. NPD-Chef Udo Voigt
hat das harmlose Getue früherer Rechtsaußen-Politiker
längst abgelegt. Er hat kein Problem damit, Adolf Hitler offen
einen "großen Staatsmann" zu nennen und die Abwicklung der
Bundesrepublik zu fordern. Spätestens die Auftritte im
Sächsischen Landtag dürften verdeutlicht haben, dass die
NPD das Wort Nazipartei nicht als Schimpfwort ansieht.
Der Autor arbeitet als Redakteur der "Jüdischen Allgemeinen"
in Berlin.
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