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Felix Lee
Bis zu 16 Prozent in den Hochburgen im Osten
Bei der Bundestagswahl 2005 erzielte die NPD ihr
bestes Ergebnis seit 1969
Vor einem Jahr auf dem NPD-Parteitag im
thüringischen Leinefelde: In einem Nebenzimmer der Stadthalle
saßen die Parteistrategen von NPD und DVU und klamüserten
aus, welcher nächste Schritt nun ansteht. Im Blick hatten sie
die Bundestagswahl 2006. Doch nicht um die "Erstürmung des
Reichstags" ging es ihnen - zeitgleich zur Parlamentswahl war
ursprünglich auch die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern
angesetzt. Einen provokanten Bundestagswahlkampf wollten die
NPD-Strategen deshalb führen, damit beim Einzug in den
Schweriner Landtag nichts schief geht.
Nun muss die NPD ihren Landtagswahlkampf im
nordöstlichen Bundesland ohne das Getöse einer
Bundestagswahl bestreiten. Und doch: Ganz so ungünstig hat
sich der Wind mit der vorgezogenen Bundestagswahl nicht gedreht,
wie sie zunächst befürchtet hatte.
Da ist zum einen das Gesamtergebnis: 1,6
Prozent der abgegebenen Wählerstimmen konnte die rechtsextreme
Partei bundesweit für sich verbuchen - zwar weit entfernt, um
von einem Einzug in den Bundestag auch nur zu träumen.
Trotzdem können sich die Parteikader über das Ergebnis
glücklich schätzen. Nicht nur, dass sie vor ihrer
Klientel prahlen können, ihr bestes Ergebnis seit 1969
eingefahren zu haben. Zu den bisherigen Staatsgeldern von rund 1,5
Millionen Euro pro Jahr fließen nun eine weitere halbe Million
Euro an Wahlkampfkostenerstattung in die Parteikasse. Was aber viel
schwerer wiegt: Anders als beim Aufschrei vor einem Jahr, als in
Sachsen 9,2 Prozent der Stimmen an die NPD gingen, glaubt der
Großteil der demokratischen Kräfte nun, sich beruhigt
zurücklehnen zu können.
Da sind zum anderen die Ergebnisse in
bestimmten Regionen. So blieb die NPD in allen westdeutschen
Ländern zwar unter zwei Prozent, ihr Spitzenergebnis bekam sie
im Saarland mit 1,8 Prozent, in Nord-rhein-Westfalen spielte sie
überhaupt keine Rolle. Höher fielen die Ergebnisse im
Osten aus: Mecklenburg-Vorpommern 3,5 Prozent, Thüringen 3,7
Prozent und in Sachsen 4,9 Prozent. Auch diese Werte sind an sich
noch nicht Besorgnis erregend. Erst der Blick auf einzelne Regionen
zeigt, welcher Strategie die NPD folgte. Sächsische Schweiz:
7,1 Prozent, davon 14,4 allein in Reinhardtdsdorf-Schöna, wo
der NPD-Landtagsabgeordnete Uwe Leichsenring kandidierte; im
vorpommerschen Neuenkirchen erhielt die NPD gar 16,3 Prozent.
Während im Westen ganze Landstriche von NPD-Plakaten verschont
blieben, waren in ausgewählten Regionen im Osten die
Rechtsextremisten umso erfolgreicher. In einigen dieser Hochburgen
gab es sogar mehr Erststimmen als Zweitstimmen - ein sehr
unübliches Wahlverhalten, gelten die Erststimmen an
Kleinparteien als verschenkt. So wählten in der
Sächsischen Schweiz 7,8 Prozent den Direktkandidaten, auf die
Zweitstimmen entfielen 7,1 Prozent. Ähnlich im Weimarer Land
(5,1 zu 4,4) und im benachbarten Triptis (5,0 zu 4,6).
Anscheinend wurde die NPD in einigen Orten
nicht nur aus programmatischen Gründen gewählt, sondern
mit einem konkreten Gesicht verbunden, interpretiert der Politologe
Hajo Funke von der Freien Universität Berlin das Resultat.
"Die Ergebnisse deuten auf eine erhebliche Verwurzelung der Partei
im politischen Alltag hin", so der Politologe. Das zeige, dass die
NPD nicht nur bei den rechten Jugendszenen etabliert ist, sondern
längst auch regionale Anerkennung erworben hat. Funke spricht
von einem "Biedermanngesicht".
Und genau darum geht es den
Rechtsextremisten. Anders als noch vor wenigen Jahren kämpft
die NPD inzwischen nicht mehr so sehr um Parlamentsposten oder mehr
Entscheidungsmacht in parlamentarischen Gremien. "Die NPD ist eine
systemoppositionelle Partei und lehnt den Parlamentarismus ab",
sagt der Magdeburger Rechtsextremismusexperte David Begrich. Das
unterscheide sie auch von anderen Parteien. Der Parteivorsitzende
Udo Voigt selbst bezeichnet seine Strategie als "Kampf um die
Straßen, Köpfe und Herzen".
Dazu passt, dass die Erfolge der NPD
eigentlich in eine Zeit fallen, in der Parteien in der
rechtsextremen Szene bundesweit an Bedeutung verloren hatten. Trotz
des Stimmenzuwachses bei den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und
auch im Saarland und Schleswig-Holstein hatte weder die NPD noch
die DVU genügend Personal, flächendeckend die
Wahlkämpfe zu stemmen. Die Republikaner spielen bereits seit
mehreren Jahren so gut wie keine nennenswerte Rolle mehr. Die NPD
ging bei den Wahlen in Brandenburg vor einem Jahr auch nur deswegen
die "Volksfront" mit der DVU ein, weil es ihr in der Mark schlicht
an Kandidaten fehlte. In Sachsen war es andersherum. Erst nach und
nach erkannten die Führungskader sowohl der NPD als auch der
DVU: Was die rechtsextremen Parteien aus der Not geboren
zusammengeschweißt hat, entpuppte sich als erfolgreiche
Strategie.
Von den drei Parteien bleibt vor allem die
NPD der Nutznießer. Sie hatte sich mit der
"Auschwitz-Lüge" insbesondere in den vergangenen Jahren
programmatisch als erstes gegenüber extremen Nationalisten
geöffnet. Sie war es, der es gelang, den Unmut gegen Hartz IV
und den Sozialreformen nationalsozialistisch zu interpretieren und
mit fremdenfeindlichen Forderungen wie die Ausgliederung aller
Ausländer aus dem Sozialversicherungswesen auch
Protestwähler an sich zu binden, die ihre Stimme genauso der
Linkspartei.PDS geben würden. Seitdem die NPD-Strategen den
Schulterschluss mit militanten Kameradschaften üben, verstehen
sie sich nicht mehr nur als parlamentarischer Arm einer rechten
Bewegung, sondern als Speerspitze. "Die NPD-Führung ist
gewillt, endgültig den Weg zu einer Volksbewegung
einzuschlagen, bei der die Organisationsform in der Frage
nationaler Fundamentalopposition eine untergeordnete Rolle spielt",
heißt es in einer Stellungnahme des NPD-Präsidiums. "Es
kommt nicht so darauf an, die Deutschen in eine Partei zu
integrieren, sondern diese zunächst einmal grundsätzlich
für den Kampf um unser Volk zu gewinnen." Weg vom
Parlamentarismus, hin zur Bewegung mit dem Ziel einer nationalen
Revolution - so beschreibt Begrich die Entwicklung der NPD. Nicht
die Mitgliederzahl, die Stimmenanzahl oder das Parteiprogramm sind
bedeutend, sondern ob es ihnen gelingt,
Identitätsbedürfnisse ganzer Bevölkerungsschichten
zu bedienen.
Um ein stabiles Stammklientel aufzubauen,
bediene sich die NPD in Sachsen inzwischen ähnlicher Mittel
wie es die PDS im Osten Anfang der 90er-Jahre erfolgreich getan
hat, sagt Begrich. Sie mache Arbeit im vorpolitischen Raum. Es
hindere die anderen Parteien zwar nicht, das Gleiche zu tun. Doch
hätten alle anderen Parteien das Problem, bloß als
Dependancen der West-Parteien wahrgenommen zu werden.
Doch ob die Strategie der NPD bis zu den
Landtagswahlen in einem Jahr tatsächlich auch auf
Mecklenburg-Vorpommern übertragbar ist, ist keineswegs
gesichert. Derzeit zumindest hat sie im nordöstlichen
Bundesland noch das Problem, dass es ihr an Anhängern fehlt.
In Sachsen ist sie gut bestückt - hat sie doch in den
vergangenen zwei Jahren bundesweit auch ihr gesamtes Personal ins
südöstliche Bundesland zusammengezogen.
In Mecklenburg-Vorpommern sieht es trotz
rechtem Wählerpotenzial und einer großen
Kameradschaftsszene hingegen dünn aus. Viele Neonazis sind
skeptisch gegenüber der "Volksfront". Wie der
"Informationsdienst gegen Rechtsextremismus" (idgr.de) berichtet,
hatte Christian Worch aus Hamburg, einer der einflussreichsten
Wortführer in der Kameradschaftsszene in Norddeutschland, eine
vertragliche Vereinbarung gefordert. Demnach sollte die NPD 20
Prozent ihrer Wahlkampfkostenerstattung an die Kameradschaften
abtreten. Die Partei soll tatsächlich dazu bereit gewesen
sein. Zu der Vereinbarung kam es dann aber aus formalen Grünen
nicht. Die Neonazis wollten angeblich den anvisierten Betrag bar
ausgezahlt haben, während die NPD eine Abwicklung per
Sachleistungen bevorzugte.
Rechtsextremismusexperte Begrich glaubt, dass
die NPD es nur dann über die Fünf-Prozent-Hürde
schaffen wird, wenn es ihr gelingt, im Wahlkampf ein
kampagnenfähiges Thema für sich zu besetzen. Vor einem
Jahr war es Hartz IV. Inzwischen funkt ihnen jedoch die Linkspartei
dazwischen.
Der Autor ist Redakteur der "tageszeitung" (taz).
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