Michael Minkenberg
Nationalistische Rhetorik ist kein
Randphänomen
Rechtsextremismus in den jungen Demokratien
Osteuropas
Der Übergang von autoritären zu
demokratischen Systemen wird häufig von Misstönen neuer
rechtsradikaler Parteien und Bewegungen begleitet. Im Falle der
osteuropäischen Länder setzen sie der jungen Demokratie
eine radikale Systemalternative entgegen, die sich gegen die
aktuelle Ordnung und gegen das Vorgängerregime richtet.
Interessant daran ist weniger ihre Existenz. Sie wird von einigen
Experten sogar als "normale Pathologie" sich schnell
modernisierender Gesellschaften bezeichnet. Vielmehr sollte man den
Blick auf die regionalen Besonderheiten dieses Phänomens sowie
die Gründe dafür richten.
Die Bandbreite durchschnittlicher rechter
Wahlerfolge in Osteuropa in den 90er-Jahren und danach schwankt
erheblich: In den baltischen Ländern sowie in Bulgarien - bis
zum Auftreten von "Ataka" in den Wahlen vom Juni 2005 - war
beziehungsweise ist keine nennenswerte rechtsradikale Partei zu
finden, und das, obwohl die Bedingungen dafür recht
günstig waren. Auch in Tschechien verflog ab Ende der
90er-Jahre der Zulauf für die "Republikaner" fast
völlig.
Auf der anderen Seite haben in Russland und
Rumänien - und abgestuft dazu auch in Polen - derartige
Parteien mit zusammen genommen oft zweistelligen Ergebnissen
überdurchschnittliche Wahlerfolge erzielt. In Polen waren die
wichtigsten rechtsradikalen Parteien zunächst die Nationale
Front Vaterland (Stronnictwo Narodowe Ojczyzna, SN), die eine
explizit antisemitische und antideutsche Position vertritt.
Außerdem die Konföderation für ein unabhängiges
Polen (Konfederacja Polski Niepodleglej, KPN). Hervorzuheben ist
auch eine polnische Besonderheit: das Vorhandensein
klerikal-nationalistischer Parteien. Dazu gehört die
Christliche Nationale Union (Zjednoczenie Chrzescijansko-Narodowe,
ZChN), welche katholische Dogmen zur Grundlage polnischer Politik
erklärt und von sich behauptet, die Interessen aller
ethnischen Polen in Osteuropa zu vertreten. Außerdem ist seit
der polnischen Parlamentswahl im Jahre 2001 die neu gegründete
religiös-fundamentalistische Liga der Polnischen Familien
(Liga Polskich Rodzin, LPR) im Parlament vertreten. Sie greift auf
die Netzwerke älterer rechtsradikaler Parteien wie ZChN, ROP
und SO zurück.
Ganz unterschiedliche
Strömungen
Der Erfolg dieser Parteien allerdings ist
meist nicht von Dauer: Mit Ausnahme von Polen haben in allen neuen
EU-Mitgliedstaaten der Region rechtsradikale Parteien in der Wahl
zum Europaparlament im Juni 2004 deutlich weniger
Unterstützung erhalten als in der jeweiligen nationalen
Parlamentswahl davor. Nimmt man allerdings weniger
systemfeindliche, aber ebenfalls ausgesprochen nationalistische
Parteien dazu, so ändert sich das Bild schlagartig: Mit
wenigen Ausnahmen (Estland, Slowenien, Ungarn) liegt das
Wählerreservoir für solche Parteien bei etwa 20 Prozent
pro Land.
Doch man muss unterscheiden, mit welchen
Parteitypen innerhalb des rechtsradikalen Lagers man es zu tun hat:
Eine autokratisch-faschistische Rechte, die sich ideologisch an
faschistischen und rechtsautoritären Regimen der
Zwischenkriegszeit orientiert, ist in Russland und Rumänien
stark. Hier finden sich auch Übergänge zu den ebenfalls
starken nationalkommunistischen Strömungen der kommunistischen
Nachfolgeparteien. Eher ethnozentristisch-rassistisch orientiert
sind dagegen die rechten Parteien in Ungarn und
Tschechien.
In Polen existiert darüber hinaus eine
religiös-fundamentalistische Strömung. Und noch etwas
muss man unterscheiden: die eher parteiförmige, an Wahlen
teilnehmende Variante von Rechtsradikalen, und die rechtsradikalen
Bewegungen und Subkulturen, einschließlich des Gewaltmilieus,
für die Wahlen und die institutionelle Politik nicht im
Vordergrund ihrer Aktivitäten stehen. Sie sind ideologisch
überwiegend als faschistisch-autokratisch
einzustufen.
Darüber hinaus gibt es eine wachsende
Szene gewalttätiger rechter Gruppen und Skinheads. In vielen
polnischen Städten finden regelmäßig Treffen einiger
hundert militanter Anhänger statt, genauso wie antisemitische
oder faschistische Graffiti an den Gebäuden nicht
außergewöhnlich sind. Auch in der tschechischen Republik
existiert eine sichtbare Szene gewaltbereiter rechter Extremisten,
die oft Roma als ihre Opfer aussuchen und auf eine gewisse
Sympathie ihrer Mitbürger zählen können.
Schätzungen über die ungarische Skinhead-Szene weisen
für die 90er-Jahre rund 4.000 Anhänger aus. Am
größten dürfte aber das Potenzial in Russland sein,
wo Medien über 50.000 Skinheads berichten. Dazu kommen stark
ideologisierte und militante Gruppen wie diejenigen um Alexander
Dugin oder die neue "Bewegung gegen illegale
Einwanderung".
Die dominanten Kräfte der radikalen
Rechten in diesen Ländern unterscheiden sich von den meisten
westlichen Varianten in organisatorischer und ideologischer
Hinsicht. Zum einen ist die osteuropäische radikale Rechte
organisatorisch weniger entwickelt als ihr westliches Pendant; ein
Schicksal, das sie mit den meisten politischen Parteien in der
Region teilt. Deswegen darf sich der Blick auf dieses Phänomen
nicht auf die rechten Parteien beschränken, sondern muss auch
deren Beziehungen zu den Bewegungen und Milieus
berücksichtigen. Ein solcher Blick verdeutlicht, dass der
Parteiensektor in den konsolidierten Ländern Osteuropas (wie
im Baltikum, in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik)
schwächer ist als in den meisten westlichen Demokratien, vor
allem in Österreich, Belgien oder Frankreich.
Zum anderen orientiert sich die radikale
Rechte in Osteuropa ideologisch mehr an der Vergangenheit als ihr
westliches Gegenüber, das heißt sie ist
antidemokratischer und militanter. In den meisten Ländern, wo
die Demokratie noch nicht "the only game in town" (Juan Linz) ist,
eröffnet dies der radikalen Rechten Möglichkeiten, die
sie im Westen nicht hat.
Dabei vollzog sich in weiten Teilen der
Region die Herausbildung eines Nationalbewusstseins ohne Staat -
vielmehr bildete sich der ethnische Nationengedanke als
vorherrschender Typ heraus. Staatliche Kontinuitäten sind
daher kürzer als bei den meisten westeuropäischen
Nationen und zudem höchst unterschiedlich
entwickelt.
Wahlerfolge in Polen
In Polen kommt aufgrund der Bedeutung des
Katholizismus die Variante der religiös-fundamentalistischen
Organisationen hinzu. Die ambivalente Rolle der katholischen Kirche
gegenüber dem Antisemitismus mag auch erklären helfen,
warum in Polen trotz eines eher schwach ausgeprägten
begünstigenden Kontextes die Wahlergebnisse recht hoch sind.
Sie liegen noch bedeutend höher, wenn man die
rechtspopulistische Partei Samoobrona (Selbstverteidigung) des
Bauernführers Andrzej Lepper dazu zählt (siehe Kasten
rechts). Dort, wo der Regimekonflikt noch nicht überwunden
ist, dominieren eher faschistisch-autokratische Parteien die Szene,
wie in Russland und Rumänien bis zum Beginn des 21.
Jahrhunderts. Allerdings konnte in Russland das Aufschaukeln des
Zusammenspiels von rechten und linken Kräften im Sinne einer
"Weimarisierung" mit der Wahl Putins zunächst gebremst
werden.
Vor diesem Hintergrund weicht die Entwicklung
der politischen Kultur in Osteuropa von der in Westeuropa ab. Nur
die Tschechische Republik zeigt frühe Zeichen einer
demokratischen Kultur mit einem relativ hohen Niveau an
Systemverbundenheit und der Etablierung pluralistischer Prinzipien.
Jenseits bedeutender intraregionaler Unterschiede zeichnen sich die
politischen Kulturen Osteuropas, die in der Vergangenheit im
Sozialismus sozialisiert und in der Gegenwart von der
Transformation geprägt wurden, durch eine geringere Akzeptanz
der liberalen Marktprinzipien als im Westen aus. Aber auch durch
eine stärkere Orientierung an sozialistischen und
egalitären Werten und der Unzufriedenheit mit dem
Transformationsprozess und seinen Ergebnissen.
Im Gegensatz zur Demokratisierung (West-)
Deutschlands nach 1945 hat der antikommunistische Druck des
Aufruhrs von 1989 zwangsläufig zu einer Rehabilitierung des
Nationalstaates in Osteuropa geführt. Deswegen sind
nationalistische Rhetorik und das ethnische Konzept der Nation in
der politischen Klasse und der breiten Öffentlichkeit kein
Randphänomen, sondern relativ weit verbreitet - und zwar in
einem spezifisch postkommunistischen Kontext einer im Vergleich zu
Westeuropa schwächeren Zivilgesellschaft.
Der Autor ist Professor für Politikwissenschaften an der
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.
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