|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Jeannette Goddar
Als hätte einer den Korken aus der Flasche
gezogen
In den Niederlanden nehmen Fremdenfeindlichkeit
und Intoleranz zu
Es ist noch gar nicht lange her, dass man in Holland nicht an
Mohammed, sondern an Menschen wie Mina dachte, wenn es um Muslime
ging. Mina ist eine junge Marokkanerin, die von der
niederländischen Presse einst präsentiert wurde, um das
gelungene Zusammenwachsen der Kulturen im Land zu
präsentieren. Ganz von selbst hatte die Muslima ihre Tochter
in Amsterdam an einer katholischen Grundschule angemeldet - und
dann große Augen gemacht, als die Kleine nach Hause kam und
das Liedchen "Jesus ist geboren" anstimmte. Aber solange sie am
Nachmittag weiterhin brav den Koranunterricht besuchte, wollte Mina
auch nicht intervenieren; schließlich musste sie akzeptieren,
dass ihre Tochter in einer völlig anderen Welt mit völlig
anderen Werten groß wird.
Das waren noch Zeiten. Damals - und das ist erst ein paar Jahre
her - dienten nicht nur Menschen wie Mina und ihre Tochter als
Beweis dafür, dass in den Niederlanden eine ganz neue
Generation junger Muslime heranwächst: Kinder marokkanischer
oder türkischer Eltern, die sich in erster Linie als
Amsterdamer oder Rotterdamer verstehen und es schaffen, zwei
völlig verschiedene Welten in sich zu vereinen. Damals machte
sich auch jeder, der Zugereiste - auch wenn sie erst seit wenigen
Wochen im Land waren - "Ausländer" nannte, der Xenophobie
verdächtig. Über Jahrzehnte wurden Menschen anderer
Herkunft konsequent als "allochthon", manchmal auch als
"Neuankömmlinge" oder "neue Niederländer" bezeichnet. Und
wer es wagte, die Anpassung der "Neuen" an niederländische
Traditionen zu fordern oder Kosten und Nutzen von Zuwanderung aufs
Tapet zu bringen, galt in dem Polderland geradewegs als
rechtsextrem.
Heute - und "heute" heißt in den Niederlanden im Zweifel
immer: nach dem Auftauchen von Pim Fortuyn und den Morden an ihm
und Theo van Gogh - weiß man, dass man sich in dem
calvinistisch geprägten Land stärker zwischen Tabuthemen
arrangiert hatte, als tatsächlich eine funktionierende
multikulturelle Gesellschaft zu schaffen. Lange aber schien das
System zu funktionieren. Egal wie groß der Anteil heimlicher
Ausländerfeinde in der Gesellschaft immer gewesen sein mochte
- jahrzehntelang waren offene Diskriminierung die Ausnahme und auch
organisierter Rechtsextremismus keine nennenswerte Größe.
Bis weit in die 90er-Jahre waren die rechtsextremen
"Centrumsdemokraten" (CD) unter Hans Janmaat die einzige Partei,
die es je ins Parlament geschafft hatte - und auch das nur, weil es
dort keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. Selbst Janmaat hielt
sich europäischen Vergleich mit Männern wie Le Pen oder
Haider mit markigen Sprüchen zurück. Er warb nicht einmal
mit dem Slogan "Die Niederlande den Niederländern". Sondern,
etwas verschämt, mit: "CD, du weißt schon, warum".
Das Prinzip Tabu ging genau solange gut, bis rund um die
Jahrtausendwende ein Politiker kam, der schon als Soziologe,
Kolumnist und Buchautor mit Wonne seine Finger auf die blinden
Flecken der Nation gelegt hatte. Pim Fortuyn, bekennender
Homosexueller und ein offen dem Wohlstand fröhnender Lebemann,
der mit seiner offensiven Art eigentlich ein lebender Affront auf
den Calvinismus war. Tatsächlich wurde auch ihm der radikal
andere Diskussionsstil, den er in die Gesellschaft einbringen
wollte, zunächst nicht leicht gemacht. Die Partei "Leefbaar
Nederland" (Lebenswerte Niederlande), eine Art Mischung aus Statt-
und Schillpartei, setzte Fortuyn wenige Wochen vor den
Parlamentswahlen als Spitzenkandidat ab, als der ein Einreiseverbot
für Muslime, die Ausweisung antillanischer Niederländer
sowie die Streichung des Diskriminierungsverbots aus der Verfassung
gefordert hatte. Prompt gründete der Geschasste seine eigene
Partei "Liste Pim Fortuyn" (LPF) und fuhr bei den Kommunalwahlen in
Rotterdam mit einem Drittel Stimmen einen fulminanten Erfolg ein.
Nachdem Fortuyn von einem geistig verwirrten Tierschützer
erschossen worden war stieg die LPF gar zur zweitstärksten
Partei auf.
Nun war Fortuyn alles andere als ein lupenreiner Rechtsextremer
alter Zunft. Mit dem Nationalsozialismus konnte der schwule Dandy
naturgemäß nichts anfangen und auch die in den
60er-Jahren erkämpften bürgerlichen Freiheiten hatte er
tief verinnerlicht. In erster Linie war er ein narzisstischer Agent
Provocateur, der sich mit Hilfe eines Sammelsuriums populistischer
Thesen in Szene setzte: gegen Wartelisten in Krankenhäusern,
gegen schlechte Schulen und Junkies in der Öffentlichkeit;
für direkte Demokratie und Transparenz, für Wehrpflicht
und eine soziale Dienstpflicht für Jugendliche. Für
jeden, der sich im Alltag über etwas ärgerte, war etwas
dabei. Und dennoch: Der Islam galt ihm als "rückständig";
Einwanderung als schädlich. Neben dem Antidiskrimierungsverbot
in der Verfassung wollte er am liebsten auch das Schengener
Abkommen und die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen
abschaffen. All das sind rechtsextreme Positionen, die in dem Land,
das jahrelang mit dem Finger auf den deutschen Nachbarn zeigte,
sobald das Wort "Rassismus" fiel, massenhaft gewählt wurden.
Als hätte einer den Korken aus einer Flasche gezogen, entluden
sich nach Jahren der Political Correctness all die Ressentiments,
die es in der toleranten Gesellschaft angeblich gar nicht gab. Es
war, als hätte eine schweigende unterdrückte Mehrheit nur
auf eine Stimme wie die von Fortuyn gewartet, um ihrem Unmut
über die jahrzehntelangen Denkverbote Luft zu machen.
Traditionell sind die Niederländer nämlich nicht vor
allem liberale Menschen, sondern Bürger in einer patriarchalen
Elitendemokratie, in der die Oberen darüber verhandeln, was
das Volk zu tun und zu lassen hat. Um das religiös tief
gespaltene Land zu befrieden, errichteten Protestanten und
Katholiken eine "versäulte Gesellschaft". Die zwei großen
Religionen, später auch Sozialdemokraten und Liberale,
errichteten weitgehend autonome Säulen mit eigenen Schulen und
Universitäten, Radio- und Fernsehprogrammen, Parteien und
Vereinen. Die einfachen Bürger verbleiben in diesem System in
diesen Säulen und pflegen zur Außenwelt wenig Kontakt Nur
die Obersten kommen regelmäßig zusammen und verhandeln
über die Geschicke des Landes. Das ist in Kürze das der
berühmten niederländischen "Konsensdemokratie" zu Grunde
liegende Prinzip, das auch in Deutschland immer wieder als
leuchtendes Vorbild präsentiert wird. Nur: Die
Niederländer sind das Leben im verordneten Konsens
gründlich leid. Heute nutzen sie jede Gelegenheit - zuletzt
als sie "Nee" zur europäischen Verfassung sagten -, um ihre
Regierung abzuwatschen. Die zentrale Botschaft dieses "Nein" fasste
ein niederländischer Meinungsforscher nach dem Referendum in
drei Worten zusammen: "Hört uns zu!"
Die heutige Regierung in Den Haag ist wieder frei von
rechtsextremen Parteien. Einmal in der Verantwortung angekommen,
rieb sich die LPF in internen Streitigkeiten auf, spaltete sich ein
weiteres Mal und fiel nach dem Scheitern der mit ihnen gebildeten
Regierung Anfang 2003 von 17 auf 5,7 Prozent. Bei den Europawahlen
2004 verschwand sie vollends in der Versenkung.
Die Positionen der LPF haben allerdings längst Eingang in
die bürgerlichen Parteien gefunden. Die Regierung unter
Führung des christdemokratischen Ministerpräsidenten Jan
Peter Balkenende hat inzwischen eins der restriktivsten Asyl- und
Einwanderungsgesetze Europas erlassen. Der Familiennachzug wurde
erschwert, die Visa-Gebühren erhöht, die Asylpolitik
verschärft. Bis 2007 plant Den Haag, 26.000 Asylsuchende, die
länger als zehn Jahre im Land leben, abzuschieben - noch vor
zehn Jahren galten solche Menschen als "weiße Illegale",
konnten sich versichern und hatten gute Aussicht auf
Legalisierung.
Die rechtsliberale Integrationsministerin Rita Verdonk geht
außerdem zurzeit mit dem Vorschlag hausieren, künftig
jeden potenziellen "Neuankömmling" bereits in seiner Heimat
einem "Einwanderungsexamen" zu unterziehen - wer das dann nicht
besteht, weil er beispielsweise in Fes oder Tanger kein
Niederländisch gelernt hat, dürfte dann gar nicht mehr
einreisen.
Zur Befriedung des innerlich zerrissenen Landes hat das alles
nicht beigetragen. Nach dem Mord an dem islamkritischen Regisseur
Theo van Gogh durch den in Amsterdam geborenen Marokkaner Mohammed
B. verzeichneten die Niederlande eine beispiellose Welle der
Gewalt, die bis heute nicht zu Ende ist. Alleine in dem ersten
Monat nach dem Mord wurden über hundert Muslime Opfer
rechtsextremer Übergriffe. 47 Moscheen wurden angegriffen,
aber auch 13 Kirchen. Weil sich die Lage bis heute nur
unzulänglich beruhigt hat, sah sich selbst Königin
Beatrix genötigt, ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen. "Für
Diskriminierung, Extremismus und Gewalt ist kein Platz", sagte
Beatrix im September bei ihrer jährlichen Thronrede.
Fest steht jedenfalls: Die Zeiten, in denen die
Niederländer sich vor allem für ihre integrierten
muslimischen Allochthonen interessieren, sind fürs Erste
vorbei. Aus Mina ist Mohammed geworden.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.
Zurück zur
Übersicht
|