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Hauke Hartmann / Michael Seberich
Ausgrenzung und moralische Appelle reichen
nicht
Strategien gegen Rechts: Prävention ist das
A und O
Die künftige Bundesregierung muss sich
stärker als bisher mit präventiven Maßnahmen gegen
Rechts beschäftigen, wenn sie jenseits der Themenkonjunktur
den Rechtsextremismus als gravierende und fortwährende
Bedrohung begreift und seiner Ausbreitung entgegenwirken will.
Schließlich stellen menschenfeindliche Einstellungen und
Meinungen den ideologischen Sockel dar, auf dem nicht nur
Wahlkreuze für die NPD, sondern auch Gewalttaten gegen
Ausländer, Migranten und Andersdenkende basieren. Wer das
nicht hinnehmen mag, muss dort wirken, wo Einstellungen und
Meinungen geprägt und beeinflusst werden.
Dies war die Motivation für die
Bertelsmann Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Centrum für
Angewandte Politikforschung (CAP) die Potenziale von
Toleranzförderung, Menschenrechtspädagogik und
politischem Journalismus zu untersuchen. Wir wollten sehen, ob
diese Elemente zur Herausbildung einer langfristigen und
umfassenden Präventionsstrategie in Kindertagesstätten,
Schulen und Redaktionen beitragen können. Jetzt, nach drei
Jahren Arbeit, sind daraus konkrete Handlungsempfehlungen für
Politik und Praxis entstanden. Ein Ergebnis des Projekts: Mit der
Prävention muss schon früh und individuell begonnen
werden.
So bauen erfolgreiche Bildungsprogramme gegen
Rechtsextremismus auf der Beobachtung auf, dass positive soziale
Kompetenzen wie Empathiefähigkeit und ein angemessenes
Selbstwertgefühl schon früh in Kindertagesstätte und
Grundschule gefördert werden können. Die Wissenschaft
weiß seit langem, dass sich diese Kompetenzen in jungen Jahren
entwickeln. In Deutschland hat man daraus bereits erste Lehren
gezogen: Es gibt erfolgreiche Beispiele für die
Prävention von Fremdenfeindlichkeit und Aggression in
verschiedenen Bildungseinrichtungen. Bislang jedoch wurden erprobte
Programme leider nicht flächendeckend
implementiert.
Dazugehören statt ausgegrenzt zu werden
- das ist für jedes Kind wichtig. Die Biographieforschung aber
zeigt, dass viele rechtsextreme Täter aus zerrütteten
Familien stammen und häufig in Kindergarten und Schule um
Aufmerksamkeit jenseits der schulischen Leistungen gerungen haben.
Das bedeutet, dass frühzeitig auf die individuelle Situation
des Kindes, wie Familienhintergrund und Temperament, eingegangen
werden muss, damit sich aggressive und intolerante Haltungen gar
nicht erst herausbilden. Die Integration von Kindern mit
Migrationshintergrund ist dabei ganz besonders wichtig. Das
könnte zum Beispiel durch die Förderung interkultureller
Ansätze im Bildungssystem geschehen. Wichtig wäre
dafür, dass die Lehrerschaft zumindest ähnlich
zusammengesetzt ist wie die deutsche Gesellschaft. Es muss
selbstverständlich werden, dass junge Menschen mit
Migrationshintergrund auch Lehrer oder Erzieher werden.
Kurz: Es ist Zeit für eine neue und
intensive öffentliche Diskussion über die Normen, an
denen sich unser Bildungssystem orientiert. In der deutschen
Gesellschaft können die Menschenrechte den Rahmen für
eine solche Diskussion bilden. Sie sind der Ausgangspunkt für
eine Auseinandersetzung mit Fragen des Miteinanders, der
Verantwortung, der Chancen und der Pflichten, die ein Leben in
einer Demokratie bietet und fordert. Die zahlreichen Modellprojekte
zur Demokratiebildung in Deutschland und anderen europäischen
Ländern zeigen, dass eine Erfolg versprechende
Menschenrechtserziehung systemisch verankert ist. Deshalb sollten
die Menschenrechte ein Thema im Unterricht, bei der Entwicklung
eines Schulprofils und im täglichen Miteinander einer Schule
sein.
Neben Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus
bemühen sich rechtsextreme Akteure um eine plakative
Themenhoheit bei Sozialreformen, Arbeitslosigkeit, Gerechtigkeit,
Nationalismus, deutscher Geschichtsschreibung, Erinnerungskultur
und Globalisierung. Deren Leerformeln können in der Schule
durch eine fundierte politische Bildung widerlegt werden. Kinder
und Jugendliche müssen befähigt werden, sich mit Formen
und Folgen von Diskriminierung sowie mit Ideologien, Vorurteilen
und Feindbildern auseinander zu setzen. Neben Faktenwissen und
Reflexionsfähigkeit gehört dazu vor allem eine
dialogische Vermittlung demokratischer Werte.
Bisher sind nur wenige der pädagogischen
Ansätze, die einen Beitrag zu einer demokratischen, offenen
Gesellschaft leisten wollen, auf ihre langfristige Wirkung
untersucht worden. Aus den Erfahrungen von Modellprojekten
müssen Qualitätsstandards für Bildungsprogramme
entwickelt werden.
Die Medien, insbesondere das Fernsehen, sind
für die Sozialisation moderner Gesellschaften ebenfalls sehr
wichtig. Sie beeinflussen wesentlich die öffentliche Debatte
zu brisanten und normativ besetzten Themen wie Integration,
Gerechtigkeit oder Toleranz. Die Analyse der
Fernsehberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender -
in Kooperation mit der ARD/ZDF-Medienkommission und den Kirchen -
bestätigt die Aussagen anderer Studien, dass sich die Medien
bei der Behandlung des Themas an der politischen Konjunktur
orientieren. Das aber greift zu kurz: Das Thema Rechtsextremismus
benötigt vielmehr eine dauerhafte und intensive
Berichterstattung, die auch über die Hintergründe
informiert. Sich auf aktuelle Ereignisse zu fixieren, reicht nicht.
Eine profundere Darstellung mit ausreichender Sendezeit würde
zur Ausdifferenzierung von stereotypen Betrachtungen der rechten
Szene beitragen und es eher ermöglichen, auch "Rechte in
Nadelstreifen" und Alltagsrassismus zu thematisieren.
Für den Fernsehjournalismus zeigt sich
sehr deutlich, dass dramatisierende und emotionalisierende Effekte
sparsam und bewusst eingesetzt werden sollten. Archivbilder
müssen eindeutig als solche gekennzeichnet sein und sollten
kein unzutreffendes und überzeichnetes Szenario des
rechtsextremen Bedrohungspotenzials vermitteln. Gleiches gilt
für dramatisierende Darstellungen, die gesteigerte
Aufmerksamkeit oder gar höhere Einschaltquoten
gewährleisten sollen. Eine dosierte Emotionalisierung hingegen
kann durchaus die Empathiefähigkeit des Zuschauers steigern
und dadurch eine thematische Auseinandersetzung
fördern.
Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und
Sachsen ist ein weiteres Mal deutlich geworden, dass der Versuch
zum Scheitern verurteilt ist, Rechtsextremismus lediglich moralisch
auszugrenzen, ohne sich gleichzeitig argumentativ mit ihm
auseinanderzusetzen. Zudem gehört es zur Medienstrategie von
Rechtsextremisten, sich durch bewusste Provokationen der
gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung entgegenzustellen und durch
empörte Reaktionen auf sich aufmerksam zu machen.
Schließlich weisen rechtsextremistische Stellungnahmen
durchaus kohärente Argumentationsmuster auf, die es zu
durchbrechen und zu widerlegen gilt. Dafür müssen die
inhaltlichen und rhetorischen Fähigkeiten von Interviewern und
Moderatoren aber gezielt gefördert werden.
Was für die Medien gilt, trifft
natürlich auch auf die Politik zu. Die Kommunikation mit
rechtsextremen Personen und Parteien ist geprägt durch
moralische Appelle und eine Symbolik der Sprachlosigkeit. Dabei
gälte es vielmehr, die Argumentationshoheit zu bewahren und
die Auftritte von Rechtsextremen zu entzaubern. Gegen deren zumeist
holzschnittartige Thesen kann sich die Politik durch bewährte
Argumentationstrainings besser wappnen. So können sie
intolerante und demokratiefeindliche Äußerungen besser
zurückweisen und die politische Initiative zurück
gewinnen.
Eine Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus,
die von allen demokratischen Parteien mitgetragen wird, könnte
einen Handlungskorridor in der Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus abstecken. Dafür müssten die Vertreter
der demokratischen Parteien die aktuelle Situation gründlich
analysieren und eine umfassende und durchdeklinierte
Zielvorstellung von dem, was man erreichen will, entwickeln. Die
Politik kann aber auch weiteren Handlungsspielraum und
größere Fachkenntnis durch eine verbesserte
Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen
erhalten.
Die Gesamtstrategie sollte in einem
Maßnahmenpaket konkretisiert werden. Das müsste auf einem
Katalog der Übereinstimmungen zwischen den Parteien basieren.
Er würde deutlich machen, auf welche Ansätze und
Maßnahmen sich die Politik verständigen kann, was alle
demokratischen Parteien gemeinsam tragen wollen und welche
Schwerpunkte bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus langfristig
gesetzt werden sollen. Dies würde gerade
zivilgesellschaftliche Initiativen in ihrem Handeln absichern und
Vertrauen schaffen.
Die Klärung von Inhalten und die
Umsetzung der Strategie wäre möglichst bald zu
diskutieren. Einige Parteien haben mit guten Argumenten einen
"Arms-Length-Body" - eine öffentliche Stiftung - als
kontinuitätssichernde Institution ins Gespräch gebracht.
Die Ergebnisse unserer Projektarbeit legen es nahe,
demokratiefördernde Elemente im Sinne der jetzigen
Bundesprogramme mit präventiven Ansätzen, insbesondere im
Bereich der Bildung, zu verbinden - ganz so, wie es die hier
vorgelegten Handlungsempfehlungen vorsehen.
Sie sind eine Einladung zum Dialog und zu
einem dauerhaften und vorausschauenden Engagement, um nicht erst
nachträglich auf rechtsextreme Taten reagieren zu
müssen.
Hauke Hartmann und Michael Seberich sind
Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung. Die Projektergebnisse sind
dokumentiert in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Strategien gegen
Rechtsextremismus. 2 Bände. Gütersloh: Verlag Bertelsmann
Stiftung 2005.
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