Kein Platz für alternative
Lebensentwürfe
Der Bremer Sozialwissenschaftler Jörg
Hutter über den Umgang der Neonazis mit
Homosexualität
Das Parlament: Herr Hutter, hat der
Männlichkeitskult der Neonazis für Schwule einen
besonderen Reiz?
Jörg Hutter: Ich vermute, dass der Anteil von
Schwulen mit nationalsozialistischer Gesinnung genauso groß
ist wie in allen anderen Bevölkerungsschichten. Ich würde
auch unterscheiden zwischen denen, die diesen Kult als Fetisch
brauchen, und denen, die damit auch eine Gesinnung verbinden. Wenn
man beispielsweise diese Schaftstiefel oder andere entsprechende
Kleidungsstücke anzieht, um sich sexuell zu erfreuen, kann das
völlig losgelöst sein von der persönlichen
Gesinnung. Diejenigen, die als Homosexuelle mit rechtsextremer
Gesinnung aufgetreten sind, haben allerdings wirkliche
Auseinandersetzungen in der rechtsextremen Szene ausgelöst.
Das ist ein Konfliktpotenzial, das in der Szene immer wieder
aufbricht.
Das Parlament: Offiziell lehnt die rechtsextreme Szene
Homosexualität als "entartet" ab. Wie ist es überhaupt zu
solchen "Outings" von Schwulen gekommen?
Jörg Hutter: Das ist der normale Weg, den ein
Homosexueller mit seinem "Coming out" geht. Irgendwann lässt
sich die eigene Homosexualität nicht mehr verbergen, gerade
wenn beispielsweise in einer Gemeinschaft die Art des
Zusammenlebens nicht mehr zu verheimlichen ist. Einer der
bekanntesten rechtsextremen Homosexuellen war Michael Kühnen,
der in den 80er-Jahren eine zentrale Führungsfigur gewesen
ist. Als dann klar war, dass Kühnen homosexuell war, hat das
zu ganz heftigen Konflikten in der rechtsextremen Szene
geführt.
Das Parlament: Wie weit gingen diese Konflikte?
Jörg Hutter: Es ist zu einer Spaltung gekommen. Ein
homosexueller Freund von Kühnen, der Franzose Michel Caignet,
ist Mitte der 80er-Jahre als Erster aus der europaweit agierenden
"Aktionsfront Nationaler Sozialisten" ausgeschlossen worden.
Caignet hatte als Herausgeber einer Schwulen-Zeitschrift versucht,
an Homosexuelle heranzukommen und sie zu werben. Das hat zu dem
Bruch geführt. Im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen
hat auch Kühnen seinen Austritt aus der Bewegung erklärt
und das Manifest "Homosexualität und Nationalsozialismus"
veröffentlicht, um zu rechtfertigen, warum man auch als
überzeugter Nationalsozialist schwul sein kann.
Das Parlament: Ging es in dem Manifest Kühnens nicht
um seine These, dass Homosexuelle die wahren Kämpfer der
Bewegung seien, weil sie nicht an Frau und Familie gebunden
sind?
Jörg Hutter: Das war eine besonders krude Theorie,
die teilweise auch als "Steinzeit-Nationalsozialismus" bewertet
worden ist. Danach ist die Frau als Naturwesen eher für
Empfängnis und Erziehung der Kinder zuständig und der
Mann dazu berufen, Führungsqualitäten in der Horde und
Sippe zu übernehmen. Da er sich nicht um Kindererziehung
kümmern müsse und der Zeugungsakt ja so schnell vorbei
gehe, könne sich der Mann dann auch die Zeit nehmen, seine
überschüssige Sexualität mit Männern und
"geschlechtsreifen Knaben" - wie Kühnen das formuliert hat -
auszuleben. Diese merkwürdige Herleitung beruht natürlich
nicht auf irgendwelchen wissenschaftlichen Untersuchungen über
die Germanenzeit, sondern ist ein reines Fantasieprodukt
Kühnens. Er wollte versuchen, einen Mythos zu schaffen.
Das Parlament: Wie begründet das andere Lager der
rechtsextremen Szene seine besondere Feindschaft gegenüber
Homosexuellen?
Jörg Hutter: Kühnen hat behauptet, die
jüdisch-christliche Moral sei für die
Homosexuellenfeindschaft verantwortlich. Die anderen sagen,
Homosexualität sei "abartig". Letztendlich mag es um
Machtkämpfe gehen, aber es wird auch befürchtet, dass die
Bewegung unterwandert wird von einer "abartigen" Moral. Die
schwäche die "Volksfront" und müsse daher ausgemerzt
werden. Es wird kaum rational, aber dafür umso heftiger
emotional argumentiert.
Das Parlament: Gibt es derzeit noch Konflikte um das
Thema?
Jörg Hutter: 2003 tauchten bei Yahoo eine ganze
Reihe von Gruppen auf, wie "GayNaziSkinheads WPWW SS88",
"JungSSkinSS" und "gaySSbroSS". Letztere ist eine englischsprachige
Gruppe mit fast 700 Mitgliedern - ein Umfang, der mich schon
erstaunt hat. Diesen Gruppen ging es eindeutig nicht nur um einen
sexuellen Fetisch, sondern um rechte Gesinnung. Es muss um die 20
bis 30 solcher Gruppen gegeben haben. Diese Versuche von
homosexuellen Nazis, sich über Yahoo zu organisieren, sind in
rechtsextremen Foren zur Kenntnis genommen worden. Die dortigen
Teilnehmer haben zum Teil sehr heftig darauf reagiert.
Das Parlament: Das heißt, die Mehrheit der
Rechtsextremen reagiert feindschaftlich auf Homosexuelle?
Jörg Hutter: Das kann man so sagen, weil es eine
sehr patriarchale, männlichkeitsdominierte Bewegung ist. Die
Männerrolle wird ganz eindeutig durch den Schwulen - gerade
wenn er auch noch weiblich auftritt - in Frage gestellt. Aus dieser
Angst heraus, dass die Männerrolle in Frage gestellt wird,
wird so aggressiv-ablehnend reagiert.
Das Parlament: Wie weit geht diese Aggression? Im
Nationalsozialismus ging sie bis hin zum Mord.
Jörg Hutter: Es hat auch im Kühnen-Umfeld einen
Fememord aufgrund von Homosexualität gegeben, 1981 an Johannes
Bügner. Es gibt immer wieder Todesdrohungen gegen
Homosexuelle. Man kann sich als Schwuler in diesen Kreisen nicht
sicher fühlen.
Das Parlament: Gilt das genauso für Lesben?
Jörg Hutter: Da wird auch eher abwehrend reagiert,
aber nicht so stark. Michael Kühnen sagt, die Männer
dürfen zwar gleichgeschlechtlich lieben, aber das Naturwesen
Frau, das Kinder zu erziehen und zu gebären hat, darf das
nicht. Aber eigentlich ist das Thema Lesbischsein mehr oder weniger
bedeutungslos in der Szene und kommt höchstens als Randnotiz
vor. Wahrscheinlich bedroht es das eigene Männerbild nicht so,
wenn Frauen miteinander Sex haben.
Das Gespräch führte Ulrike Schuler. Sie arbeitet als
freie Journalistin in Berlin.
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