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Sönke Giard-Weiss
Hoffnung für Kindersoldaten
Neue Welle der Gewalt in Uganda - der Krieg geht
trotzdem zu Ende
Eine neue Welle der Gewalt schwappt derzeit
über Uganda. Mit großer Besorgnis verfolgt die
internationale Gemeinschaft Angriffe auf Ausländer, die im
Norden des Landes und im benachbarten Sudan tätig sind. Die
jüngsten Beispiele: Vor drei Wochen erschossen Rebellen der so
genannten Widerstandsarmee des Herrn (LRA) zwei Minenräumer
eines Schweizer Hilfswerkes. Am 7. November starb der Amerikaner
Collin Lee (67), der für ein US-Hilfswerk vor Ort war.
Rebellen stoppten seinen Jeep,
entführten Lee und seine Frau. Zwar konnten sie zuvor noch
über Funk Hilfe rufen. Während der Verfolgungsjagd
schossen die Täter jedoch ihre Opfer nieder. Lee erlag seinen
Wunden, seine Frau wurde schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht",
sagte der Sprecher der ugandischen Armee, Paddy Ankunda, auf
Anfrage von "Das Parlament". Rechne er mit weiteren
Anschlägen? Dies sei, hinsichtlich der momentanen Lage, nicht
auszuschließen, sagte Ankunda.
Wie ist nun die momentane Lage im Norden
Ugandas nach fast 20 Jahren Bürgerkrieg? Nach
Einschätzung von internationalen Beobachtern geht der Krieg
dem Ende zu. Gegen die Generäle der LRA sowie dessen
Anführer Joseph Kony, schätzungsweise Anfang 40, hat der
Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) jüngst
Haftbefehle erlassen.
Bei der Festnahme der LRA-Spitze setze das
ICC, so lautet es aus den Niederlanden, auf die Zusammenarbeit der
Regierungen von Uganda, Kongo und dem Sudan. Ohne eine solche
Zusammenarbeit könne sich eine Festnahme als fast
unmöglich herausstellen, heißt es aus Regierungskreisen
in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Und UN-Vermittler Lars Erik
Skaansar, der vom nördlichen Gulu aus die Lage betrachtet,
meint: "Wenn diese Männer festgenommen worden sind,
zerfällt auch die Struktur ihrer Armee. Anfang 2006 sind
Wahlen in Uganda. Präsident Yoweri Museveni will, dass bis
dahin der Spuk vorbei ist."
Michael Oruni leitet das World
Vision-Rehabilitationszentrum für ehemalige Kindersoldaten in
Gulu. Er sieht zwar endlich Hoffnung für hunderte von
Kindersoldaten, die zum Teil bereits vor Jahren von der LRA in den
Busch verschleppt wurden, ist aber über die derzeitige
Situation beunruhigt. Mit Recht, wie die jüngsten
Vorfälle gegenüber Orunis Kollegen zeigen. "Auch wir
hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist, aber im Moment lassen die
ICC-Haftbefehle uns und viele andere Hilfswerke im Unklaren, wie
die Rebellen zukünftig darauf reagieren. Wird es noch mehr
tote Kollegen geben? Ist unser Leben noch mehr gefährdet als
vorher?", fragt er sich.
Die Schweizer Minenräumer haben ihre
Arbeit bereits eingestellt. Die UN warnte die internationalen
Hilfswerke, sich nicht aus Gulu herauszubewegen. An Blauhelme denkt
in New York keiner. Der Konflikt in Nord-Uganda ist nach Angaben
der UN-Polizei eine innenpolitische Auseinandersetzung.
Darüber hinaus wünscht die Regierung in Kampala keine
Einmischung von außen.
Trotz der möglichen Lebensgefahr stellen
Michael Oruni und sein Team ihre Arbeit nicht ein. Die neue
Herausforderung lautet: die ehemaligen Kindersoldaten nachhaltig in
die Gesellschaft zu integrieren. Mit finanzieller
Unterstützung des Amtes der Humanitären Hilfe der
Europäischen Union, kurz ECHO, hat World Vision beispielsweise
ein neues Kinderschutzprogramm aufgebaut, dass mit 600.000 Euro
innerhalb von neun Monaten über 23.000 Kindern und
Heranswachsenden zugute kommen soll. Dazu gehören unter
anderem Bildungsmaßnahmen für Betreuer, Häuser
für ehemalige Kindersoldatinnen und ihre Kinder. Außerdem
gibt es Ausbildungsprogramme in Hauswirtschaft und handwerklichen
Berufen wie Zimmermann und Maurer. Die Nachfrage ist
groß.
Laut Unicef hat der Bürgerkrieg im
Norden Ugandas zur Entführung von über 25.000 Kindern
geführt. Mehr als 1,8 Millionen Menschen sind von ihrem Land
vertrieben worden, befinden sich auf der Flucht. Das sind 90
Prozent der Bevölkerung, die meisten von ihnen Frauen und
Kinder. "Der Krieg hat die Gesellschaft zerrüttet.
Kindersoldaten werden nicht als Opfer, sondern als Täter
angesehen. Bei den Grausamkeiten, zu denen sie gezwungen wurden,
ist dies kaum verwunderlich", erklärt David Achana,
Vorsitzender der Acholi-Volksgruppe, der Ethnie, der die
Kindersoldaten zum größten Teil
angehören.
"Auch wenn der Krieg bald vorbei sein sollte,
geht der Kampf um Gleichberechtigung und Integration weiter. Wir
leben seit 20 Jahren mit Terror und Gewalt. Man kann nur ahnen, was
das aus den Menschen hier hat werden lassen."
Christine ist das typische Beispiel einer
ehemaligen Kindersoldatin. Sie ist heute 20 Jahre alt und hat zwei
Jahre in der LRA überlebt. Oft wurde sie in Kämpfe
geschickt und zum Töten gezwungen. "Mein Leben war die
Hölle. Wir mussten Dörfer überfallen, die
Hütten in Brand stecken und alle umbringen, die über 30
waren. Es war so grausam. Wenn ich mich aber geweigert hätte,
hätte man mich auf der Stelle erschossen", erinnert sie
sich.
Während eines Überfalls sah
Christine, dass sie ganz in der Nähe ihres Dorfes war. Sie
nutzte die Gelegenheit zur Flucht, die ihr glückte. Mit
Therapeuten sprach sie ausführlich über ihre Erlebnisse,
erhielt Zuspruch, Aufmunterung und Orientierung. Kommendes Jahr
wird Christine ihr Abitur machen. Anschließend möchte sie
Ärztin werden. Viele andere Kinder warten noch immer auf so
ein Happy End.
Vor allem die Pendlerkinder. Wenn sich die
Sonne senkt, tauchen sie auf aus dem hohen Gras der Felder und
bevölkern die Straßen, die in die Stadt führen.
Zunächst sind es nur kleine Gruppen von Jungen und
Mädchen, doch schnell werden es mehr. Als ob unsichtbare
Schleusen geöffnet würden, überfluten sie die
Städte im Norden Ugandas. Nacht für Nacht kommen noch
immer hunderte Kinder aus den umliegenden Dörfern, um den
Häschern der LRA zu entgehen. Denn meist greift die LRA in der
Dämmerung an.
"Während meiner Arbeit bei Unicef habe
ich viele schreckliche Dinge gesehen", sagte Unicef-Direktorin
Carol Bellamy. Doch selten habe sie etwas so schockiert wie der
Anblick dieser Kinder, die aus Sorge vor den nächtlichen
Überfällen Abend für Abend von ihren Eltern
fortgeschickt werden. Bellamy: "Mehr als jeder andere ist dieser
Krieg ein Krieg gegen die Kinder."
Für diese Pendlerkinder, die aus Angst
vor Verschleppung in der Nacht Schutz suchen, wurden in Gulu Lern-
und Schlafzelte aufgebaut. "Kindersoldaten bringt man bei, dass ein
Menschenleben nichts wert ist. Die Pendlerkinder, die jeden Abend
von zu Hause weggeschickt werden, verzweifeln daran, dass ihre
Eltern sie nicht schützen können", sagt Hubertus Adam,
Kinderpsychiater an der Uni-Klinik Hamburg und fügt hinzu:
"Die Internationale Gemeinschaft ist dazu verpflichtet, diesen
Kindern das Vertrauen in die Menschlichkeit zurückzugeben, um
den Teufelskreis von Trauma und Gewalt zu durchbrechen."
"Alleine schaffen wir es nicht, den Kindern
eine friedliche Zukunft zu ermöglichen", sagt Acholi-Chef
Achana. Er appelliert an die Hilfswerke, ihre Arbeit fortzusetzen
und sich nicht von den Rebellen einschüchtern zu lassen. Von
der Weltöffentlichkeit fordert er, endlich nicht mehr die
Augen vor dem Krieg in Uganda zu schließen. Achana: "Unsere
Kinder verdienen mehr Respekt."
Seit 1986 hält der Krieg im Norden
Ugandas an. Rebellenführer Kony sah sich zunächst als
eine Art Robin Hood für die vom Süden benachteiligten
Acholi im Norden. Doch schnell verloren die ihren Glauben an Kony,
besonders als dieser behauptete, er sei die Wiedergeburt der
Jungfrau Maria und er wolle ein Regime der zehn Gebote errichten.
Als er keine Erwachsenen mehr für seinen Kampf mobilisieren
konnte, zwang er tausende von Kindern mit äußerster
Brutalität zum Kriegsdienst und zu entsetzlichen
Gräueltaten. Die entführten Kinder sind zwischen drei und
16 Jahren alt. Die psychologischen Folgen dieser Gewalt prägen
mittlerweile zwei Generationen. Weltweit gibt es nach UN-Auskunft
rund 300.000 Kinder, die als bewaffnete Soldaten im Einsatz
sind.
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