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Thomas Veser
Das weiße Gold verliert den Glanz
Wie Bénin die Abhängigkeit von der
Baumwolle überwinden will
Auf den ersten Blick wirkt Banikoara im äußersten
Norden der Republik Bénin wie ein verschlafener Provinzort,
der seine Zukunft längst hinter sich hat. Wer genauer
hinsieht, stellt jedoch fest, dass in der rund 133.000 Einwohner
zählenden Stadt mitten in der Baumsavanne nahe der Grenze zu
Burkina Faso an allen Ecken und Enden Neubauten entstehen.
Verglichen mit anderen Städten des rück-ständigen
Nordens verdienen die Bewohner ordentlich Geld, und das verdanken
sie dem florierenden Anbau von Baumwolle, die in den
Entkörnungsfabriken des Umlandes für den Export
weiterverarbeitet wird.
Bénin mit seinen rund 7,4 Millionen Einwohnern belegt in
Westafrika nach Mali und der Elfenbeinküste den dritten Platz
in der Produktion des "weißen Goldes". Mit der Rekordernte von
420.000 Tonnen Rohbaumwolle hat das Land in diesem Jahr die
erwartete Menge von 350.000 Tonnen deutlich überschritten.
Wie das Landwirtschaftsministerium in der Hauptstadt Porto Novo
meldete, stammten annähernd 75 Prozent alleine aus der Gegend
um Banikoara. Das staatlich angepeilte Ziel von mindestens einer
halben Million Tonnen konnte zwar nicht erreicht werden, aber
immerhin war man mit dem diesjährigen Ergebnis nicht wieder
hinter die erwartete Erntemenge zurückgefallen, wie das in den
vergangenen sieben Jahren der Fall war.
Da jedoch der Weltmarktpreis für Baumwolle sinkt und die
Aufkäufer ihre Zahlungen verzögern, herrscht bei vielen
Produzenten Ebbe in der Haushaltskasse. Bénin steht damit
nicht alleine: Auch die Nachbarländer haben auf das weiße
Gold gesetzt und müssen feststellen, dass die Einkünfte
schrumpfen.
Begonnen hat der Baumwollboom in den späten 60er-Jahren.
"Damals musste die Regierung harte Überzeugungsarbeit leisten,
denn die Bauern wollten nicht glauben, dass ihnen der weiße
Rohstoff Wohlstand bringen würde", erinnert sich Alassane
Seidou, Bürgermeister der Stadt Kandi. Aber die Aussicht, zu
einem bestimmten Zeitpunkt eine zuvor vereinbarte Summe zu
erhalten, sei dann doch zu verlockend gewesen, fügt er
hinzu.
Da das weiße Gold keinen Schatten duldet, haben die Bauern
Wälder abgeholzt, um auf den gewonnenen Flächen Baumwolle
anzubauen. Für die Ernährung wichtige Kulturen, wie Mais
oder Erdnüsse, wurden vernachlässigt. Während die
Einkünfte aus dem Verkauf der Baumwolle zurückgehen,
leiden die Einheimischen deswegen zunehmend unter
Mangelernährung, zeitweise herrscht Hunger.
Nach wissenschaftlicher Einschätzung sind die Galerie- und
Savannenwälder des Nordostens noch
verhältnismäßig intakt, eine Ausweitung der
Baumwollmonokulturen könnte jedoch verheerende Folgen
heraufbeschwören: Weiter im Norden verläuft
eine fünf Kilometer breite Pufferzone, die sich wie ein
Schutzwall an den "Parc National du W" anschmiegt. Dieser Park,
dessen Anteil in Niger auf der Liste des Unesco-Weltnaturerbes
steht, bildet ein ökologisches Kernstück in der
westafrikanischen Savannen- und Feuchtgebietlandschaft. Würde
er zerstört, verlöre die ganze Region ihren
natürlichen Schutzschild gegen die Sahara.
Ob es für die Bewohner dieses Landesteils ein Leben nach
der Baumwolle gibt, versuchen regionale
Nichtregierungsorganisationen mit Hilfe der Deutschen
Welthungerhilfe (DWHH) gegenwärtig herauszufinden. Die
dominierende Baumwollproduktion soll zugunsten anderer
landwirtschaftlicher Erzeugnisse reduziert werden. Und so wurden in
50 ausgewählten Dörfern mit rund 50.000 Einwohnern
Grundlagen gelegt für den Anbau von Gemüse, Maniok und
Früchten, vor allem Mangos und Goyaven. Jedes der betreuten
Dörfer musste selbst herausfinden, was für seine Bewohner
vorrangig war, und damit stießen die Initiatoren auf das erste
Hindernis: "In den meisten Ortschaften sind die Menschen nicht
daran gewöhnt, ihre Wünsche und Forderungen zum Ausdruck
zu bringen, dort entscheidet einzig und allein die Dorfelite, an
deren Spitze der Chef steht", berichtet der beninische Soziologe
Andemi Baguiri von der Nichtregierungsorganisation GERED.
Deshalb mussten die GERED-Mitarbeiter beharrlich
Überzeugungsarbeit leisten. "Inzwischen bleiben die Menschen
nicht mehr länger stumm und die Dorfelite hört ihnen zu",
bekräftigt Baguiri. Im Dorf Bankro, das 320 Einwohner
zählt, entschied man sich für eine moderne Brunnenanlage,
die den hygienischen Anforderungen entspricht und bewässert
damit auch Bananenhaine und Gemüsekulturen. Zehn Prozent der
Baukosten musste das Dorf beisteuern, zudem steht das Dorfkomitee
in der Pflicht, für den Unterhalt aufzukommen.
Gbèssakas Einwohner hingegen räumen der
Wiederaufforstung den Vorrang ein. Das Dorf liegt im Einzugsbereich
eines Staatswaldes, der wirtschaftlich genutzt werden darf. Dort
betreut der forstwirtschaftlich geschulte Animateur Ismael Garba
eine Baumschule, in der Nutzholz- und Fruchtbaumsetzlinge
bereitgehalten werden. Ismael Garba demonstriert, wie die
Jungbäume in ein mit Kuhdung und Stroh gefülltes Loch
gesetzt und dann während der Wachstumsphase fachgerecht
gepflegt werden.
Teak- und Caïlcédras-Bäume, die für Bauholz
benötigt werden, befinden sich in seinem Angebot, aber auch
Anacardier, der Nüsse liefert, sowie verschiedene
fruchttragende Bäume. Während die Beratung gratis ist,
müssen die Setzlinge bezahlt werden. Dazu nimmt man die
Einkünfte aus dem Baumwollverkauf; sie bewegen sich im Schnitt
pro Kopf bei umgerechnet rund 400 Euro. Nicht selten geben
Männer bis zu 20 Prozent davon für neue Bäume aus,
"allmählich wächst auf diese Weise ein ökonomisches
Gegengewicht zur Baumwolle", konstatiert Garba. Allerdings
würden auch noch viele Bewohner zögern, denn um
beispielsweise nach der Baumpflanzung Cashew-Nüsse zu ernten,
müsse man mindestens vier Jahre warten. "Die Leute wollen
wissen, wovon sie in dieser Zeit leben sollen."
Im benachbarten Dorf Thya setzt man auf Honig; zehn Männer
ließen sich zu Bienenzüchtern ausbilden, aus ihren
Stöcken können sie zweimal pro Jahr Honig ernten, wenn
alles gut läuft, pro Züchter bis zu 30 Liter. Die
süße Masse ist in Bénin Mangelware.
Nicht nur sesshafte Familien beteiligen sich an den gemeinsamen
Bemühungen. Im Nachbardorf Sinwan hat man auch einige Familien
aus der nomadisierenden Peulh-Ethnie in das Projekt eingebunden.
Nach wie vor unternimmt ein Teil dieser Ethnie, die auch in Niger
und in Burkina Faso lebt, mit dem Viehbestand jedes Jahr
ausgedehnte Wanderungen, um Stellen mit genügend Wasservorrat
aufzusuchen. Dabei folgen die Hirten, meist junge ledige
Männer, uralten Pfaden und kümmern sich herzlich wenig um
nationale Grenzen: Ihre Heimat ist dort, wo sie ihre Rinder
tränken können.
Bisweilen führt ihre Wanderschaft durch Gebiete, die
inzwischen als Baumwollanbauflächen dienen und damit ziehen
die Peulh den Unmut der Sesshaften auf sich. Dabei kommt es zu
Zusammenstößen, bei denen auch bereits Schusswaffen
eingesetzt wurden. Dank zusätzlicher Brunnenanlagen in der
ganzen Region haben sich die Wogen Andemi Baguiris Worten zufolge
inzwischen etwas geglättert.
Um das Verhältnis weiter zu normalisieren, versuchen die
einheimischen DWHH-Partner, dem Volk der Peulhs in Sinwan die
Sesshaftigkeit schmackhaft zu machen. Deshalb errichtete man ein
"Village Peulh" und daneben auch gleich noch ein eingezäuntes
Gemüsefeld. Mit kräftiger Stimme erklärt Animatrice
Madeleine den prächtig gekleideten, Silberschmuck tragenden
Frauen, die höflich lauschen, die Technik des
Gemüseanbaus in diesen Breitengraden. Inzwischen hat das Dorf
auch eine kleine Schule und das könnte die Bereitschaft, dort
ständig zu leben, noch verstärken.
Im Nachbardorf bauen die Bewohner vor allem Maniok-Knollen,
Hirsearten, Gemüse und Kräuter an und verkaufen die Ernte
auf den Märkten. Wurde früher jeder geeignete Acker
für Baumwolle geopfert, lässt sich in diesem Teil
Bénins gegenwärtig eine Gegenbewegung beobachten. Mit den
Einnahmen für das weiße Gold können die Renditen
für diese Landwirtschaftsprodukte zwar nicht mithalten,
dafür garantieren sie wenigstens ein sicheres Einkommen.
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