Enrico Syring
Hitler als alleiniger Initiator?
Zwei Darstellungen zum Zweiten
Weltkrieg
Rolf-Dieter Müller und Gerhard Schreiber, beide
langjährige Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes der Bundeswehr, zählen zu den herausragenden
und vielfach ausgewiesenen Kennern der Geschichte des Zweiten
Weltkrieges. Beide haben, unabhängig voneinander, aus Anlass
des 60. Jahrestages des Kriegsendes den Versuch unternommen, die
seit Jahrzehnten überfällige aktuelle deutschsprachige
Überblicksdarstellung jenes letzten erdumspannenden Konflikts
zu liefern.
Müller wählte dabei sehr viel konsequenter die
deutsche Perspektive. Den pazifischen Raum wertet er als
bloßen Nebenkriegsschauplatz. Hat die Forschung seit etlichen
Jahren eher die Mitschuld und Mitverantwortung der (konservativen)
Eliten in Militär, Staatsapparat, Wirtschaft und Wissenschaft
betont, so ist Müllers Darstellung ausgesprochen
Hitler-zentrisch angelegt. Für ihn war der "Führer"
alleiniger Initiator und treibende Kraft aller wesentlichen
Weichenstellungen.
Propagandachimären
Damit ist der Rezensent so nicht einverstanden. Insbesondere
aber würde er die Bedeutung der USA für die deutsche
Politik in der ersten Kriegsphase (bis Dezember 1941) noch sehr
viel deutlicher akzentuiert wissen wollen, als dies hier geschehen
ist. Gleichwohl räumt Müller mit etlichen
überkommenen Propagandachimären über den Zweiten
Weltkrieg aus der Zeit des Kalten Krieges - beispielsweise
über die Schlacht bei Kursk Anfang Juli 1943 - auf, die etwa
in namhaften englischsprachigen Überblicksdarstellungen bis
zum heutigen Tag noch immer aufrechterhalten werden. Hierin liegt
der eigentliche Wert seiner Arbeit.
Gerhard Schreiber wählt demgegenüber einen
ausgesprochen global orientierten Zugriff. Allerdings sind auch
für ihn das Deutsche Reich und Hitler die primär
Verantwortlichen. Sehr viel deutlicher als Müllers Arbeit ist
Schreibers knapper Abriss ,ad usum delphini' geschrieben. Er
möchte keinerlei Ansatzpunkte für eine wie auch immer
geartete Apologie der deutschen Politik jener Zeit liefern. Daher
steht er der aktuellen Diskussion, inwieweit Deutsche während
des Zweiten Weltkrieges - Stichworte Bombenkrieg, Flucht und
Vertreibung - auch Opfer gewesen seien, überaus kritisch
gegenüber.
Die Lektüre beider einander ergänzenden Werke ist
überaus lohnenswert - auch und gerade weil sie an manchen
Stellen zum Widerspruch reizen. Allerdings mögen beide Autoren
dem Rezensenten nachsehen, wenn er Andreas Hillgrubers
großartige Gesamtdarstellung aus dem Jahre 1982 durch ihre
beiden aktuellen Arbeiten noch nicht für überholt
hält.
Rolf-Dieter Müller
Der letzte deutsche Krieg 1939 - 1945.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2005; 415 S., 24,50
Euro
Gerhard Schreiber
Kurze Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
Verlag C.H. Beck, München 2005; 221 S., 14,90
Euro
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