Karl-Otto Sattler
Neuer Streit um das Kopftuch
Baden-Württemberg plant generelles Verbot
in Kindergärten
In den Rathäusern von Stuttgart, Mannheim und Ulm muss man
sich neuerdings mit einem Konflikt herumschlagen, der vor Ort
keiner ist. In den Kindergärten der drei Städte
kümmern sich mehr als 100 moslemische Erzieherinnen mit
Kopftuch um den Nachwuchs - und Auseinandersetzungen hat dieses
religiöse Symbol noch nie provoziert. Nun plant die
CDU/FDP-Regierung, per Gesetz an kommunalen Kindergärten
zwischen Bodensee und Odenwald das Kopftuch zu untersagen. Das
Gesetz will Probleme regeln, die es nicht gibt", sagte Gabriele
Müller-Trimbusch, Sozialdezernentin der Landeshauptstadt,
während einer Anhörung der SPD-Landtagsfraktion. Ein
solches Gesetz werde Schwierigkeiten heraufbeschwören,
fürchtet die Rathaus-Politikerin. In Stuttgart, wo 30
moslemische Erzieherinnen bei der Arbeit die Kopfbedeckung tragen,
hat sich jedenfalls bislang die Praxis bewährt, das Personal
über Leitlinien auf die Beachtung verfassungskonformer
Erziehungsziele wie etwa der weltanschaulichen Neutralität zu
verpflichten.
Vor allem in größeren Städten will man von einem
allgemeinen Verbot des Kopftuchs an Betreuungseinrichtungen
für die Kleinsten nichts wissen. Ausgelöst hat diesen
Streit die Kleinstadt Ebersbach. Bürgermeister Edgar Wolff
möchte in der Gemeinde im Kreis Göppingen der
Kinderpflegerin Nuray Ariöz die Kopfbedeckung untersagen. Die
Deutsche türkischer Abstammung hatte zunächst mit offenem
Haar Dienst getan. Nach ihrer Elternzeit kam sie jedoch mit dem
Kopftuch zur Arbeit, für das sie sich zwischenzeitlich aus
religiösen Gründen entschieden hatte. Bürgermeister
Wolff meint indes, im Kindergarten drohe "der religiöse
Frieden in Gefahr zu geraten". Im Ebersbacher Rathaus beruft man
sich auf das baden-württembergische Schulgesetz mit seinem
Kopftuch-Verbot im Unterricht, was auch für städtische
Kindergärten zu gelten habe.
Nuray Ariöz, die es mittlerweile zwischen Neckar und
Oberrhein zu einer gewissen Popularität gebracht hat, will
allerdings ihr Haar weiterhin verhüllen. Nun zieht ein
Musterprozess mit ungewissem Ausgang herauf. Die Stadt Bergkamen
ist bereits mit der Kündigung einer moslemischen Erzieherin
vor Gericht gescheitert. Eine Entscheidung mit Tragweite: Bei
Kindergärten besteht anders als bei Schulen keine
Besuchspflicht. Und kann man kommunale Einrichtungen für
Kleinkinder mit Schulen gleichsetzen?
Per Gesetz wollen nun CDU und FDP das Problem aus der Welt
schaffen. Kultusminister Helmut Rau tüftelt bereits an einem
Entwurf, nach dem in kommunalen Kindergärten, die im
Südwesten 40 Prozent des gesamten Angebots ausmachen,
künftig moslemische Frauen ohne jede Ausnahme kein Kopftuch
mehr tragen dürfen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Stefan Mappus
fordert "schnellstmöglich eine rechtlich maximale
Lösung": Ein Entscheidungsrecht der Gemeinden im Einzelfall
müsse ausgeschlossen werden. Einzelfallregelungen, so
FDP-Fraktionschef Ulrich Noll, führten zu "Unsicherheiten und
Unfrieden". Immerhin räumt der Liberale ein, dass das geplante
Gesetz in die kommunale Selbstverwaltung eingreift.
Auf Widerstand stößt das Projekt von Union und FDP bei
den Grünen: Ein derartiges gesetzliches Kopftuchverbot sei
verfassungsrechtlich fragwürdig. "Die Regierung schießt
mit Kanonen auf Spatzen", moniert der Fraktionsvorsitzende Winfried
Kretschmann. Probleme vor Ort könnten die Verantwortlichen in
den Rathäusern besser lösen als ein Dekret des
Landes.
Die SPD macht sich für ein Verbot "mit Erlaubnisvorbehalt"
stark. Auf Antrag sollen die Kommunen, so der Fraktionsvorsitzende
Wolfgang Drexler, "unter engen Voraussetzungen" das Kopftuch
erlauben können. So müsse die weltanschauliche
Neutralität im Kindergarten gewährleistet sein.
Der baden-württembergische Städtetag lehnt eine
generelle Untersagung der islamischen Kopfbedeck-ung ab. Zwar solle
man jenen Gemeinden, die sich für einen solchen Schritt
entscheiden, Rechtssicherheit verschaffen. Allerdings dürfe
man angesichts der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten den
Trägern öffentlicher Kindergärten keinen Zwang
auferlegen, betont der kommunale Spitzenverband.
Deutliche Kritik am Vorhaben der CDU/FDP-Regierung übt der
Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der ein
Gesetz schlicht für überflüssig hält. Die
Entscheidungshoheit müsse den Rathäusern obliegen. Der
Unionspolitiker befürchtet, dass ein allgemeinverbindliches
Kopftuchverbot den Einsatz der Stadt Stuttgart für eine
gesellschaftliche Integration der Ausländer gefährden
werde. Moslems, warnt Schuster, könnten eigene Einrichtungen
zur Kinderbetreuung gründen.
Beim Hearing der SPD-Fraktion drückten auch mehrere
Vertreter islamischer Gemeinschaften solche Sorgen aus. Eine
generelle Untersagung der Haarbedeckung könne die Bereitschaft
zur Schaffung eigener Kindergärten verstärken. Solche
Verbote förderten vor allem bei konservativen Moslems die
Neigung, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen.
In Stuttgart plädiert Dezernentin Müller-Trimbusch
für die Fortführung der bisherigen Praxis: In der
Hauptstadt sind moslemische Vereinigungen bislang noch nicht auf
die Idee gekommen, in Eigenregie Kindergärten zu
betreiben.
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