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Florian Kain
Elternversagen nicht vorhersehbar
Jugendhilfepolitik in Hamburg
Nachdem in Hamburg mehrere Fälle von schwerer
Kindesvernachlässigung bekannt geworden sind, ist in der Stadt
eine scharfe Kontroverse über die Jugendhilfepolitik
ausgebrochen. Im Zentrum der Debatte steht Sozialsenatorin Birgit
Schnieber-Jastram (CDU), der Vertreter der Oppositionsparteien SPD
und Grün-Alternative Liste (GAL) in der Aktuellen Stunde der
Hamburgischen Bürgerschaft am 9. November vorwarfen, die
Probleme nicht mit der nötigen Konsequenz anzugehen und die
Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Tenor: Die
Senatorin wisse gar nicht, was sich in der Stadt für soziale
Dramen abspielten. So erklärte etwa die GAL-Abgeordnete
Christiane Blömeke: "Es gibt immer mehr Armut in Hamburg,
immer mehr Kinder sind krank und nicht richtig ernährt."
Tatsächlich waren Polizeibeamte vorwiegend in Hamburger
Problemstadtteilen im Laufe der vergangenen Wochen gleich in
mehreren Fällen - mitunter zufällig - auf Wohnungen
gestoßen, in denen Eltern ihre Kinder auf grausame Weise
verwahrlosen ließen. Für besonders große Aufregung
hatte zuvor die Entdeckung zweier verwahrloster Geschwister im
Alter von zwei und vier Jahren gesorgt, die bei einem
Polizeieinsatz in Wilhelmsburg zwischen Müll und Exkrementen
aufgefunden wurden.
In dem Streit, der nun ausgebrochen ist, geht es um die
persönliche Verantwortlichkeit der zuständigen Senatorin,
die inzwischen über eine Bundesratsinitiative zur
Veränderung des Sorgerechts nachdenkt. Denn wenn Eltern als
Erziehungsberechtigte versagen, scheitert der Staat mit seinen
Maßnahmen häufig am Sorgerecht, dass die Eltern dennoch
haben. Schnieber-Jastram steht auf dem Standpunkt, dass bereits
"viel getan" wurde und verweist auf den erfolgten Ausbau von
Kinderbetreuungsangeboten und einen "so gut wie niemals zuvor
ausgestatteten Sozialen Dienst" in den Bezirken. Grundsätzlich
könne die Behörde nur dort eingreifen, "wo wir auch
Hinweise bekommen". Nachbarn und Bekannte müssten wachsam sein
und sich an Polizeistellen oder das Jugendamt wenden, wenn sie den
Verdacht haben, dass Kinder in Not sind. Ab Januar soll
zusätzlich eine Telefon-Hotline existieren, bei der sich
besorgte Bürger melden können.
Proteste der Opposition
Für wütende Proteste und Gelächter sorgte die
Senatorin, als sie in der Bürgerschaftsdebatte an die
Verantwortlichkeit der jahrzehntelang in Hamburg regierenden SPD
erinnerte: "Wer hat denn die problematischen Stadtteile wie
Wilhelmsburg, Kirchdorf oder Mümmelmannsberg zu verantworten?
Die SPD soll nicht so tun, als ob sie damit nichts zu tun hat. Es
hat keine Familienpolitik vor unserem Amtsantritt gegeben!" Damit
versuchte Schnieber-Jastram, nach wochenlangem Dauerbeschuss durch
die Opposition in die Offensive zu gehen. Der SPD-Abgeordnete Dirk
Kienscherf konterte, die Senatorin habe bereits sieben Monate Zeit
gehabt, Konsequenzen aus dem schrecklichen, damals bundesweit
beachteten Fall der verhungert aufgefunden Jessica zu ziehen. Doch
nichts sei geschehen. Kienscherf hält unter anderem die
Einführung eines fallbezogenen Managements für
nötig, damit Problemfamilien nicht aus den Augen verloren
werden.
Schnieber-Jastram betont indes immer wieder, dass der Staat
Fehlverhalten von Eltern nicht vorhersagen kann. In den aktuell
bekannt gewordenen Fällen hätten sich aus den Akten keine
Hinweise über die Not der Kinder ergeben. Der CDU-Politiker
Egbert von Frankenberg appellierte deshalb an die Opposition, sich
in ihrer Kritik zu mäßigen: "Die Politik allein kann es
nicht schaffen."
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