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Helmut Merschmann
Seminararbeiten aus dem Internet
Ausschneiden, kopieren, einfügen:
Schüler und Studenten schreiben ihre Arbeiten oft nicht
allein
Die Zeit drängt, der Termin kommt immer näher, doch
man schiebt die Aufgabe so lange vor sich her, bis nichts mehr
geht. Vielen Schülern und Studenten ist diese Situation nur
allzu bekannt. Regelmäßig, wenn es um Haus- oder
Seminararbeiten geht, kehrt sie wieder. Zwischen Freunden, Hobbys
und guten Ausreden werden die Hausaufgaben vertagt. Bis der Tag der
Wahrheit kommt - und dann muss ein Wunder geschehen. Not macht
erfinderisch, und zum Glück gibt es im Internet Webseiten wie
hausarbeiten.de, wo sich zu fast jedem Thema etwas Passendes
findet. Ausschneiden, kopieren, einfügen - heißt die
Parole am Abend vor Abgabeschluss. Und siehe da: Ein soeben noch
weiß vor sich hinstarrendes Blatt Papier strotzt mit einem Mal
vor wohlklingenden Worten.
Mit einem guten Drittel beziffert der amerikanische Forscher Don
McCabe die Schummelversuche unter Studenten. In einer von ihm
geführten Umfrage unter 50.000 amerikanischen Studenten haben
gar 70 Prozent angegeben, andere beim Täuschen schon einmal
beobachtet zu haben. Die Informatikerin und Spezialistin für
Plagiate Deborah Weber-Wulff, Professorin an der Fachhochschule
für Technik und Wirtschaft (FHTW) in Berlin, hat einmal 34
studentische Hausarbeiten untersucht und dabei zwölf Plagiate
entdeckt. Ein Kollege von ihr fand 20 Plagiate unter 50
eingereichten Arbeiten. Als er den Studenten anbot, ihre nicht
selbstständig verfassten Werke zurückzuziehen, meldeten
sich 25, darunter zehn, deren Arbeiten der Dozent als Plagiate gar
nicht erkannt hatte.
So wenig repräsentativ die Stichproben sein mögen, so
sehr machen sie auf ein grassierendes Problem aufmerksam, dessen
Ausmaß man gerade an Universitäten nicht vermutet
hätte: den mangelnden Respekt vor den geistigen Leistungen
anderer Leute. Wissenschaftliches Arbeiten besteht nun einmal
darin, die Einflüsse auf die eigene Arbeit mittels Zitaten und
präziser Quellenangaben penibel aufzuzeigen. "Wir brauchen
eine Kultur, wo ganz klar gesagt wird, woher was stammt und welches
der eigene Anteil ist", fordert Weber-Wulff; "das ist eine Frage
des korrekten Umgangs". Alles andere wäre Betrug und ein
Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz. Darüber hinaus
schneidet man sich nur ins eigene Fleisch, wenn die grundlegenden
Arbeitstechniken nicht erlernt werden.
In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Da gelten
Täuschungsversuche als Kavaliersdelikt. Gespickt hat
schließlich jeder schon einmal. Und nicht erst seit dem
Internet sind Plagiate bekannt. Abgekupfert wird überall: In
der Musik nennt man das Coverversion oder Sampling, in der
Konsumwelt spricht man von Produktpiraterie, in der Literatur haben
sich Bestsellerautoren wie Dan Brown wiederholt
Plagiatsvorwürfen ausgesetzt gesehen. Selbst Bertolt Brecht
musste sich vom Literaturkritiker Alfred Kerr vorhalten lassen,
sich bei der "Dreigroschenoper" doch ziemlich dreist beim
französischen Dichter François Villon bedient zu
haben.
Doch noch nie war die Schummelei so einfach wie in Zeiten von
Internet und elektronischer Recherche. Schnipp-schnapp, "copy &
paste" - ganze Passagen, wenn nicht gleich komplette Texte wandern
im Nu ins eigene Werk. Tröstlich allein ist, dass Plagiate
genauso schnell, wie sie entstehen, aufgedeckt werden können.
Dozenten haben sich längst angewöhnt, stichprobenartig
Textpassagen in Suchmaschinen einzugeben. Sie landen dann allzu oft
auf einer Webseite, deren Inhalt eins zu eins übernommen
worden ist.
Die meisten Plagiate fallen dadurch auf, dass sie sich von den
gewohnten Leistungen der Betroffenen deutlich abheben, deren Niveau
übersteigen. Viele Fremdwörter, korrekte Konjunktive und
Gedankengänge, die bis in den letzten Winkel der
Nebensätze überzeugen, machen Lehrer und Dozenten
stutzig. Besonders häufig fallen Stilbrüche auf. Wenn
nach seitenlangem Holpern durch die deutsche Grammatik
plötzlich flüssige und elegant formulierte Passagen
folgen, ist dies meist ein Indiz für falsches Spiel.
Orthografische Fehler führen, gibt man sie in eine
Suchmaschine ein, oft zu den Originaltexten zurück. "Wer schon
so faul ist, eine Arbeit zu übernehmen, ist oft auch zu faul,
um eine Rechtschreibkorrektur vorzunehmen", sagt Weber-Wulff.
Inzwischen regt sich Widerstand an den Universitäten. Die
Hochschulrektorenkonferenz hat von den Unis gefordert, eine
gemeinsame Strategie zu entwickeln, wie mit studentischem
Fehlverhalten umzugehen ist. In einigen Prüfungsordnungen
wurden bereits Sanktionen verankert und es wird vor allem auch
zunehmend versucht, diese in Tat umzusetzen. An der Berliner FHTW
führt ein Täuschungsversuch zur Note "mangelhaft". An der
Otto-Guericke-Universität in Magdeburg wird der Kandidat bei
fortgesetztem Betrug von der Prüfung ausgeschlossen. Das
kulturwissenschaftliche Institut der Viadrina-Universität in
Frankfurt an der Oder exmatrikuliert den Prüfling bereits nach
zwei Plagiatversuchen. Drakonische Strafen - hart, aber
gerecht?
Zumindest müssen die Unis sich die Frage gefallen lassen,
wie sie ihren Studenten den korrekten Umgang mit Quellen beibringen
wollen. In manchen geisteswissenschaftlichen Fächern ist ein
so genanntes Propädeutikum, eine Einführung ins
wissenschaftliche Arbeiten, im ersten Semester eine
Pflichtübung. Bei den Natur- und Technikwissenschaften sieht
es anders aus. Dort existieren Diplomandenseminare oft erst kurz
vor Abschluss - also reichlich spät. Notwendig wären
flächendeckende Propädeutika, gerade auch angesichts der
zunehmenden einseitigen Recherche im Internet statt in
Bibliotheken. Dafür aber haben weder Hochschulen noch
Ministerien Mittel übrig. Aus Sicht der Unis sind ohnehin die
Schulen zuständig. "Eigentlich erwerben die Leute bereits an
den weiterführenden Schulen mit der
Hochschulzugangsberechtigung, die Qualifikation für den Umgang
mit fremden Texten", sagt Wulff-Weber.
An Schulen aber, das ist nur allzu bekannt, beginnt auch die
Schummelei. Sowohl Lehrern als auch den Schulbehörden ist das
Phänomen bewusst. "Je jünger die Schüler sind, desto
eher wird das Mogeln mal versucht", sagt Jens Stiller, Sprecher der
Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport, "aber
desto schneller kommt man ihnen auch auf die Schliche". Über
das Ausmaß von Plagiatversuchen an Schulen liegen keine Zahlen
vor, und von Restriktionen will man noch absehen. "Wir wollen
pädagogisch wirken", sagt Stiller mit dem Hinweis darauf, dass
erst in jüngs-ter Zeit ein "Umgang mit fremden Texten" ins
Curriculum von Fächern wie Deutsch, Geschichte und Politik
Einzug gehalten hat. Von einer allgemeinen schülerischen
Kompetenz auf diesem Gebiet kann wohl noch keine Rede sein. Den
schwarzen Peter schieben sich Schulen und Unis gegenseitig zu.
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