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Johanna Metz
Diplomatie im Alleingang
Damals ...vor 15 Jahren am 15. November: Willy
Brandt spricht im Bundestag über seine umstrittene Reise in
den Irak
Als sich der Bundestag am 15. November 1990 zu einer
Sondersitzung zur Irak-Frage einfand, hatte sich die Krise am Golf
bereits zugespitzt: Nachdem im Juli irakische Truppen an der Grenze
zu Kuwait aufmarschiert waren, hatte der Irak am 2. August das
Nachbarland besetzt und es am 8. August schließlich annektiert
- ungeachtet der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, die
wiederholt den sofortigen Abzug der Streitkräfte aus dem
Emirat forderten. Die USA und die Arabische Liga sandten daraufhin
Truppen nach Saudi-Arabien. Ein Krieg rückte immer
näher.
Als "Verhandlungsmasse" hielt der irakische Diktator Saddam
Hussein damals tausende westliche Geiseln in Kuwait fest. Viele von
ihnen, vor allem Briten und Amerikaner, mussten als "lebende
Schutzschilde" in Hotels ausharren - sie sollten die US-Truppen von
den zu erwartenden Angriffen abhalten.
Es war Alt-Bundeskanzler Willy Brandt, der in dieser
angespannten Situation einen Alleingang wagte: In seiner Funktion
als Präsident der Sozialistischen Internationale (SI) reiste
er am 8. November 1990 auf Einladung Saddam Husseins nach Bagdad.
Seine Zusage, sich mit dem Dikator zu einem Gedankenaustausch
über die Golfkrise zu treffen, verband er mit der Forderung,
die ausländischen Geiseln freizulassen. Und tatsächlich:
Brandt erreichte, dass immerhin rund 200 Geiseln, 138 von ihnen
Deutsche, das Land verlassen konnten.
Ein Erfolg, für den er nach seiner Rückkehr nicht nur
gelobt wurde: Zwar dankten ihm durchweg alle Fraktionen im
Bundestag für seinen persönlichen Einsatz, doch besser
hätten es die Parlamentarier gefunden, Brandt wäre nicht
auf eigene Faust in den Irak gefahren. "Wir hätten es lieber
gesehen", betonte Michaela Geiger, Obfrau der CDU/CSU im
Auswärtigen Ausschuss, "wenn diese Reise in eine EG- oder
UN-Mission eingebunden worden wäre." So sei leider die Chance
vertan worden, "die Solidarität der EG-Staaten
aufrechtzuerhalten und - darüber hinaus - die Ausreise aller
Geiseln zu erreichen".
Brandt wehrte sich gegen diesen Vorwurf. Er brauche, konterte
er, "in Fragen internationaler Solidarität keinen
Nachhilfeunterricht". Für ihn gelte immer noch der Satz, dass
"humanitäre Bemühungen und gemeinsame Verantwortung im
Sinne der Beschlüsse der Vereinten Nationen einander nicht
ausschließen". "Wer weiß", sagte Brandt weiter, "dass die
Golfregion, dass der mittlere Osten insgesamt, ein Pulverfass ist,
müsste alles Erdenkliche unternehmen, um eine Entfesselung der
militärischen Zerstörungspotentiale zu vermeiden."
Das sah Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) genauso:
Er sprang im Namen der Bundesregierung für den
Alt-Bundeskanzler in die Bresche und dankte ihm ausdrücklich
für seinen Einsatz. Die Frage der Einheit sei, so Genscher zu
den Vorwürfen Geigers, "wahrlich keine Entschuldigung für
Untätigkeit, schon gar nicht im humanitären Bereich".
Wenn es darum gehe, Menschen zu retten, spreche man mit denen, "die
zu Recht oder zu Unrecht Verfügungsgewalt über das
Schicksal dieser Menschen haben; das ist die Führung im
Irak".
Doch trotz des Streits um Brandts Irak-Reise waren sich die
Parteien einig über die Frage, wie sich Deutschland im
Irak-Konflikt künftig verhalten sollte: In den
Entschließungsanträgen der Fraktionen sprachen sie sich
grundsätzlich für eine friedliche Lösung der Krise
aus. So schlug die SPD vor, gemeinsam mit der Arabischen Liga, der
Konferenz der Islamischen Staaten sowie mit Hilfe internationaler
Konferenzen "den Weg zu einer gerechteren Friedensordnung" zu
bereiten. Bündnis 90/ Die Grünen forderten,
verstärkt auf die USA einzuwirken, um eine militärische
Intervention zu verhindern.
Brandt verwies zudem auf die Möglichkeit, die Erfahrungen
der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa"
(KSZE) in den mittleren Osten einzubringen - wenngleich man diese
"nicht einfach oder schematisch" übertragen könne. Die
irakische Führung habe dennoch, so Brandt, "einiges Interesse"
an dieser Thematik gezeigt.
Der Alt-Kanzler und Ehrenvorsitzende der SPD hegte an diesem 15.
November 1990 vor allem eine Hoffnung: dass sich angesichts der
realen Kriegsgefahr die Staaten in der krisengeschüttelten
Region eher zu Kompromissen bewegen ließen und sich
aufeinanderzubewegten. Doch schon zwei Monate später versagte
jede Diplomatie. Nach Ablauf aller UN-Ultimaten begannen die
Allierten am 17. Januar 1991 irakische Ziele zu bombardieren - die
Operation "Desert Storm" lief an.
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