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Barbara von der Lühe
Die Sicht auf die selben Dinge ist anders und
bleibt fremd
Die deutsche Avantgarde entdeckt die Kunst aus
China
"Kunst aus China boomt - es ist jetzt
"fashionable", zeitgenössische chinesische Künstler in
seiner Sammlung zu haben", sagt der führende Berliner Galerist
Alexander Ochs. Seit über einem Jahrzehnt setzt er sich
für den Kulturtransfer zwischen China und Deutschland ein, hat
Höhen und Tiefen erlebt. Vor kurzem hat er auf dem Berliner
ART Forum ein Gemälde und mehrere brandneue Skulpturen des in
Peking lebenden Malers und Bildhauers Fang Lijun - eines der
Shooting-Stars der internationalen Kunstszene - verkauft. In den
Räumen der Galerie Ochs in Berlin-Mitte, einem der
"Brennpunkte" chinesisch-deutschen Kulturaustauschs auf
künstlerischem Gebiet, findet man Werke chinesischer und
südkoreanischer Künstler, die in Material und Stil
unterschiedlicher kaum sein können: Skulpturen,
Ölgemälde, Klang-Installationen, 3D-Computergrafiken und
Fotografien - ein Mikrokosmos der künstlerischen Avantgarde
Asiens. Aber auch ein schwarz-weißes Mao-Porträt von
Gerhard Richter (1968) zählt zu den Exponaten - ein Hinweis
auf die Rezeption Chinas im Westen.
Als Alexander Ochs zusammen mit Jaana
Prüss 1997 seine Galerie ein paar Häuser weiter in der
Sophienstraße eröffnete, bewies er ebenso Mut wie
Voraussicht. Zeitgenössische Kunst aus Asien galt als
"exotisch". Tatsächlich blickt die chinesische
künstlerische Avantgarde auf eine vergleichbar kurze
Geschichte zurück. 1979 gilt als das Entstehungsjahr: Drei
Jahre nach dem Tod Mao Tse Tungs und dem Ende der Kulturrevolution
regten sich in verschiedenen Orten Chinas Künstler, die Werke
jenseits des offiziellen Mainstreams schufen. In Peking trat die
Künstlergruppe "Sterne" mit zwei Ausstellungen von Öl-
und Tuschbildern, Holzschnitten und Holzschnitzerei in Erscheinung.
1980 wurde die "Star Painting Society" offiziell
gegründet.
Einer der Begründer ist Zhu Jinshi (der
Nachname steht vor dem Vornamen). Er kam Mitte der 80er-Jahre mit
seiner Frau, der Künstlerin Qin Yufen, nach Deutschland. Als
Sohn nordchinesischer Eltern wurde er 1954 in Peking geboren und
zählt zur Generation jener Künstler, deren Ausbildung
autodidaktisch verlief, noch bevor das akademische Studium in China
wieder möglich wurde. Zhu arbeitet vor allem mit Reispapier,
Bambus und Tusche, diese Materialien arrangiert er zu
raumbezogenen, architektonisch-skulpturhaften Gebilden. "Wenn ich
meine Installationen mit Reispapier mache, dann ist dies ein Bruch
mit der Tradition der alten Intellektuellen-Kultur in China, denn
traditionell benutzt man Reispapier nur für Tuschmalerei und
Kalligraphie", erklärt Zhu: "Unsere künstlerische
Entwicklung kommt aus dem Zen-Buddhismus, der eine Protestbewegung
gegen den traditionellen Buddhismus ist. Vergleichbar mit DaDa oder
Fluxus als Protest gegen die traditionelle oder klassische
Kunstauffassung."
Das Künstlerehepaar Qin Yufen und Zhu
Jinshi pendelt seit vielen Jahren zwischen Deutschland und China.
In Berlin wohnen sie nahe der Neuen Nationalgalerie, quasi im
Dialog mit den deutschen und europäischen Künstlern, die
sie besonders schätzen: "Die Brücke, der Blaue Reiter
oder Emil Nolde, das ist unser Lieblingsmaler, davon hatten wir
schon in China viele Kataloge gesehen." Zeitgenössische
westliche Kunst drang damals kaum bis nach China durch: "Beuys, das
war für uns damals ganz neu, davon waren wir sehr geschockt.
Neu waren Installationen, Video-Arbeiten. DaDa war in China schon
bekannt, die moderne Kunst seit den 60er-Jahren aber nicht -
Minimum Art, Pop Art, oder Fluxus, Konzeptkunst."
Auch Qin Yufen zählt zu den
Avantgarde-Künstlern der ersten Stunde. 1954 in Qingdao
geboren, kam sie schon als Kind mit ihren Eltern nach Peking.
Mehrere Jahre arbeitete sie dort in einer Kesselfabrik, als
Autodidaktin fand sie zu ihrer künstlerischen Berufung. Anfang
der 80er-Jahre gründete sie mit etwa zehn Künstlern und
Künstlerinnen die Gruppe "Abstrakte Malerei". Als Robert
Rauschenberg 1985/86 sein ROCI (Rauschenberg's Overseas Culture
Interchange)-Projekt in Peking zeigte, veranstaltete er mit der
Künstlergruppe ein Seminar und eine Ausstellung. 1986 stellte
Qin Yufen auf Einladung des Heidelberger Kunstvereins ihre Werke
erstmals in Deutschland aus, im selben Jahr ließ sie sich mit
ihrem Mann in Berlin nieder. Seit dieser Zeit befasst sie sich mit
Installationen. Ab 1990 wurde der Klang zu einem wichtigen
Bestandteil, etwa Alltagsgeräusche und von der Künstlerin
selbst rezitierte chinesische Gedichte aus der Song-Zeit, die
elektronisch verfremdet werden, aber auch Musik aus Pekingopern und
Opern Richard Wagners.
Sie ist die wohl bekannteste chinesische
Künstlerin in Deutschland, ihre Arbeiten werden in Peking und
in New York, in der Schweiz, Spanien und Italien ausgestellt und
befinden sich unter anderem in den Sammlungen der Deutschen Bank
Collection in Frankfurt, des Hamburger Bahnhofs in Berlin und der
Weltbank in Washington. Gern arbeitet die Tochter einer Schneiderin
mit alltäglichen Gegenständen aus Ost und West, mit
Reispapier, Strohhüten, Seide und Wäsche. Ihre Vorliebe
gilt Wäscheständern, die sie weltweit in
unterschiedlichsten Landschaften und Räumen inszeniert, etwa
im Frühjahr 2005 vor dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin:
"Die Wäscheständer", erläutert die zierliche Frau,
"kannte ich in China nicht. Sie sind für mich wie die
chinesische Zither. Auch dies ist ein langer Dialog, der im Westen
begonnen hat."
Im Rahmen von "Asia: The Place to Be?" in der
Galerie Ochs zeigt sie ihre Installation "Legends in Black and
Red": Unter der Decke des Raums schweben rote und schwarze
Mao-Jacken über weißen Seiden-Gewändern, eine
Anspielung auf die tiefen Gräben zwischen den Anhängern
der ,roten' Ideen Maos und den ehemals Bürgerlichen, die
während der Kulturrevolution verfolgt wurden. Die Kleider
sprechen miteinander, rezitieren Texte. Die Installation ist Teil
einer größeren Werkgruppe mit Textilien, die sich mit dem
historischen und gesellschaftlichen Wandel in China
beschäftigt. Gefragt nach den chinesischen und den westlichen
Einflüssen in ihrem Werk antworten Qin Yufen und Zhu Jinshi,
dass die Kunst letztlich durch die Globalisierung gemischt sei, die
Einflüsse könne man kaum trennen.
Für ihren Künstlerkollegen Yang
Shaobin steht seine Lebenserfahrung in China im Mittelpunkt: Yang,
Jahrgang 1963, zählt zur Generation chinesischer
Künstler, die bereits eine akademische Ausbildung an
chinesischen Kunsthochschulen abschloss. Er stammt aus Tangshan in
der Provinz Hebei, schloss sein Studium am Polytechnikum der
Universität Hebei ab und lebt heute in Peking. Der
frühere Polizist stellte seine Werke im Westen erstmals 1993
in der Ausstellung "China Avantgarde" aus, auch auf der Biennale in
Venedig 1999 war er vertreten. Im Juni kam er nach Berlin, um seine
neuesten Werke mit Titel "Vibrations" zu präsentieren.
Gegenwärtig ist in der Berliner Sophienstraße seine
Arbeit "Vibration 1" (Öl auf Leinwand, 2005) zu sehen, in der
er sich mit dem Japanisch-Chinesischen Krieg der 30er- und
40er-Jahre auseinandersetzt. In kaltem Blau des Himmels fliegen
japanische Bomber einen Angriff. Die Bezüge zu Gerhard
Richters Mustang-Staffel (1964), die den Tieffliegereinsatz
über Dresden im Zweiten Weltkrieg ins visuelle Gedächtnis
ruft, sind absichtlich. Allerdings fliegen die Flugzeuge der beiden
in entgegengesetzte Richtungen. Die Decodierung von Yangs Bild
verläuft kulturell verschieden: Ein Chinese assoziiert die
Zusammenhänge mit der chinesischen Geschichte, andere
Betrachter denken an den Zweiten Weltkrieg - aus dem Bild
mögen aber auch aber neue Zusammenhänge mit Afghanistan
oder dem Irak entstehen. Es bleibt die Wut, die Yang Shaobin nach
eigenen Worten treibt. Yangs Kriegsbilder verkauften sich
übrigens gut - aus seiner Ausstellung waren nach drei Tagen
schon fünf verkauft.
Letztlich kann die Frage nach den westlichen
Einflüssen der heutigen Künstlergeneration also nicht
eindeutig beantwortet werden. Denn nach einer ersten Phase der
intensiven Rezeption und Reaktion auf westliche Kunst in China in
den 80er-Jahren hat sich in China eine Kunstszene mit einer sehr
differenzierten Ausdrucksweise entwickelt, die ihre eigenen Wege
sucht: In ihrem Werk erkunden die Künstler Politik und
Reformen, Geschichte und Kultur, private und kollektive
Lebensformen, Reaktionen auf westliche Einflüsse, die
Bedeutung östlicher und westlicher Lebensweise, den Gegensatz
von Reichtum und Armut.
Im Vordergrund steht bei den meisten die
Frage nach der kulturellen Identität. Auch die westliche
Rezeption chinesischer Kunst wandelte sich in den letzten 20
Jahren: Bernard Fibicher spricht von vier Topoi: Der chinesische
Künstler als Dissident, sowie der chinesische Künstler
als Exot, und, seit Mitte der 90er-Jahre, der nicht mehr
chinesische, sondern globale Künstler, und seit Beginn des
neuen Jahrtausends, der chinesische Künstler als "Bedrohung",
der mit seiner Produktion die Kunstszene im Westen provoziert. Hier
mischen sich alte und neue Vorurteile gegenüber China.
Alexander Ochs warnt denn auch vor voreiligen Festlegungen, in
denen sich nur westliche Sichtweise spiegelten.
Ein Schaufenster westlicher und chinesischer
zeitgenössischer Kunst eröffnete Alexander Ochs 2004 mit
seiner Galerie "White Space Beijing" im neu entstandenen
Kunstquartier 798 im nordöstlichen Pekinger Stadtteil
Dashanzi. Auf dem Gelände einer mit Hilfe der Sowjetunion und
der DDR in den 50er-Jahren erbauten ehemaligen Fabrik haben sich
Galerien, eine Kunstbuchhandlung, Designerbüros, Bars und
Restaurants angesiedelt. Das Viertel ist "in", häufig lassen
sich dort prominente Gäste aus dem Ausland sehen. Auch der
scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder bestand während
seines Staatsbesuchs im Dezember 2004 darauf, Dashanzi und die
Galerie White Space zu besuchen. Bis jetzt konzentriert sich das
Interesse an chinesischer Avantgarde-Kunst auf Sammler aus
westlichen Ländern: Im ersten Jahr liefen die Verkäufe in
Peking noch nicht so gut, erzählt Alexander Ochs, denn die
chinesischen Käufer hielten sich zunächst zurück.
Aber er ist dennoch optimistisch: Das zunehmende Interesse an
zeitgenössischer chinesischer Kunst in China auch von
offizieller Seite, die Beteiligung chinesischer Künstler an
den Biennalen in Venedig und in anderen Städten, die
"Mahjong"-Ausstellung über chinesische Gegenwartskunst in Bern
zeigen - die chinesische Avantgarde führt längst kein
Nischen-Dasein mehr.
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