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Alexander Weinlein
Gewöhnung an Ungewöhnliches
Der Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr geht in
das fünfte Jahr
Werner Hoyer hat einen frommen Wunsch:
"Niemals", so forderte der FDP-Abgeordnete am 8. November unter dem
Applaus aus allen Bundestagsfraktionen, dürfe die Entscheidung
über Militäreinsätze "zur Routine werden". Es sei
doch "bemerkenswert", dass sowohl die letzte Entscheidung des 15.
Deutschen Bundestages und die erste Entscheidung des neuen
Bundestages eben solche Einsätze betroffen habe - erst das
ISAF-Mandat in Afghanistan und nun die Operation "Enduring
Freedom". Doch wie routiniert Deutschland seine Soldaten in diese
Einsätze schickt, zeigte einen Blick in die Zeitungen am
nächsten Morgen. Die Mandatsverlängerung schaffte es
selbst bei überregionalen Blättern kaum noch auf die
Titelseite, wurde irgendwo auf Seite vier oder Seite fünf als
Kurzmeldung abgehandelt. Vor vier Jahren am 16. November hatte
Bundeskanzler Gerhard Schröder noch die Vertrauensfrage
stellen müssen, um eine eigene Regierungsmehrheit für den
Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr zu erzwingen.
Immerhin stellt die Beteiligung an der
Operation "Enduring Freedom" im Unterschied zu den anderen
Missionen den einzigen Kampfauftrag für die Bundeswehr dar:
"Diese Operation hat zum Ziel, Führungs- und
Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen
zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen
sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer
Aktivitäten abzuhalten. Deutsche bewaffnete Streitkräfte
tragen dazu mit ihren Fähigkeiten bei." Diese Passage aus dem
Antrag der Bundesregierung (Drucksache 14/7296), den der Bundestag
am 16. November 2001 annahm, gilt nach der Verlängerung des
Mandates durch das Parlament (16/26) am 8. November weiterhin. Der
ausdrückliche Kampfauftrag bezog sich von Anfang an vor allem
auf die circa 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK)
der Bundeswehr. Diese Eliteeinheit der Bundeswehr operierte in den
vergangenen vier Jahren in Afghanistan und kann auch in den
kommenden zwölf Monaten jederzeit wieder zum Einsatz
kommen.
Während die Verwendung aller anderen an
"Enduring Freedom" beteiligten Bundeswehrsoldaten relativ genau
definiert ist, unterliegen die Operationen der KSK strenger
Geheimhaltung - aus naheliegenden Gründen. Selbst die
Ehefrauen der betroffenen Soldaten dürfen nichts über
deren Einsatzgebiete und Missionsziele erfahren. Dies ist
einerseits nötig, um den Erfolg der KSK-Operationen nicht
auf's Spiel zu setzen, anderseits aber auch, um die Soldatenfrauen
selbst zu schützen.
Die strikte und notwendige Geheimhaltung von
KSK-Einsätzen führt jedoch immer wieder zu Problemen, da
sie immerhin die Kontrollfunktion des Deutschen Bundestages
über die Bundeswehr betrifft. So wehrte sich der
Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer (Die Linke) gegen den
Vorwurf des Abgeordneten Rainer Arnold (SPD), er habe Informationen
aus einer vertraulichen Unterrichtung durch
Bundesverteidigungsminister Peter Struck an die Presse gegeben. So
war in der Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 8.
November zu lesen, die KSK befände sich auf der Rückkehr
aus einem Einsatz. Schäfer hielt diesem Vorwurf entgegen, dass
sein Gespräch mit den Journalisten bereits zwei Stunden vor
der Unterrichtung durch den Verteidigungsminister stattgefunden
habe und er deshalb keine Informationen habe weitergeben
können. In einer Presseerklärung schob der Abgeordnete
der Linkspartei nach: "Die Information, ob sich KSK-Einheiten in
Afghanistan befinden oder nicht", falle nicht unter die
Geimhaltung. Und weiter: "Es wäre absurd, wenn das Parlament
den Einsatz dieses Kommandos beschließt, aber nichts
darüber erführe, ob dieser Einsatz überhaupt
stattfände." Doch dieser Interpretation wollte sich der
SPD-Abgeordnete Arnold nicht anschließen: "Können Sie
wirklich verant- worten," fragte er Schäfer in der Debatte,
"dass die Journalisten mit ihren Kameras auf dem Flughafen
Köln/Bonn warten, bis die Soldaten der
Kommandospezialkräfte, von deren Rückführung sie
wissen, dort tatsächlich landen, und das übermorgen im
,Stern' steht? Das ist hochgradig gefährlich und
unverantwortlich." Er erhielt dafür aus allen Fraktionen -
außer der Linken - zustimmenden Applaus.
Grund für Kritik und Verstimmung unter
Parlamentariern liefert auch der von der Bundesregierung beantragte
personelle Umfang des "Enduring Freedom"-Mandates und die
möglichen Einsatzgebiete. Demnach kann die Bundeswehr in den
kommenden zwölf Monaten bis zu 2.800 Soldaten einsetzen. Zwar
wurde diese Zahl im Vergleich zum Vorjahr bereits um 300 Soldaten
verringert, aber selbst die angegebene Mandatsobergrenze wird von
der Bundeswehr derzeit nicht ausgereizt. Tatsächlich operieren
im Rahmen von "Enduring Freedom" am Horn von Afrika derzeit die
Fregatte "Lübeck" und 250 Soldaten. Zudem erklärt sich
die Reduzierung der Mandatsobergrenze zum überwiegenden Teil
dadurch, dass die Seeraumüberwachungsflugzeuge vom Typ
"Breguet Atlantique" aus Altersgründen nicht mehr zum Einsatz
kommen können, und das neue System "P3 Orion" der Bundeswehr
frühestens im Jahr 2007 zur Verfügung stehen
wird.
Die beiden FDP-Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger und Jürgen Koppelin verweigerten
aus diesem Grund dem Antrag der Bundesregierung die Zustimmung,
obwohl sie die militärische Bekämpfung des Terrorismus
prinzipiell unterstützen. In einer persönlichen
Erklärung nach Paragraf 31 der Geschäftsordnung der
Bundesregierung begründeten die Liberalen ihre Position so:
"Der vorgelegte Antrag ist kein ,ehrlicher Antrag', denn für
das erforderliche Mandat würden maximal 900 Soldaten
ausreichen." Zudem bemängeln Leutheusser-Schnarrenberger und
Koppelin, dass der Regierungsantrag zu unkonkret sei: "Bei der
Verlängerung des Mandates handelt es sich um eine Entscheidung
für die allgemeine, nicht sehr konkrete Vorhaltung und
Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten in verschiedenen Regionen der
Welt - einem riesigen potenziellen Einsatzgebiet -, aber nicht um
die Entscheidung für einen konkreten Einsatz. Der
Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages kann unserer
Auffassung nach nur wirkungsvoll wahgenommen werden, wenn der
Bundestag über genau bestimmte Einsätze entscheidet, aber
nicht der Bundesregierung erneut einen Blankoscheck
erteilt."
In der Tat darf die Bundeswehr
gemäß des erteilten Mandates in einem sehr
weiträumigen Gebiet operieren. Es umfasst die arabische
Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und den nordöstlichen Teil
Afrikas sowie die angrenzenden Seegebiete. Allerdings unterliegt
diese Regelung einer entscheidenden Auflage. Deutsche Soldaten
dürfen nur in den Gebieten jener Staaten - mit Ausnahme von
Afghanistan - aktiv werden, deren Regierungen dies auch
ausdrücklich genehmigen. Alles andere würde auch eine
Verletzung des Völkerrechts darstellen.
Doch diese Einschränkung stellt die
Bundeswehr und ihre Verbündeten auch vor Probleme. Die
Einheiten der Bundesmarine, die am Horn von Afrika zusammen mit den
Koalitionskräften aus den USA, Frankreich, Italien,
Großbritannien und Pakistan (Task Force 150) den Seeverkehr
kontrollieren und den Transport von Waffen, Munition oder Drogen im
Auftrag von Terrororganisationen wie Al Qaida unterbinden sollen,
dürfen eben auch nicht in die Hoheitsgewässer der
Anrainer-Staaten ihres Einsatzgebietes eindringen: Dieses umfasst
das Rote Meer mit der Meerenge Bab el Mandeb, den Golf von Aden,
die Arabische See und den Golf von Oman bis zur Straße von
Hormus - ein Gebiet, in das die Fläche Deutschlands acht mal
passen würde. Experten gehen jedoch davon aus, dass der
Schmuggel von Waffen für Terroristen eben genau in jenen
küstennahen Bereichen der angrenzenden Staaten über die
Bühne gehen könnte, in denen die Bundesmarine nicht aktiv
werden darf - und dies auch nicht tut, wie von Seiten des
Verteidigungsministeriums ausdrücklich betont wird. Selbst im
Falle von Somalia, einem völlig zerrütteten Staat,
würde man die Hoheitsrechte achten.
Seit Beginn der Militäroperation
"Enduring Freedom" am Horn von Afrika im Februar 2002 hat die
Bundesmarine, die von Dschibuti aus operiert, circa 11.000 Schiffe
überprüft. Überprüft heißt, dass die
Schiffe über Funk ihren Namen, ihren Zielhafen, den zuletzt
angelaufen Hafen und vor allem ihre Ladung angeben müssen. Die
Daten werden an das amerikanische Einsatzkommado in Bahrain
übermittelt und dort überprüft. In
Verdachtsfällen werden die Schiffe von so genannten
Boarding-Teams, kleinen bewaffneten Kommando-Trupps durchsucht.
Dazu ist es allerdings von Seiten der deutschen Kriegsschiffe nach
Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam
erst 50 mal gekommen. Die Bundesmarine hat auch das Recht, die
Schiffe unter Androhung von Waffengewalt in einen Hafen zur
dortigen Untersuchung umzuleiten - vor allem dann, wenn Waffen,
Munition, Drogen oder Tatverdächtige an Bord gefunden
werden.
Wenn auch kein Kampfeinsatz im eigentlichen
Sinne, so ist die Operation in diesen Gewässern nicht ohne
Gefahr für die Soldaten. Immer wieder wird auf den
eingesetzten Fregatten der Marine der Ernstfall geprobt: Ein mit
Sprengstoff beladenes Schnellboot könnte jederzeit versuchen,
die Kriegsschiffe in der Manier von Selbstmordattentätern zu
rammen. Dieses Schicksal erlitt im Oktober 2000 der
US-Zerstörer "Cole" im Jemen.
Wie erfolgreich die Seeüberwachung von
"Enduring Freedom" ist, darüber kann man letztlich nur
spekulieren. Der Einsatz hat vor allem "abschreckenden Charakter",
so wie "die Polizei in Deutschland Streife durch die Straßen
fährt", wie es ein Sprecher des Einsatzführungskommandos
anschaulich beschreibt. Gern verweist man bei der Bundesmarine
darauf, dass durch die ständige Präsenz des
multinationalen Flottenverbandes die in diesen Gewässern weit
verbreitete Piraterie "deutlich zurückgegangen" sei - immerhin
ein wünschenswerter Nebeneffekt des Einsatzes. Doch diese
Aussage ist mit einem dicken Fragezeichen zu versehen - zumindest
in den Gewässern vor Somalia. Dort beschossen vor wenigen
Tagen Piraten das Luxus-Kreuzfahrtschiff "Seaborn Spirit" - das
Schiff entkam nur knapp. Kurz zuvor waren zwei Schiffe mit
Hilfsgütern von Piraten aufgebracht worden. "Diese
Gewässer sind zu einem Tummelplatz für Seeräuber
geworden", warnte in der vergangenen Woche das Internationale
Schifffahrtsbüro (IMB) in Kuala Lumpur. Vor der somalischen
Küste ist es nach Angaben des IMB im vergangenen halben Jahr
zu mindestens 25 Attacken von Piraten auf Schiffe
gekommen.
Eine der entscheidensten Fragen, die im
Zusammenhang mit der Operation "Endurin Freedom" im Raum steht, ist
jene nach ihrem möglichen Ende. Nimmt man ihren Auftrag - die
Bekämpfung des internationalen Terrors - ernst, so ist ein
Ende, vor allem ein erfolgreiches, derzeit nicht abzusehen. Zu
hoffen bleibt nur, dass die Gewöhnung in der deutschen
Öffentlichkeit an diesen wohl ungewöhnlichsten
Auslandseinsatz der Bundeswehr nicht wirklich in Routine
umschlägt.
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