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aw/dpa
Einmal mehr richten sich die Blicke nach
Karlsruhe
Der Einsatz der Bundeswehr im Inland und das
Luftsicherheitsgesetz bleiben umstritten
Das Dementi kam prombt: Kaum hatte der de-signierte
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am 8. November
im Inforadio rbb verkündet, man sei sich in den
Koalitionsverhandlungen weitgehend einig gewesen, die Bundeswehr
zukünftig auch im Inland zur Terrorismusbekämpfung
einzusetzen, da wurde von Seiten der SPD auch schon widersprochen.
"Die Bundeswehr soll auch künftig nichts anderes tun, als sie
bisher schon tut", forderte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer
Arnold in der "Berliner Zeitung" einen Tag später. In den
Vereinbarungen mit der Union "steht in keiner Zeile, dass die
Bundeswehr neue Aufgaben bekommen soll". Die SPD sei aber bereit,
den Artikel 35 des Grundgesetzes so anzupassen, dass "Soldaten ihre
Arbeit immer in Rechtssicherheit tun können". Dabei dürfe
jedoch die Grundvoraussetzung nicht verändert werden, wonach
die Bundeswehr im Katastrophenfall im Inland nur Amtshilfe leisten
dürfe.
ABC-Abwehr und Luftsicherheit
Auch Otto Schily (SPD) warnte die zukünftige
Bundesregierung vor einem Einsatz der Streitkräfte: "Innerhalb
von Deutschland führen wir keinen Krieg gegen Terroristen",
sagte der scheidende Bundesinnenminister zum Auftakt der
Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) am 2. November in
Wiesbaden. Die Bundeswehr sei keine Polizei mit schweren Waffen.
Panzer auf den Straßen und Soldaten in der U-Bahn
brächten keinen Sicherheitsgewinn, sondern würden nur ein
Klima der Bedrohung in der Bevölkerung erzeugen. Wo es
sinnvoll sei, beispielweise bei der ABC-Abwehr und zur
Aufrechterhaltung der Luftsicherheit, könne die Bundeswehr
bereits jetzt schon eingesetzt werden.
Doch gerade in Sachen Luftsicherheit richten sich derzeit einmal
mehr alle Augen auf das Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe
begannen am 9. November die Verhandlungen über das umstrittene
Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss ziviler Flugzeuge bei
Terrorverdacht durch die Luftwaffe erlaubt. Bundespräsident
Horst Köhler hatte das Gesetz zwar abgezeichnet, aber darauf
hingewiesen, dass eine Überprüfung durch die
Verfassungsrichter wünschenswert sei. Und die könnten das
Gesetz in der Tat einkassieren: "Das Gesetz wirft die Frage auf, ob
das Leben von Insassen eines von Selbstmordattentätern
entführten Flugzeuges durch einen gezielten Abschuss geopfert
werden darf, um das Leben anderer Menschen am Boden zu erhalten und
zu schützen", sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen
Papier bei der Verhandlung. Die Frage sei, ob der Staat "Leben
gegen Leben abwägen" und dabei "selbst unschuldige Menschen
töten" dürfe.
In der Anhörung über die Verfassungsbeschwerde von
insgesamt sechs Klägern machten die Einwände mehrerer
Richter des Ersten Senats deutlich, dass das Gesetz zumindest auf
der Kippe steht. Der klagende Rechtsanwalt und frühere
Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP)
äußerte sich zuversichtlich, dass das Gesetz aufgehoben
werden dürfte.
Innenminister Otto Schily verteidigte in Karlsruhe zwar das
Gesetz, schloss aber überraschend den Abschuss eines von
Selbstmordattentätern entführten Passagierflugzeugs
praktisch aus. Eine solche Situation sei "faktisch nicht denkbar",
sagte Schily. Dafür müssten mehrere Faktoren
zusammentreffen, die "in der Realität nie" zusammenkämen.
Auch bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei ein
solches Eingreifen "nicht mehr möglich" gewesen. Hirsch nannte
Schilys "Zurückrudern" eine "Überraschung". Auch mehrere
Verfassungsrichter zeigten sich verwundert über Schilys
Gesetzesauslegung. "Wenn ein Flugzeug mit Passagieren nicht
abgeschossen wird, warum steht das dann nicht im Gesetz?", fragte
Richter Wolfgang Hoffmann-Riem.
"Leben gegen Leben"
Schily betonte, die Bundesregierung halte daran fest, dass
"nicht Leben gegen Leben geopfert" werden dürfe. Dennoch
entfalle damit "nicht die Anwendungsgrundlage" des
Luftsicherheitsgesetzes. Der Sozialdemokrat verwies auf den Irrflug
eines Sportflugzeugs über Frankfurt am Main am 5. Januar 2003,
bei dem der geistig verwirrte Pilot in das Gebäude der
Europäischen Zentralbank (EZB) zu stürzen drohte.
Kampfjets hatte den 32-jährigen Mann schließlich zur
Landung gezwungen. Wenn in einem solchen Fall ein Terrorist am
Steuer sitzen würde, würde das Gesetz "greifen", sagte
Schily. Es sei auch denkbar, dass "eine Passagiermaschine ohne
Passagiere von Terroristen entführt wird".
Kritik kommt auch von Seiten des Bundeswehrverbandes und der
Pilotenvereinigung Cockpit, die das Gesetz für nicht
verfassungskonform halten.
Das endgültige Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird
nicht vor Anfang des Jahres 2006 erwartet. Dann will die neue,
schwarz-rote Bundesregierung erneut über eventuelle
Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr zur Terrorbekämpfung
im Inland verhandeln.
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