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Dominic Johnson
Inseln des Wohlstands in einem Meer der
Armut
Der verlorene Kontinent: An Afrika geht die
Globalisierung vorbei
Es gibt zwei Statistiken, die in Analysen der
wirtschaftlichen Lage Afrikas regelmäßig auftauchen: Der
Anteil Afrikas am Welthandel beträgt gerade einmal zwei
Prozent - und die USA wollen bis 2015 ein Viertel ihres
Rohölbedarfs aus Afrika decken. Die erste dieser Aussagen
belegt Afrikas Marginalisierung, die zweite Afrikas Bedeutung. Sie
stehen zueinander im Widerspruch - und genau dieser Widerspruch
spricht Bände über die Wirtschaftsperspektiven des
afrikanischen Kontinents.
Wahr ist, dass Afrika in der globalisierten
Wirtschaft der Gegenwart weder als Absatzmarkt noch als
Produktionsstandort von Gewicht ist. Wahr ist aber auch, dass
afrikanische Rohstoffe immer interessanter für die großen
Wirtschaftsmächte werden. Afrika ist im Begriff, im Zuge der
Globalisierung einen Platz einzunehmen, der ihm bereits vor 100
Jahren zur Zeit der europäischen imperialen Expansion
zugedacht war: als Lieferant von Primärprodukten.
Nach Afrika fließen derzeit die
größten Investitionen seit Jahrzehnten - aber sie landen
in nur wenigen, ausgewählten Sektoren. Der größte
ist der Bereich Öl und Gas: die Tiefsee-Ölfelder von
Angola und Äquatorialguinea, die Erdgasausbeutung in Nigeria,
die Ölpipeline von Tschad nach Kamerun, die Ölfelder
Tschads und Sudans.
Eine andere attraktive Branche ist die
Telekommunikation: Afrika hat seit mehreren Jahren die
höchsten Wachstumsraten der Welt im Mobilfunk, was unter
anderem am desolaten Zustand der Festnetze und durch eine in vielen
Ländern sehr weit gehende Liberalisierungspolitik und
Offenheit für ausländisches Kapital liegt. Nischen, wie
Stahl in Liberia, Bauxit in Guinea, Diamanten in Angola oder Kobalt
im Kongo stoßen darüber hinaus auf spezielles
Interesse.
Die beiden Länder mit den
größten ausländischen Ölinvestitionen im
Vergleich zur einheimischen Wirtschaft weisen daher auch derzeit
die höchsten Wachstumsraten auf: 34,2 Prozent in
Äquatorialguinea 2004 und 20,5 Prozent im Tschad. Afrikas
gesamtes Wirtschaftswachstum stieg im Jahr 2004 auf den
Acht-Jahres-Rekord von fünf Prozent, rechnete der
Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem jüngsten
Afrika-Jahresbericht vor und prognostizierte erneut fünf
Prozent für 2005. Die Außenorientierung der afrikanischen
Wirtschaft nimmt den IWF-Zahlen zufolge eindeutig zu: Die
Ausfuhrquote als Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts stieg von
32,8 Prozent 2002 auf 35,5 Prozent 2004. Während die
Leistungsbilanz des Kontinents insgesamt weiter im Minus liegt,
steigt sie bei den ölproduzierenden Ländern Afrikas von
einem tiefen Minus (-8.3 Prozent 2002) in ein hohes Plus (+5,5
Prozent 2005).
Doch die Rohstoffextraktion in Afrika ist mit
dem Rest der betroffenen Volkswirtschaften kaum integriert.
Millionensummen können in Ölförderanlagen
fließen, während direkt nebenan die Bevölkerungen
weder Strom noch Wasser haben. Der Bau von Straßen und
Hafenanlagen zwecks Rohstoffexport über Freihandelszonen mag
zwar die Handelsbilanz verbessern, aber die Bedürfnisse der
Menschen nach leichterer Warenzirkulation, Verringerung von
Transportkosten und mehr Rechtssicherheit in lokalen
Marktkreisläufen sind dadurch nicht automatisch erfüllt.
Von den Prioritäten und den Summen, die Entwicklungsexperten
als Bedingung zu einer effektiven Armutsbekämpfung nennen, ist
die auf Rohstoffextraktion orientierte Investitionssteigerung, die
Afrika derzeit erlebt, weit entfernt.
300 Milliarden Dollar über 20 Jahre in
Basisinfrastruktur und Verbesserung der Agrarproduktivität
fordert beispielsweise die Deutsche Welthungerhilfe in einem
Expertengutachten, um Hunger in Afrika nachhaltig zu reduzieren.
Die panafrikanische Entwicklungsinitiative "Nepad" aus dem Jahre
2001, die massive ausländische Investitionen im Tausch
für eine grundlegend verbesserte Regierungsführung in
Afrika verlangte, setzte den Kapitalbedarf des Kontinents auf 64
Milliarden Dollar im Jahr an. Nepad-Exekutivdirektor Firmino
Mucavele aus Mosambik erhöhte diese Summe im Oktober bei einer
UN-Tagung in New York sogar auf 110 Milliarden jährlich. Das
ist sehr viel mehr als sogar China zur Spitzenzeit des
China-Investitionsbooms an Investitionszusagen erhielt, geschweige
denn an tatsächlich getätigten Investitionen - und China
hat mehr Einwohner als alle afrikanischen Länder
zusammen.
Die Zeiten, in denen in Afrika mit
bescheidenen Zahlen operiert wurde, es mit Mini-Erhöhungen aus
europäischen Entwicklungshilfsetats abgespeist werden konnten,
sind vorbei. UN-Generalsekretär Kofi Annan bezifferte den
Bedarf Afrikas an Entwicklungshilfe auf 37 Milliarden Dollar 2006,
52 Milliarden in 2010 und 84 Milliarden 2015. Je mehr
Großinvestitionen in Afrikas Rohstoffindustrie realisiert
werden, desto dringender stellt sich die Frage, wieso nicht auch
großes Geld in die Erfüllung afrikanischer
Bedürfnisse fließt und nicht nur in die der
Weltmärkte.
Bekannte Probleme - Protektionismus in den
reichen Industrienationen gegenüber afrikanischen Waren und
Migranten, während sie zugleich ihre eigenen Exporte Richtung
Afrika subventionieren - werden überdies, wie Afrikas
Regierungen bei jeder Gelegenheit anmerken, von den Partnern des
Kontinents nicht entschlossen genug angegangen. Das hat
Auswirkungen auf die politische Kultur: Ein Denken, das zu
Verschwörungstheorien neigt, geprägt von
Minderwertigkeitsgefühlen, ist weit verbreitet. Im August
sagte Tansanias Präsident Benjamin Mkapa in einer Rede vor der
Afrikanischen Union. "Wir litten während des Sklavenhandels,
wir litten während der Kolonialzeit, die uns in ein globales
Handelsregime zwang, nicht als gleichwertige Partner sondern als
Anhängsel der Metropolenmächte. Wir haben wenig
Flexibilität, uns aus dem Würgegriff der Multinationalen
herauszuwinden, die von unserer Position der Schwäche
profitieren; schlimmer noch, machen es Regierungen in reichen
Ländern - vielleicht ohne es zu wollen - schwer für uns,
frei zu brechen, indem sie eskalierende Zölle festsetzen, wenn
wir unsere Agrarprodukte verarbeiten wollen, bevor wir sie
exportieren." Mkapa gilt als Vorbild für politische und
wirtschaftliche Reformen und saß in der "Commission for
Africa" des britischen Premierministers Tony Blair, die Anfang
dieses Jahres weitreichende Reformvorschläge für eine
erneuerte Partnerschaft zwischen reichen und afrikanischen
Ländern vorlegte. Von anderen Freunden des Westens in Afrika,
wie Meles Zenawi in Äthiopien, Olusegun Obasanjo in Nigeria
oder Yoweri Museveni in Uganda, sind teils noch viel
nationalistischere Töne überliefert und Aufrufe an
Afrika, sich endlich auf die eigenen Kräfte zu besinnen und
sich von der ruinösen und demütigenden Abhängigkeit
vom Rest der Welt zu befreien. Das ist zum Teil Populismus, ist
aber milde gegenüber dem, was man auf der afrikanischen
Straße oft zu hören bekommt.
Den Spagat zwischen zunehmender
Außenabhängigkeit und wachsendem Unmut über dessen
Folgen werden viele afrikanische Führer nicht überleben,
wenn sie es mit der Demokratie ernst meinen. Sollte Afrika jemals
wirklich die massiven Investitionen bekommen, auf die es hofft,
wird sich verschärft die Frage stellen, wer über den
Einsatz des investierten Kapitals letztendlich zu bestimmen hat:
der Investor oder der Empfänger. Viele afrikanische Staaten
sind jedoch zu schwach, um die Interessen ihrer Bevölkerungen
gegenüber der Außenwelt effizient zu vertreten und
zugleich den ordentlichen, rechtssicheren Umgang mit
ausländischem Kapital zu gewährleisten. Gerade diese
Unsicherheit bedeutet, dass der Rest der Welt seine Geschäfte
mit Afrika vielleicht auch in Zukunft auf einige wenige Sektoren
beschränkt, in denen wie zu Kolonialzeiten eine extraktive
Exklavenwirtschaft herrscht. Inseln von straff geführtem und
streng abgesichertem Hochkapital erblühen dann in einem Meer
anarchischer Subsistenzwirtschaft, in dem sich das äußere
Eingreifen auf Seuchenbekämpfung und
Militärinterventionen beschränkt. Kein schönes
Zukunftsbild.
Dominic Johnson ist Afrikaexperte und Redakteur der "tageszeitung"
(taz) in Berlin.
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