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Rainer Frey und Christoph Brake
Von A wie Abfallbeseitigung bis Z wie Zoo
Kommunen erfüllen eine fast endlose Anzahl
von Aufgaben
Im gesamtstaatlichen Organisations- und
Aufgabengefüge der Bundesrepublik spielen Städte und
Gemeinden eine gewichtige Rolle. Bereits ein flüchtiger Blick
auf das kommunale Aufgabenportfolio lässt erahnen, dass die
Kommunen eine enorme Aufgabenbandbreite zu bewältigen haben:
Sie reicht von A wie Abfallbeseitigung bis Z wie Zoo. Eine
generelle Bestimmung des kommunalen Aufgabenkreises ist aber
schwierig. Die Probleme ergeben sich zunächst daraus, dass in
Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes konkretisiert wird, dass den
Gemeinden das Recht gewährleistet sein muss, "alle
Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der
Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln". Die Frage, was
"Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" sind, beantwortet
das Grundgesetz jedoch nicht.
Trotz der begrifflichen Unschärfe und
der damit verbundenen Schwierigkeiten lassen sich die von den
Gemeinden wahrzunehmenden Aufgaben nach unterschiedlichen Kriterien
klassifizieren. So kann nach der Aufgabenbedeutung zwischen
Existenzaufgaben, also Aufgaben, deren Erledigung unabdingbare
organisatorische Voraussetzungen für das handlungsfähige
Bestehen der Gemeinden ist, und Zweckaufgaben, das heißt
Aufgaben, die die fachlichen Politikbereiche abdecken,
unterschieden werden. Weiter lassen sich in räumlicher
Hinsicht örtliche und überörtliche Aufgaben und
unter zeitlichen Aspekten Daueraufgaben und einmalig zu
erfüllende Aufgaben unterscheiden. Diese Hinweise
verdeutlichen, dass kommunale Aufgaben einem ständigen Wandel
unterworfen sind, je nach der Funktion der Kommunen im Staatsaufbau
und den gesellschaftlich-politischen und ökonomischen
Problemlagen.
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal
für kommunale Aufgaben ist jedoch das Maß der
Eigenverantwortlichkeit, also die Dimension der
Weisungsabhängigkeit von der unmittelbaren Staatsverwaltung
bei der Aufgabenerfüllung. Nach dem Grad der
Eigenverantwortlichkeit lassen sich Selbstverwaltungsaufgaben,
Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung,
Auftragsangelegenheiten und Organleihen unterscheiden.
Selbstverwaltungsaufgaben untergliedern sich in freie und
pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben. Beide werden unter eigener
Verantwortung und mit eigenen Organen und Personal bearbeitet.
Dabei unterliegen sie der allgemeinen Kommunalaufsicht, die
gewährleistet, dass die Kommunen sich im Rahmen der Gesetze
bewegen.
Der Kreis der freiwilligen Aufgaben kann sehr
umfangreich sein. Letztendlich entscheidet die kommunale Finanz-
und Leistungskraft über den Aufgabenkatalog. Eine
finanzschwache Gemeinde wird naturgemäß immer nur das
Allernotwendigste planen und ausführen können, wohingegen
reichere Städte und Gemeinden in der Erfüllung der
freiwilligen Aufgaben entsprechend großzügiger sein
werden. Zu beachten ist aber, dass die Pflichtaufgaben in der
Ausführung Priorität genießen. In der Folge bilden
die freiwilligen Aufgaben sowohl in der Rangfolge der
Aufgabenerledigung als auch in der Finanzierung das letzte Glied in
der kommunalen Aufgabenkette. Beispiele für freiwillige
Aufgaben sind unter anderen die Errichtung und Unterhaltung von
Gemeindehallen, Sportanlagen, Büchereien sowie Orchestern. Zu
den pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben gehören
beispielsweise Schulen, die Abfallbeseitigung, Wasserver- und
Wasserentsorgung sowie die Bauleitplanung.
Weiter kann der Gesetzgeber den Kommunen
Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung auftragen. Sie
unterscheiden sich von den Selbstverwaltungsaufgaben dadurch, dass
der Kommunalaufsicht nicht nur die Rechtsaufsicht zusteht, sondern
dass sie auch fachliche Direktiven erlassen kann. Zu den
Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung werden das Melde-
und Personenstandswesen, das Ordnungswesen sowie der Zivilschutz
gezählt.
Um die Einheit der kommunalen Verwaltung zu
wahren und um den öffentlichen Verwaltungsapparat nicht noch
komplexer zu gestalten, obliegt den Gemeinden auch die Verwaltung
staatlicher Aufgaben. Auftragsangelegenheiten sind demnach keine
Selbstverwaltungsaufgaben, sondern vom Staat durch Gesetz
übertragene Aufgaben. Sie werden von den Gemeinden verwaltet,
sie verfügen aber über keinerlei Gestaltungsfreiheit. Die
Verwaltung erfolgt insofern nach Anweisung durch den Staat. Zu
differenzieren sind Auftragsangelegenheiten nach Bundes- und solche
nach Landesrecht. Zu letzteren gehören die Durchführung
von Landtagswahlen, Aufgaben auf dem Gebiet des Gesundheits-,
Kataster- und Kassenwesens und die Flüchtlingsbetreuung.
Beispiele für Auftragsangelegenheiten nach Bundesrecht sind
behördlicher Luftschutz und Leistungen zum Lebensunterhalt
(Sozialhilfe). Schließlich ist von den Auftragsangelegenheiten
die Organleihe zu unterscheiden. Hier obliegt dem
Bürgermeister die Durchführung aller Aufgaben, die ihm
aufgrund gesetzlicher Vorschriften übertragen sind.
Soweit die Darstellung der Aufgaben. Mit der
Zuordnung ist aber noch keine Aussage über die Art und Weise
der Erfüllung getroffen worden. Gerade hier hat sich in den
vergangenen zwei Jahrzehnten unter dem Stichwort Aufgabenkritik
viel verändert. Vor allem die kommunale Praxis schenkte den
Problemen der Steuerung und der Erfolgskontrolle zunehmend
Aufmerksamkeit, wenn auch in einer meist stark an konkreten
Problemen orientierten Betrachtungsweise. Damit einher gingen
Versuche, die Kosten des Verwaltungshandelns besser zu erfassen und
Aufgaben in Randbereichen wie Schlachthöfe, Müllabfuhr
und Straßenreinigung mehr und mehr an Dritte zu vergeben. Denn
im Unterschied zum privatwirtschaftlichen Sektor, in dem Steuerung
und Erfolgskontrolle systemimmanent durch Marktmechanismen und
Gewinne und Verluste miteinander verknüpft sind, fehlten im
kommunalen Bereich vergleichbar elegante
Rückkoppelungsmechanismen. Für die 80er- und 90er-Jahre
ist so eine Entwicklung sichtbar, die sich überspitzt als
Modernisierung der Kommunalverwaltung kennzeichnen
lässt.
Diese Modernisierungsdebatte mit der
Stoßrichtung einer Effektivierung und Beschleunigung der
administrativen Prozesse hat die Kommunalverwaltung vor neue
Anforderungen gestellt. Vor allem die unter den Stichwörtern
"Neues Steuerungsmodell" oder "New Public Management" firmierenden
Ansätze sind stark betriebswirtschaftlich geprägt und
haben in ihrer Folge zu einer "Ökonomisierung der Verwaltung"
geführt.
Der Grundgedanke, Strategien aus der
Wirtschaft auf die Prozesse in der Kommunalverwaltung zu
übertragen, barg die Hoffnung auf eine
Effektivitätssteigerung des administrativen Handelns und der
Dienstleistungen von Verwaltungen. Auch wenn heute unumstritten
sein dürfte, dass öffentliche Verwaltungstätigkeit
bei weitem nicht in allen Fällen vergleichbar ist mit Aufgaben
von privatwirtschaftlichen Unternehmen, so bedeuten die
prozessökonomischen Ansätze dieser
Public-Management-Strategien doch erhebliche Steuerungsgewinne
für Kommunalverwaltungen. Schließlich führten diese
Ansätze und Strategien zu Kooperationen und Partnerschaften
zwischen kommunalem und privatem Sektor, die unter dem Begriff
Public-Private-Partnership firmieren. Hier dürften wohl kaum
Zweifel daran bestehen, dass diese Entwicklung erneut wichtige
Wandlungsprozesse auslösen wird.
Vor diesem Hintergrund des Aufgabenwandels
und des stetigen Modernisierungsdrucks fällt auf, dass etwa 75
bis 85 Prozent der kommunalen Aufgaben zu den Pflichtaufgaben oder
Auftragsangelegenheiten zählen, mithin nicht originär
kommunaler Natur sind. Der Raum für Selbstverwaltungsaufgaben
bewegt sich nur zwischen 15 und 25 Prozent. Realistischen Annahmen
zur Folge stehen den Kommunen maximal fünf Prozent des
Gesamtetats - bei fallender Tendenz - zur Bestreitung dieser
wichtigen Aufgaben zur Verfügung. Das Resultat der
Aufgabenaufbürdung auf die Städte und Gemeinden versetzt
die Kommunalpolitiker in die immer gleichen Handlungszwänge:
mitunter scharfe Einschnitte bei den freiwilligen Aufgaben. Die
Erhöhung von Eintrittsgeldern bei Museen, die
Pflegereduzierung bei städtischen Grünanlagen bis hin zur
Schließung von Schwimmbädern und Theatern sind landauf,
landab bekannte, staatlich erzwungene Handlungsmuster. Letztendlich
provoziert die Überlastung der Kommunen mit staatlichen
Pflichten einen Abbau der freiwilligen Aufgaben. Die Einbindung der
Kommunen in die staatliche Problemverarbeitung hat sie in ihrer
Handlungs- und Steuerungsfähigkeit nachhaltig geschwächt,
de facto werden die Kommunen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung
fremdbestimmt.
Diesem Phänomen steht ein
Bedeutungszuwachs der kommunalen Ebene gegenüber. Der
Aufgabenumfang der Städte und Gemeinden ist seit der
Gründung der Bundesrepublik stetig gewachsen. Gerade ihre hohe
Problemverarbeitungsfähigkeit hat den Kommunen immer wieder
neue Aufgaben beschert. Das Ergebnis ist paradox: Der Erfolg der
Kommunen hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit hat sie auf der
anderen Seite zu Opfern ihrer eigenen Erfolgsstory werden lassen,
indem ihnen - zu Lasten der freiwilligen Aufgaben - immer neue
staatliche Aufgaben zugewiesen wurden.
Den traditionell ausgedehnten und
hochwertigen kommunalen Aufgabenstandard werden die Kommunen
aufgrund ihrer Finanznot nicht auf dem bisherigen Niveau halten
können. Sollte die Unterfinanzierung anhalten, wovon momentan
auszugehen ist, muss mit weiteren Aufgabenliquidierungen, zumindest
mit Qualitätseinbußen im Bereich der freiwilligen
Aufgaben gerechnet werden. Der klar zu beobachtende Trend der
Auslagerung kommunaler Aufgaben in Privatunternehmen wird dann
weiter zunehmen, ebenso wie die vielschichtigen Formen, die unter
dem Begriff Public-Private-Partnership zusammengefasst werden, an
Bedeutung gewinnen.
Professor Rainer Frey lehrt Kommunalpolitik
an der Uni Münster, Christoph Brake ist Mitarbeiter am
dortigen Institut für Politikwissenschaft.
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