Michael Brettschneider
Wo drückt die Städte der Schuh?
Probleme der Stadtentwicklung und
Kommunalpolitik von 1979 bis 2003: Die jährliche Umfrage des
Deutschen Instituts für Urbanistik
Im dritten Jahrzehnt führt das Deutsche Institut für
Urbanistik in Berlin (Difu) eine jährlich wiederholte Umfrage
bei ausgewählten Städten der Bundesrepublik durch. Ihre
Kernfrage lautet über die Zeit unverändert: "Welche
Probleme und Aufgaben sind in diesem Jahr in Ihrer Stadt von
besonderer Bedeutung?" Dem schließt sich die Bitte an:
"Skizzieren Sie bis zu sechs Probleme und Aufgaben mit besonderem
Handlungsdruck für Rat und Verwaltung." Natürlich hat
jede Kommune ihre Eigenarten und Besonderheiten. Diese zu pflegen
ist eines der Anliegen der Selbstverwaltung, wie sie in Artikel 28
Absatz 2 des Grundgesetzes verankert ist. Dem entspricht, dass es
Probleme und Aufgaben gibt, die eine Stadt allein für sich
hat. Andere teilt sie mit mehreren Städten und wieder andere
haben alle Städte gemeinsam.
Im Rahmen der interkommunalen Kooperation werden zur
Problembearbeitung zahlreiche formelle und informelle Wege genutzt,
um gemeinsames Handeln der Städte zur ermöglichen, wenn
ihre Interessen - etwa gegenüber der Bundesregierung oder den
Ländern - übereinstimmen. Auf diesem Feld sind
vorzugsweise die kommunalen Spitzenverbände tätig.
Problemlösungen werden aber auch auf dem Weg der
interkommunalen Konkurrenz gesucht, wenn diese vorteilhaft ist oder
zu sein scheint. Solche Konstellationen setzen eigene
Prioritäten für kommunale Probleme und Aufgaben. Sie
relativieren die Gültigkeit einer gemeinsamen "Kommunalen
Agenda", wie sie durch die hier vorgestellten Difu-Befragungen
erzeugt wird.
Auch innerhalb einer Stadtverwaltung werden verschiedene
Prioritäten gesetzt. Oft folgen sie den Grenzen zwischen den
Ressorts, wenn es etwa um die Verteilung knapper Haushaltsmittel
geht. Kraft Profession und Selbstverständnis fühlen sich
die Planer der Stadtentwicklung am ehesten einem Ressort
übergreifenden Denken verpflichtet. Vom Difu befragt werden
deshalb als Panel die Mitglieder der "Fachkommission
Stadtentwicklungsplanung" des Deutschen Städtetags und ihrer
Tätigkeit nach vergleichbare Mitarbeiter der
Kommunalverwaltung. Daraus ergibt sich eine weitere
Einschränkung: Die Befragung erzeugt großstadtlastige
Ergebnisse, da überwiegend diese dem Städtetag
angehören. Trotz dieser Einschränkungen ermöglichen
die Ergebnisse einige interessante Beobachtungen, zu denen vor
allem die Bildung langer Zeitreihen gehört.
Betrachtet man den Bedeutungswandel ausgewählter
Problembereiche für die Städte der alten Länder
zwischen 1979 und 2003, fällt etwa für den Bereich
Kommunalfinanzen und Verwaltungsmodernisierung ein Verlauf im Form
eines W's auf. Erst seit 1993 liegt dieser Problembereich auf dem
ersten Rangplatz. Auch zuvor war er nie unwichtig, aber es gab
offensichtlich auch Zeiträume, in denen der Problemdruck stark
zurückgegangen war: In den Jahren 1985 und 1990 wurde er -
nach vorherigen Phasen der Entschärfung - bis auf den 12.
Rangplatz zurückgestuft.
Anders verläuft die Problemkurve für den
Verkehrsbereich: Bis zum Jahr 1995 wurden städtische
Verkehrsprobleme mit großer Stetigkeit auf einen der ersten
drei Rangplätze eingestuft. Seither werden sie von den
westdeutschen Städten im Mittelfeld des Problemdrucks genannt.
Einen eigenen "Charakter" hat der zunächst auffallend
zyklische Gang der Kurve für das "Wohnungswesen": Einer Phase
höchsten Problemdrucks am Anfang der 80er-Jahre folgten Phasen
der Entspannung und des abermaligen Anstiegs. Diesen Entwicklungen
entspricht übrigens auch die Statistik zur Entwicklung der
Baugenehmigungen. Seit 1992 enden diese Phasen jedoch und seither
zählen Wohnungsfragen in den alten Ländern nicht mehr zu
den kommunalen Hauptproblemen. Arbeitslosigkeit ist ein Problem,
das erst in den 90er-Jahren von der kommunalen Ebene herausgestellt
wird. Obwohl Kommunalverwaltungen nur begrenzte Möglichkeiten
für eine eigene Arbeitsmarktpolitik haben, sind sie vor Ort
gravierend von ihren Folgen betroffen.
Seit Beginn der 90er-Jahre wurde das Panel der Befragung auch
auf die ostdeutschen Kommunen ausgeweitet. Zunächst ergab sich
hieraus eine durchaus eigenständige Aufgaben- und
Problemlandschaft für die Städte der neuen Länder,
die von den Themen der Verwaltungstransformation geprägt war:
Aufbau administrativer Grundstrukturen, Gemeindegebietsreform,
Etablierung einer rechtsstaatlichen Verwaltung, Konversion
militärischer Liegenschaften. Solche Aufgaben und Probleme
spielen jedoch seit der Mitte der 90er-Jahre keine herausgestellte
Rolle mehr.
Betrachtet man die Ergebnisse über die Zeit von 1994 bis
2003, so fällt auf, dass im Beobachtungszeitraum die
Finanzprobleme von der Verwaltung mit großem Abstand am
stärksten betont werden. Seit dem Jahr 2000
vergrößert sich zusätzlich der Abstand zu den
nachfolgenden Bereichen so stark, dass diese kaum mehr sinnvoll
auseinander zu halten sind. Dabei ist der darin auch enthaltene
Stimmenanteil, der sich direkt auf das Thema
Verwaltungsmodernisierung bezieht, fast zu vernachlässigen.
Insgesamt deutet das darauf hin, dass der Handlungsraum für
jene Aufgaben immer enger wird, die die kommunale Selbstverwaltung
eigentlich ausmachen. Sichtbar wird auch, dass der vom Problem der
Arbeitslosigkeit bestimmte Komplex des wirtschaftlichen
Strukturwandels sich fest auf dem zweiten Rangplatz der wichtigsten
Probleme etabliert hat. Diesen Anteil betonen die ostdeutschen
Städte etwas stärker.
Die Städte bedrängt darüber hinaus eine
Gemengelage von Schwierigkeiten in den Bereichen
"Innenstadtentwicklung" und "Einzelhandel", deren Probleme sich
wechselseitig aufschaukeln. Zusätzlich verschärft diesen
Problemkomplex die "Suburbanisie- rung" der Wohnbevölkerung:
Wer am Stadtrand oder schon im Umland lebt, der ist der Innenstadt
als Einkäufer verloren, wenn vor der Stadt Einkaufszentren mit
bequemen Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die
natürlich auch den Städter anzulocken wissen. Ihn
beispielsweise mit integrierten Einkaufszentren in der Stadt zu
halten und das Umland wieder für die Innenstadt zu gewinnen,
ist das gemeinsame Ziel von Stadtplanung und traditionellem
Einzelhandel.
Trotz aller Aufgaben- und Problemangleichungen seit der
Vereinigung gibt es ein Problemfeld, das in westdeutschen Kommunen
kein Pendant hat und das den ostdeutschen Städten schwer zu
schaffen macht: Die Sanierung und Bewirtschaftung der industriell
gefertigten Großsiedlungen vor dem Hintergrund von
Bevölkerungsrückgängen und Überangebot an
Wohnungen. Leider sind davon auch die staatlichen Finanzen
betroffen. In den 90er-Jahren wurden sie in großem Umfang
eingesetzt, um die "Platten" zu sanieren; mittlerweile werden sie
zur Bekämpfung des Leerstands gebraucht, um ihren Abriss
("Rückbau") zu finanzieren.
Perspektive der Bürger
Hier wurden Stadtaufgaben- und Probleme aus Verwaltungssicht
vorgestellt. Wie verhält sich diese Perspektive zur Sicht der
Bürger? In zahlreichen Städten gibt es seit vielen Jahren
das Instrument der jährlichen, als Mehrthemenbefragung
konzipierten Bürgerbefragung. In diesen Befragungen findet
sich regelmäßig die Frage: "Welches sind nach Ihrer
Meinung gegenwärtig die größten Probleme in der
Stadt?" Nicht immer stimmen dabei die Problemsichten von
Bürgern und Verwaltung überein, obwohl das zumindest der
Richtung nach nicht selten ist.
Auffallend ist, dass beim Ergebnisvergleich einige Probleme in
der Verwaltungssicht zunächst kaum beachtet wurden, die aus
Bürgersicht von hoher Dringlichkeit waren (etwa
öffentliche Sicherheit, oder Sauberkeit in der Stadt).
Insofern sind solche Befragungen ein Seismograph, der zur
Sensibilisierung der Verwaltung beizutragen vermag. Umgekehrt
können Bürgerbefragungen zeigen, dass Bürger etwa
verständiger auf die kommunale Sparpolitik reagieren als
Interessengruppen manchmal Glauben machen wollen. Das wiederum
könnte für die politische Willensbildung im Rat von
Bedeutung sein. Michael Bretschneider
Der Autor ist Mitarbeiter des Difu.
Das Institut veröffentlicht seine Befragungsergebnisse. Die
Ergebnisse für 2003 enthält: Deutsches Institut für
Urbanistik, Hauptprobleme der Stadtentwicklung und Kommunalpolitik.
Ergebnisse einer Panelbefragung bei kommunalen
Stadtentwicklungsplanern. Berlin, 2004.
Zurück zur
Übersicht
|