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Adelheid von Saldern
Ein steinerner Weg
Zur Geschichte städtischer
Selbstverwaltung
Die Geschichte der städtischen
Selbstverwaltung ist engstens mit der Person des Freiherrn vom
Stein (1757-1831) verbunden. Er gehört zu den wenigen
Staatsmännern, die in allen Phasen deutscher Geschichte
geschätzt wurden, selbst in der NS-Zeit. Stein zählt zu
den großen preußischen Reformern des frühen 19.
Jahrhunderts. Ihm ging es im Kern um die weitgehende Loslösung
der Stadtverwaltung aus dem spätabsolutistischen
preußischen Herrschaftsgefüge. Die
Selbstheilungskräfte sah Stein im städtischen
Bürgertum als den Trägern von Handel, Finanzen und
langsam aufkommender Industrie. Um ein städtisches
Innovationsmilieu zu schaffen, sollten alle unnötigen
staatlichen Eingriffsmöglichkeiten abgeschafft werden.
Preußens Aufgeschlossenheit
gegenüber Reformen resultierte zum einen aus der leeren
Staatskasse, zum anderen aus der Angst, es könnte nach dem
Vorbild Frankreichs auch hierzulande eine Revolution ausbrechen.
Wie auch auf anderen Gebieten, wurden die preußischen
Reformen, so die Städtereform von 1808, in der Folgezeit ein
Stück weit zurückgenommen und die Staatsaufsicht
über die Städte wieder verstärkt. Hinzu kam, dass
das Städterecht in den einzelnen preußischen Provinzen,
aber auch in ganz Deutschland unterschiedlich geregelt
blieb.
Gleichwohl entwickelten sich die Städte
im 19. Jahrhundert überall de facto zum gesetzlich
legitimierten Herrschaftsgebiet des hausbesitzenden
Bürgertums. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden allerdings
die älteren Honoratioren-Verwaltungen durch eine schnell
wachsende Kommunalbürokratie ersetzt und professionalisiert.
Vergleichende zeitgenössische Erhebungen und Beobachtungen
zeigen, dass die Handlungsspielräume von Stadt zu Stadt recht
unterschiedlich genutzt wurden. Insgesamt zeichnet sich die Bilanz
städtischer Selbstverwaltung im Zeitalter der
Industrialisierung und Urbanisierung vielerorts durch
eindrucksvolle Aktivitäten und Leistungen aus, die im
Spannungsfeld von Gemeinwohldenken und Klasseninteressen standen.
Die Verfolgung von Klasseninteressen wurde durch das
Klassenwahlrecht oder andere undemokratische Wahlrechtsregelungen
ermöglicht. Frauen hatten ebenfalls bis 1919 kein Wahlrecht,
obwohl gerade sie auf dem Gebiet kommunaler Wohltätigkeit
ehrenamtlich tätig waren.
Die mangelnde Bereitschaft in Stadt und
Staat, die Stadtverfassungen zu demokratisieren, wurde mit dem
Argument zu legitimieren versucht, dass allein eine unpolitische,
über den Parteien schwebende, nur am städtischen
Gemeinwohl orientierte Selbstverwaltung die Stadtentwicklung
optimal vorantreiben könne. Hiermit war es nach
bürgerlichem Selbstverständnis durch die Demokratisierung
des Kommunalwahlrechts und den Einzug von Sozialdemokraten in die
Stadtparlamente 1919 vorerst vorbei. Die Kommunalpolitik wurde zu
einem umkämpften Feld der Parteien. In der großen
Wirtschaftskrise um 1930 kam es zu Ansätzen, die politische
Parteiendemokratie in den Kommunen erneut zu entmachten. Zu denken
ist vor allem an das Änderungsgesetz der Berliner
Kommunalverfassung von 1931. Unter einem solchen Aspekt gesehen war
der 1933 erfolgte Übergang zum Führerprinzip
fließend. Aus dem Konzept einer autoritären
Kommunalverfassung wurde allerdings eine nach dem
Führerprinzip geregelte, diktatoriale Einparteienherrschaft.
Die Nationalsozialisten interpretierten die auf solchen
Grundsätzen basierende Deutsche Gemeindeordnung von 1935
fälschlicherweise als die wahre Form von deutscher
Selbstverwaltung, wie sie vorgeblich der Freiherr vom Stein
verfochten habe.
Doch die Vereinnahmung des Freiherrn durch
die Nationalsozialisten konnte diesem nichts anhaben: Fest
verankert im kulturellen Gedächtnis des deutschen
Bürgertums gelang es ohne viel Anstrengung, den christlich
gesinnten Staatsmann in den 50er-Jahren wieder zu einer Leit- und
Symbolfigur für Selbstverwaltung und Liberalität zu
stilisieren. Dazu hatten die westlichen Besatzungsbehörden
bereits realiter die Grundlagen geschaffen. Sie wollten keinen
zentralistischen Einheitsstaat, sondern reaktivierten die
föderalistische Tradition inklusive kommunaler
Selbstverwaltungen - und das alles seit 1949 auf der Basis
grundgesetzlich verankerter demokratischer
Repräsentativverfassungen. Die Kommunalverwaltungen, die
vielfach von personeller Kontinuität zur NS-Zeit geprägt
waren, taten sich indessen schwer, wieder Macht an die
Stadtparlamente abzugeben, Sozialdemokraten in der städtischen
Bürokratie vorrücken zu sehen und vom trügerischen
Leitbild einer unpolitischen Kommunalpolitik Abstand zu nehmen.
Bevor der Generationenwechsel einsetzte, blieb die kommunale
Parteiendemokratie deshalb für zahlreiche Kommunalbeamten
gewöhnungsbedürftig.
Herausforderung Demokratisierung
Kaum war die kommunale Parteiendemokratie
richtig eingespielt und mental verkraftet, machte sich seit den
späten 60er- und in den 70er-Jahren der Anspruch der
Bürger und Bürgerinnen auf direkte Partizipation an den
kommunalpolitischen Entscheidungen bemerkbar. Die
Kommunalverwaltungen und Stadtparlamente empfanden diesen
außerparlamentarischen Mitsprachewillen und die darauf
beruhenden Bürgerinitiativen als massive Herausforderung.
Schließlich lernten sie jedoch, auf solche
Mitbestimmungswünsche durch intensivierte
Kommunikationsangebote und Bekundungen grundsätzlicher Dialog-
und Aushandlungsbereitschaft mehr oder weniger produktiv
umzugehen.
Von solchen Herausforderungen konnte in der
DDR in jener Zeit noch keine Rede sein. Auf der Basis des so
genannten demokratischen Zentralismus war 1949 ein zentralistischer
Einheitsstaat errichtet, die kommunale Selbstverwaltung abgeschafft
und zudem die Kommunalverwaltung mit der SED verzahnt worden. Was
blieb, war die Stadt als Sozial- und Kulturraum, außerdem
Restfunktionen der Stadtverwaltung und der
Stadtverordnetenversammlungen, die für das alltägliche
Zusammenleben der Menschen jedoch nie ganz bedeutungslos wurden.
1989 waren es nicht zufällig die Stadtzentren, in denen sich
eine kritische Öffentlichkeit artikulierte, in denen
Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Demokratie
demonstrierten und dabei auch gegen die undemokratische Handhabung
der Kommunalwahlen protestierten.
Wer die Geschichte der Selbstverwaltung im
20. Jahrhundert verfolgt, muss freilich noch auf einen ganz anderen
Aspekt eingehen: Gemeint sind die mannigfachen Aufgaben der
modernen, flächendeckenden Staatsverwaltung, die eine
komplizierte Steuerverteilungspolitik zwischen Bund, Land und
Kommunen nach sich zog und dabei die autonom zu bestimmenden
finanziellen Handlungsräume der Kommunen beschränkte.
Schon die Erzbergersche Finanzreform von 1920 hatte den Stein ins
Rollen gebracht. Die Große Finanzreform von 1969 intensivierte
das Steuerverbundsystem zwischen Kommunen, Land und Bund. Dadurch
sollten die Kommunalfinanzen gestärkt, die
Konjunkturanfälligkeit verringert und die
Planungsmöglichkeiten gesteigert werden. Größere
Investitionen bedurften allerdings stets der Mischfinanzierung, das
heißt der finanziellen Beteiligung durch Land und Bund. Wegen
der finanzpolitischen Abhängigkeiten der Gemeinden sprachen
Politikwissenschaftler seit den 70er-Jahren von lokaler Politik
anstelle von Kommunalpolitik und Selbstverwaltung. Hiermit
signalisierten sie zudem einen Paradigmenwechsel, insofern es galt,
die Gesamtheit des politischen und gesellschaftlichen Systems auf
lokaler Ebene in den Blick zu nehmen. Die Gebietsreform der 60er-
und frühen 70er-Jahre beendete in rund 16.000 Gemeinden die
herkömmliche Form der Selbstverwaltung.
Die leeren Kassen zwangen die Kommunen in der
Folgezeit außerdem, nicht nur vermehrt auf Land und Bund zu
sehen, sondern auch auf die Wirtschaft: Während zu Beginn des
20. Jahrhunderts das Modell einer möglichst umfassenden,
selbstbestimmten und selbstplanenden Dienstleistungskommune
dominierte, prägten am Ende des 20. Jahrhunderts neoliberale
Vorstellungen das Leitbild. Auf Grund dieses Paradigmenwechsels und
angesichts massiver Finanzprobleme beschritten die Kommunen den
Weg, der zur Reprivatisierung kommunaler Einrichtungen und zur
Ökonomisierung der Stadtpolitik, aber auch zu einer
Verwaltungsmodernisierung führte.
Doch sorgten die Städte durch ihre
oftmals glanzvollen Selbstrepräsentationen bei
Stadtjubiläen dafür, dass trotz des einschneidenden
strukturellen Wandels das traditionelle Bild kommunaler
Selbstverwaltung in der Öffentlichkeit nicht ganz verblasste.
Mit guten Gründen konnte und kann nach wie vor auf den
Freiherrn vom Stein verwiesen werden, wenn es nämlich um die
Geschichte von Emanzipation und Liberalität sowie um das
Aufzeigen eines historischen Beispiels geht, bei dem die
Mobilisierung ziviler Kräfte im Mittelpunkt steht. Doch sollte
dabei nicht vergessen werden, dass sich in den zurückliegenden
200 Jahren der Bürgerbegriff entscheidend verändert hat.
Meinte der Freiherr vom Stein mit dem Begriff des Bürgers im
Kern den männlichen, bürgerlichen Haus- und
Grundbesitzer, so umfasst der heutige Bürger-Begriff alle
Bewohner und Bewohnerinnen inklusive der Migranten und
Migrantinnen. Darauf beruht zumindest die Vision einer aktiven,
gemeinwohlorientierten Bürgerkommune im Rahmen einer sich
weitgehend selbstregulierenden Zivilgesellschaft.
Adelheid von Saldern ist emeritierte
Professorin für Neuere Geschichte an der Uni
Hannover.
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